„Alte“ Lebensversicherungen mit Rentenwahlrecht steuerfrei?

Der heutige Sachverhalt könnte möglicherweise Millionen Steuerpflichtige betreffen, ist aber seltsamerweise irgendwie „versandet“ und aus dem Blickpunkt der Steueröffentlichkeit verschwunden:

Es geht um die steuerliche Behandlung von inländischen privaten Leibrenten, die auf begünstigten Versicherungsverträgen i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 2 b EStG 2004 beruhen, nach Inkrafttreten des AltEinkG am 01.01.2005.

Betroffen sind solche Lebensversicherungen auf den Erlebensfall, die vor dem 31.12.2004 abgeschlossen wurden und eine Laufzeit von mindestens zwölf Jahren hatten, bei denen ein Rentenwahlrecht ausgeübt wurde (bzw. vom Kapitalwahlrecht kein Gebrauch gemacht wurde). Der Sonderausgabenabzug i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 2 b EStG 2004 musste möglich sein. Diese begünstigten Lebensversicherungen werden hier als „alte“ bezeichnet.

Rechtslage vor und nach Inkrafttreten des AltEinkG

Die Bezüge aus begünstigten „alten“ Lebensversicherungen waren bis zum 31.12.2004 nach § 20 Abs. 1 Nr. EStG 2004 steuerfrei, und zwar unabhängig von der Art der Auszahlung (Einmalzahlung oder Leibrente).

Ab Veranlagungszeitraum 2005 wurde differenziert: Wurde das Kapitalwahlrecht ausgeübt, so war die Einmalzahlung weiterhin steuerfrei nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG. Die Bezüge aus einer Leibrente gehörten jetzt jedoch zu den sonstigen Einkünften i.S.d. § 22 Nr. 1 S. 3 a) bb) EStG und wurden mit dem Ertragsanteil der Besteuerung unterworfen. Ab Kalenderjahr 2009 sind die Versicherungsgesellschaften zur elektronischen Übermittlung der Rentenbezüge und ihrer steuerlichen Einordnung an die Finanzbehörde verpflichtet (§ 22a EStG). Diese Meldungen stellen zwar keine Grundlagenbescheide dar, praktisch erfolgt die Veranlagung aber ohne nähere Prüfung entsprechend der Datenübermittlung.

Das BMF vertritt die Auffassung (BMF-Schreiben vom 01.10.2009 (BStBl 2009 I S. 1172), geändert durch BMF-Schreiben vom 29.09.2017 (BStBl 2017 I S. 1314), dass die Bezüge aus solchen „alten“ Lebensversicherungen (wenn also das Rentenwahlrecht ausgeübt wurde) zu den Einnahmen i.S.d. § 22 Nr. S 3 a) bb) EStG zählen und mit den dort genannten Ertragsanteilen zu besteuern sind.

Zutreffend ist dabei, dass eine Besteuerung mit den Besteuerungsanteilen des § 22 Nr. 1 S. § a) aa) EStG nicht in Frage kommt.

BFH-Urteil vom 29.09.2021 (VIII R 4/18)

Der BFH bestätigte das Urteil der Vorinstanz (FG Baden-Württemberg vom 16.10.2017, 5 K 1605/16). Danach fallen nicht nur Einmalauszahlungen, sondern auch Leibrenten aus begünstigten „alten“ Lebensversicherungen unter die Steuerfreiheit des § 20 Abs. 1 Nr. EStG 2004, und gehören nicht zu den sonstigen Einkünften. Weiterlesen

AltEinkG: Vertrauensschutz für Bestandsrentner

Im letzten Jahr habe ich hier im NWB Experten-Blog einige Beiträge zur Rentendoppelbesteuerung veröffentlicht. In meinem heutigen Beitrag analysiere ich in diesem Zusammenhang zwei BVerfG-Beschlüsse zum Vertrauensschutz hinsichtlich ihrer Auswirkungen für Bestandsrentner (Rentenbezieher vor 2005).

Der „Vorteil“ der Ertragsanteils- gegenüber der Vollbesteuerung liegt ökonomisch darin, dass die Wertsteigerungen der Einzahlungsphase letztlich unversteuert bleiben. Die Wertsteigerungen der Auszahlungsphase werden dagegen auch im System der Ertragsanteilsbesteuerung versteuert. Dies geschieht dadurch, dass diese Wertsteigerungen gleichmäßig auf die voraussichtliche Laufzeit der Rente verteilt und einem typisierten Ertragsanteil unterworfen werden. Dabei wurde in den Berechnungen bis 2004 ein Zinssatz von 5,5 %, ab 2005 ein solcher von 3 % angesetzt. Bei der Vollbesteuerung werden dagegen sämtliche Wertsteigerungen erfasst.

Wie sind aber die von Bestandsrentnern bis zur Verkündung des AltEinkG (BGBl 2004 I S. 1427) gebildeten Wertsteigerungen der Einzahlungsphase in der Vergleichs- und Prognoserechnung zur Prüfung auf eine etwaige Doppelbesteuerung zu behandeln? Weiterlesen

Doppelbesteuerung der Rente: Verfassungsrechtlich fraglich und ungerecht

Wer ein Leben lang einer Beschäftigung nachgegangen ist, der sollte im Alter von den Renteneinkünften leben können. So zumindest die Idealvorstellung. Diese Idealvorstellung geht allerdings nicht immer auf. Altersarmut wird immer mehr zu einem Thema und lässt sich nicht alleine mit steigenden Mieten und erhöhten Kaufpreisen begründen. In den kommenden Jahren könnte der Staat immer mehr zu dieser Entwicklung beitragen. Dies liegt an der Doppelbesteuerung der Renteneinkünfte. Weiterlesen

Beiträge zur Rentenversicherung – neues Revisionsverfahren

Wenn das Steuersystem verfassungswidrig durch den BFH und das BVerfG dem folgend ausgelegt wird, werden sich immer wieder Folgerechtsfragen ergeben. Auch so kann „Unruhe“ für Bürger und Berater und gleichzeitig Beschäftigungsgarantie für die Justiz hergestellt werden!

In meinem Beitrag zu den Entscheidungen, besser Nichtentscheidungen, des BVerfG hatte ich auf dieses neue Revisionsverfahren aufmerksam gemacht (X R 23/17). Auf den ersten Blick ein Einzelfall, jedenfalls für Steuerberater und Bürger, die nicht im Grenzbereich zu einem anderen Land leben. Für alle anderen dann von Bedeutung, wenn man bei einem deutschen Arbeitnehmer in das Ausland „geschickt wird“ und dort arbeitet. Aber im Grundsätzlichen auch darüber hinaus von Bedeutung.  Weiterlesen

Doppelte Besteuerung bei Altersbezügen – BFH wirft Nebelkerzen

Die Besteuerung der Altersbezüge und die darauf berufende Rechtsprechung des BFH, geduldet durch das BVerfG, ist kein juristisches Glanzstück und schon gar nicht ein Beitrag zur Rechtssicherheit und zur Umsetzung eines angemessen Rechtsschutzes. Nun hat der BFH zumindest „Klarheit“ geschaffen, dass für jeden Einzelfall des Rentenbezuges geklärt werden muss, ob eine verfassungswidrige Doppelbesteuerung vorliegt. Weiterlesen