Qualifikation von Tochterunternehmen nach IFRS 10 – Ein Bilanzierungsskandal?

Kürzlich war in der Tagespresse zu lesen, bei der Bastei Lübbe AG werde ein IFRS-Konzernabschluss geändert, weil die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG ihre Auffassung zur Einbeziehung von Tochterunternehmen geändert habe. Auf Bitte des Prüfers habe Bastei Lübbe sich entschlossen, den Konzernabschluss für das Geschäftsjahr 2015/2016 zu ändern. Wie kann das sein?

Nach den IFRS wie nach HGB unterliegen Beteiligungen an Tochterunternehmen im Konzernabschluss der Vollkonsolidierung. Dabei gibt es zwar Unterschiede zwischen HGB und IFRS im Detail. Die Grundmethodik unterscheidet sich jedoch nicht. Es wird ein Bild dargestellt, als seien Mutter- und Tochterunternehmen ein einziges Unternehmen. Hierfür wird bei Erwerb der Beteiligung an einem Tochterunternehmen so getan, als sei der Erwerb von Anteilen am Tochterunternehmen (share deal) ein Erwerb von Vermögen und Schulden des Tochterunternehmens (asset deal). In der Folgezeit werden Transaktionen zwischen Mutter- und Tochterunternehmen grundsätzlich eliminiert, weil sie aus Sicht des Konzerns Geschäfte mit sich selbst sind. Bei späterem Verkauf der Beteiligung am Tochterunternehmen kann ein Gewinn aus der sogenannten Entkonsolidierung entstehen. Nach IFRS gibt es eine Besonderheit, nach der bei Abgang eines Teils der Beteiligung am Tochterunternehmen die verbleibenden Anteile neu bewertet werden, sofern das Beteiligungsunternehmen seinen Status als Tochterunternehmen verliert. Daraus kann sich durch Aufwertung der verbleibenden Anteile ein Gewinn ergeben.

Für die Bilanzierung im Konzernabschluss kommt es also ganz entscheidend darauf an, ob die Beteiligung an einem anderen Unternehmen zur Qualifikation des anderen Unternehmens als Tochterunternehmen führt. Für die Betrachtung werden Rechte und Verpflichtungen im Hinblick auf das Beteiligungsunternehmen nicht nur des Mutterunternehmens, sondern auch die sämtlicher anderer Tochterunternehmen einbezogen. Eine beliebte Gestaltungsvariante zur Vermeidung eines Mutter-Tochterverhältnisses geht dabei über sogenannte Zweckgesellschaften, auch als special purpose entities/vehicles oder structured entities bezeichnet. Gerade in der Finanzkrise waren Banken hier mit kreativen Gestaltungen aufgefallen, was als eine Ursache der weltweiten Krise gewertet werden kann.

Nach IFRS gelten für die Qualifikation von Tochterunternehmen seit einigen Jahren die Regelungen des IFRS 10, die die früheren erprobten und einigermaßen praktikablen Regelungen abgelöst haben, die vorneweg auf eine Beherrschungsmöglichkeit aufgrund wirtschaftlicher Betrachtungsweise abstellten. Sehr vereinfacht gesagt, ist Voraussetzung für das Vorliegen eines Tochterunternehmens nun die Verfügungsgewalt (control) über dieses. Am einfachsten geht dies über eine Stimmrechtsmehrheit. Das Problem liegt aber eher bei Gestaltungen, mittels derer man Verfügungsgewalt erhält, ohne eine Stimmrechtsmehrheit bei dem Tochterunternehmen inne zu haben. Der IASB fühlt sich mit den neuen Regelungen wohler, weil sie vermeintlich konzeptionell geschlossener erscheinen. Für die Rechtsanwender ist der Umgang mit ihnen aber eher schwieriger geworden. Die wirtschaftliche Betrachtungsweise spielt zwar immer noch eine Rolle, aber nur auf nachgeordneter Ebene.

Im Fall Bastei Luebbe sind wohl Anteile an bisherigen Tochterunternehmen an ein „drittes“ Unternehmen, namens Blue Sky, verkauft worden. In der Folge soll damit nach bisheriger Auffassung das Mutter-Tochterverhältnis weggefallen sein und die verbliebenen Anteile am bisherigen Tochterunternehmen wurden wohl mit der Folge von Gewinnen neu bewertet. Dabei handelt es sich wohl um 2 Veräußerungen jeweils eine im Geschäftsjahr 2014/2015 und eine im Geschäftsjahr 2015/2016.

