Der Mindestlohn feiert seinen 1. Geburtstag – Was haben wir gelernt?

Der neue Mindestlohn ist mittlerweile gar nicht mehr so „neu“, er hat bereits seinen 1. Geburtstag gefeiert. Letztes Jahr um dieselbe Zeit wurde noch viel gerätselt und geraten, heute sind wir ein Jahr klüger. Die Gerichte haben ihre ersten Urteile gefällt, die Dokumentationspflichten für Arbeitgeber wurden wieder entschärft – ja, es ist einiges passiert. Was ist die Erkenntnis nach 1 Jahr Mindestlohn?

Was war bei den Gerichten los?

Die prognostizierte Klagewelle im Zusammenhang mit dem Mindestlohn blieb jedenfalls aus. Laut Ingrid Schmidt, Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts (BAG), seien beim BAG beispielsweise lediglich zwei Verfahren anhängig. Vielmehr hätten auch die Landesarbeitsgerichte nicht zu tun.

Im Großteil der streitigen Verfahren hatten die Gerichte zu entscheiden, ob und inwieweit bestimmte Vergütungsbestandteile (z.B. Nachtarbeitszuschlag nach ArbG Bautzen, Urteil vom 25.06.2015 – 1 Ca 1094/15; Urlaubsgeld nach ArbG Berlin, Urteil vom 04.03.2015 – 54 Ca 14420/14) auf den Mindestlohn anrechenbar sind. Die Quintessenz der Urteile lautet: Es sind auf den Mindestlohn nur die Vergütungsbestandteile anrechenbar, mit denen die „normale“ Arbeitsleistung des Arbeitnehmers entlohnt werden soll. Urlaubsgeld beispielsweise soll die Erholungskosten kompensieren, Nachtarbeitszuschlag soll die schwereren Arbeitsbedingungen bei Nacht ausgleichen, kurzum: es wird ein „Mehr“ entlohnt, Urlaubsgeld und Nachtarbeitszuschlag sind auf den Mindestlohn also nicht anrechenbar.

Anderes gilt allerdings etwa für den sog. Leistungsbonus (ArbG Düsseldorf, Urteil vom 20.04.2015 – 5 Ca 1675/15). Dieser steht im unmittelbaren Bezug zur Arbeitsleistung und ist daher mindestlohnrelevant.

Wie sieht es nun mit den Dokumentationspflichten aus?

Am 29.07.2015 gab es bereits die erste Änderungsverordnung, die sog. Mindestlohndokumentationspflichtenverordnung, „MiLoDokV“ wie sie vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales liebevoll genannt wird. Demnach ist der Arbeitgeber, der seinem Arbeitnehmer jeden Monat wenigstens 2.958,00 € brutto bezahlt, von den strengen Aufzeichnungspflichten des § 17 MiLoG befreit. Zur Freude der Arbeitgeber gilt die Befreiung auch dann, wenn dem Arbeitnehmer in den letzten 12 Monaten mindestens 2.000,00 € brutto pro Monat bezahlt wurde. Nach dem Vorwurf, das MiLoG sei ein „Bürokratiemonster“, ist die Lockerung der Dokumentationspflichten nun eine Erleichterung.

Was sollte das eigentlich mit den Transitfällen?

Wir erinnern uns: Anfang des Jahres 2015 kam man zu der erschreckenden Erkenntnis, dass Lkw-Fahrer, die Güter quer durch Europa und damit auch durch Deutschland transportieren, Anspruch auf den deutschen (teuren) Mindestlohn haben, jedenfalls für die Strecke durch Deutschland. Denn jeder Arbeitnehmer auf deutschem Hoheitsgebiet hat auch Anspruch auf den Mindestlohn. Man kann sicher nachvollziehen, dass diese Vorstellung bei den (ausländischen) Arbeitgebern für Panik sorgte. Denn es kann ja wohl nicht wahr sein, dass der polnische Lastwagenfahrer, der in Polen lebt und polnischen (günstigeren) Lebenserhaltungskosten unterliegt, Anspruch auf den deutschen Mindestlohn hat, nur weil er fünf Stunden auf der deutschen Autobahn fährt. Nein, das kann wirklich nicht sein. Frau Nahles verkündete zur Erleichterung aller, dass das MiLoG im reinen Transitverkehr keine Anwendung findet.

Gibt es Änderungen im Arbeitszeitgesetz?

Sozusagen. Im Rahmen der Arbeits- und Sozialministerkonferenz der Länder wurde beschlossen, dass bei Anträgen der Schaustellerbranche und anderen Saisonbetrieben nach § 15 ArbZG eine höhere als in § 3 ArbZG genannte tägliche Arbeitszeit (grundsätzlich 8 Stunden, unter bestimmten Voraussetzungen auch manchmal 10 Stunden) bewilligt wird. Wichtig ist dies insofern, da Arbeitgeber aufgrund der Dokumentationspflichten – soweit sie diese nach besten Wissen und Gewissen pflegen – ihre eigenen Verstöße gegen das ArbZG und gegen das MiLoG automatisch „mitdokumentieren“.

Wie geht es mit der Auftraggeberhaftung weiter?

Sie ist ein Kreuz, diese Auftraggeberhaftung. Vom Gesetzgeber anscheinend wenig durchdacht und uferlos. Der Auftraggeber, der einen Subunternehmer mit einer Werkleistung beauftragt, haftet auch gegenüber dessen Arbeitnehmern auf den Mindestlohn. Nun hat der Auftraggeber jedoch kaum Kontrolle über die Zahlungsgewohnheiten seines Subunternehmers, was ihn vor ein immenses Haftungsrisiko stellt.

Aber es gibt eine gute Nachricht. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales plant, klarzustellen, dass sowohl bei der zivilrechtlichen Haftungsfrage als auch im Hinblick auf die Bußgeldvorschriften der vom BAG entwickelte „eingeschränkte“ Unternehmerbegriff zugrunde gelegt werden soll. Die Auftraggeberhaftung soll demnach nur denjenigen treffen, der eigene vertraglich übernommene Pflichten an einen Subunternehmer weitergibt. Der Formenbauer, der abends seine Fertigungshalle von einem Reinigungsunternehmen putzen lässt, haftet also dem Reinigungspersonal gegenüber nicht auf den Mindestlohn, da er keine eigenen vertraglich übernommenen Pflichten an das Reinigungsunternehmen überträgt.

Fazit

Was lässt sich im Ergebnis nun nach 1 Jahr MiLoG festhalten? Der Mindestlohn hat nicht – wie von Kritikern befürchtet – zu einem wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Super-GAU geführt. Die prognostizierten, in die Höhe schnellenden Arbeitslosenzahlen blieben aus. Allerdings stellte sich der Mindestlohn auch nicht als One-Way-Ticket ins Schlaraffenland für alle heraus – wie von den Befürwortern prophezeit. Die Wahrheit liegt wohl wie immer in der Mitte. Viele Arbeitgeber, insbesondere Klein- und Mittelständler, müssen kämpfen, und nicht jeder wird den Kampf auch gewinnen. Die meisten haben sich mittlerweile mit dem nicht mehr ganz so neuen Mindestlohn arrangiert. Nach nur 1 Jahr lässt sich wenig mit Sicherheit sagen. Es bleibt also weiterhin abzuwarten.

 

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