Das Problem soll nun darin liegen, dass das erwerbende „dritte“ Unternehmen, eventuell als Zweckgesellschaft, selbst wieder als Tochterunternehmen des Konzerns zu qualifizieren sei. In der Quartalsmitteilung wird ausgeführt: „Aufgrund von Weisungsrechten und Zustimmungsvorbehalten beim Weiterverkauf der Anteile durch Blue Sky, die sich aus dem Kaufvertrag zwischen Bastei Lübbe und Blue Sky ergeben, kommt die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG nun zu der Einschätzung, dass Bastei Lübbe wirtschaftlich die Verfügungsgewalt über Blue Sky im Sinne von IFRS 10 ab dem Zeitpunkt der Anteilsveräußerung oolipo besessen hat“ (Konzern 3-Monatsmitteilung Q 1, Bastei Lübbe).  Die Folge wäre, dass es sich aus Konzernsicht bei der Veräußerung an Blue Sky um einen Anteilsverkauf an sich selbst handelt und damit das Mutter-Tochterverhältnis in Bezug auf das bisherige Tochterunternehmen nicht weggefallen ist. Damit wären dann auch die Voraussetzungen für die Bilanzierung eines Gewinns aus den Transaktionen nicht gegeben. Der Prüfer hat sich jetzt wohl zur zweiten Auffassung durchgerungen.

Bastei Lübbe stellt auf eine geänderte Beurteilung durch den Prüfer ab. Hervorzuheben ist vorneweg die primäre Verantwortung der Geschäftsführung für die Erstellung eines rechtskonformen Abschlusses. Der Prüfer prüft dann die Ordnungsmäßigkeit und regt gegebenenfalls eine Änderung noch vor Ende der Abschlusserstellung an. Kennt man die Probleme um die Qualifikation von Tochterunternehmen, dann kann man davon ausgehen, dass Veränderungen im Rahmen der Abschlussprüfung wegen der großen Bedeutung intensiv untersucht werden.

Wie kann es sein, dass der Prüfer seine Meinung dann später einfach ändert? Dies kann aus verschiedenen Ursachen resultieren. So ist etwa vorstellbar, dass bei der Prüfung „geschlampt“ wurde und die spätere Qualitätskontrolle beim Prüfer Prüfungsmängel aufdeckt. Dafür sind aber keine Hinweise ersichtlich, weil von einer geänderten Beurteilung gesprochen wird.

Schlimm wäre es, wenn der Prüfer eine von vorneherein schwer vertretbare Auffassung „durchgewunken“ hätte. Das unterstellt man zwar Prüfern aus Gründen einer vermeintlichen Abhängigkeit immer wieder. Nur mag ich daran allein wegen der Reputationsrisiken für den Prüfer und der Gefahr der Aufdeckung durch Enforcement-Instanzen nicht denken.

Es könnte sich auch schlicht die rechtliche Beurteilung aufgrund eines Erkenntnisfortschritts des Prüfers geändert haben. Ob das kurz nach der Prüfung aber plausibel ist, erscheint doch fraglich.

Vorstellbar wäre auch, dass der Prüfer nicht alle Informationen erhalten hatte, die für die Beurteilung des Sachverhalts erforderlich sind. Gerade bei der Gestaltung über Zweckgesellschaften ist die Gefahr latent vorhanden, dass dem Prüfer nicht alle relevanten Rechte und Verpflichtungen zur Kenntnis gebracht werden. Für die Geschäftsführung des Prüfungsmandanten wäre das jedoch gefährlich, allein schon weil eine gesetzliche Pflicht zur Information besteht (§ 320 HGB). Der Prüfer holt diesbezüglich pflichtgemäß vor Abschluss der Prüfung eine Vollständigkeitserklärung ein, um sich abzusichern. Ein solches Verhalten liegt daher auch nicht nahe. Es mag auch noch andere Gründe geben, über die ich hier nicht weiter spekulieren möchte.

Auffällig ist die Auffassungsänderung des Prüfers, die nach dem Bericht in einem Wirtschaftsmagazin über die fragwürdige Bilanzierung erfolgte. Das hat insgesamt „Geschmäckle“. Vor dem Hintergrund der denkbaren Ursachen für den ungewöhnlichen Vorgang erscheint eine Beschäftigung der Enforcement-Instanzen sinnvoll, wenn nicht gar geboten. Dabei wäre etwa auch zu untersuchen, ob der nicht zur Änderung vorgesehene Vorjahresabschluss 2014/2015 ordnungsgemäß ist.

Wer den Vorgang jetzt zum Anlass nimmt, auf die IFRS zu schimpfen, lässt aus dem Auge, dass solche Sachverhaltsgestaltungen auch und gerade in der Welt der HGB-Bilanzierung vorzufinden sind. Leider tut sich der Berufsstand der Wirtschaftsprüfer seit Jahrzehnten schwer, hier engere Grenzen zu setzen.

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