Völlig unterschätzt: die Auftraggeberhaftung nach dem MiLoG

Am morgigen Sonntag droht angabegemäß Streit im Koalitionsausschuss. Die SPD überlegt, ob sie die Dokumentationspflichten noch auf den Einzelhandel ausweiten soll. Die CSU fordert weniger Bürokratie und Modifikationen bei der sog. Auftraggeberhaftung. So falsch liegt sie da nicht.

Meine Kollegin Saskia Krusche und ich haben uns für die NWB schon intensiv mit dem neuen MiLoG auseinandergesetzt. Die Dimension der Auftraggeberhaftung ist mir ehrlich gesagt erst vor kurzem klar geworden. Da flatterte mir nämlich als „Rechtsdienstleister“ ein offenbar von Anwaltskollegen verfasstes Schreiben ins Haus:

Wir sollten uns, selbstredend mit einer saftigen Vertragsstrafe bewehrt, verpflichten, dass wir den Lohn nach dem MiLoG bezahlen. Wir sollten garantieren, dass das unsere Nachunternehmer auch tun. Schließlich sollten wir uns zur Freistellung des Auftraggebers von jeglichen Ansprüchen Dritter, insbesondere auch aus der Verhängung von Bußgeldern gegen den Auftraggeber, wegen Nichteinhaltung des MiLoG verpflichten.

Autsch! Auch wir haben schon über solche Knebelformulierungen nachdacht, gewiss. Bis dato bin ich allerdings immer davon ausgegangen, der Mindestlohn sei ein Thema für – Verzeihung! – die „üblichen Verdächtigen“ Bau, Transport, Bewachung usw., also diejenigen Branchen, denen man schon mit dem Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und dem Arbeitnehmerentsendegesetz, auf das wegen der Auftraggeberhaftung ja verwiesen wird, zu Leibe gerückt ist.

Da habe ich mich aber völlig grundlos in falscher Sicherheit gewogen. Dass die Auftraggeberhaftung jedenfalls nach dem Wortlaut in der „Nachunternehmerkette“ keine Grenzen kennt, ist mir erst mit dieser Zuschrift aufgegangen.

In der hitzigen Debatte um den gesetzlichen Mindestlohn und dessen Höhe hat die in § 13 Mindestlohngesetz (MiLoG) normierte Auftraggeberhaftung, die aus dem Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG) stammt und nunmehr bezüglich des Mindestlohns verallgemeinert wird, kaum Beachtung gefunden. Danach haftet der Auftraggeber für Verpflichtungen eines beauftragten Unternehmers, eines Nachunternehmers oder eines von dem Unternehmer oder Nachunternehmer beauftragten Verleihers auf die Zahlung des Mindestlohns „wie ein selbstschuldnerischer Bürge“.

Im Klartext:

Der Auftraggeber kann verschuldensunabhängig von den Arbeitnehmern seines Auftragnehmers, im Prinzip entlang der gesamten Nachunternehmerkette, in Anspruch genommen werden.

Mit der Vorschrift soll dem Mindestlohn im Sinne einer Branchenselbstkontrolle Wirksamkeit verschafft werden. Jeder Auftraggeber muss nun in eigenem Interesse darauf achten, dass die von ihm beauftragten Sub- und Nachunternehmer ihrerseits den Mindestlohn an ihre Beschäftigten zahlen.

Eine präventive Denkweise: Durch die Ausweitung der Auftraggeberhaftung aus dem AEntG für den gesamten Bereich des Mindestlohns sollen Auftraggeber von der Beauftragung „schwarzer Schafe“ unter den Auftragnehmern abgehalten werden.

Es ist also nun an uns Auftraggebern, unsere Vertragspartner äußerst sorgfältig auszuwählen und die Verträge mit ihnen sorgfältig zu gestalten.

In Gedanken gehe ich erstmals unsere Dienstleister unter diesem Aspekt durch: Reinigungsfirma, IT-Dienstleister, Bürocenter, externes Schreibbüro, Seminaranbieter…

Leider korreliert unsere weitgehende Haftung mit äußerst geringen Kontrollmöglichkeiten. Denn als Auftraggeber hat man regelmäßig keine Informationen über die Lohnstruktur, die Liquidität oder gar frühere Verstöße seines Auftragnehmers. Als Auftraggeber ist man letztlich nun gefordert, aktiv auf seine Lieferanten und Dienstleister zuzugehen und deren aktives Mitwirken einfordern, um die Zahlung des Mindestlohns in der Nachunternehmerkette sicherzustellen.

Denn Verstöße gegen das MiLoG können zu extrem hohen Geldbußen einerseits (bis zu € 500.000,00), andererseits bis hin zum Ausschluss von öffentlichen Vergabeaufträgen führen. Denkbar ist auch, dass der Auftraggeber sich dem Vorwurf der Beihilfe zu Straftaten (z. B. Nichterfüllung von Sozialversicherungsbeiträgen, § 266a StGB) ausgesetzt sieht. Während sich die ordnungsrechtliche Haftung mit Blick auf den Nachunternehmer auf positive Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis beschränkt, kann sich der Auftraggeber von seiner verschuldensunabhängigen zivilrechtlichen Haftung als selbstschuldnerischer Bürge nicht befreien. Dies führt zu einem schwer kalkulierbaren Risiko.

Wo auch immer das hinführen mag: Eigentlich braucht jeder Auftraggeber zur Risikominimierung von seinem Sub, Lieferanten oder Dienstleister eine Verpflichtungserklärung. Auch wenn klar ist, dass man im Falle der Inanspruchnahme bei seinem Auftragnehmer wohl keinen Regress mehr nehmen kann, weil der ohnehin schon pleite ist.

Natürlich scheuen wir in unserer Eigenschaft als Lieferant die Abgabe von Garantieerklärungen (denn diese führen zu verschuldenunabhängiger Haftung, sind juristisch also sehr „stark“) und wollen unsere Auftraggeber nicht im Sinne eines Freibriefs im Vorhinein von Bußgeldern freistellen – eine Vereinbarung, die ohnehin sittenwidrig sein dürfte, § 138 BGB.

Denkbar ist jedoch eine Verpflichtungserklärung mit folgenden Eckdaten:

  • Verpflichtung auf die Zahlung von Mindestlohn gemäß MiLoG bzw. desjenigen Lohns, der im Geltungsbereich des AEntG durch einen für allgemeinverbindlich erklärten oder durch Rechtsverordnung nach §§ 7, 7 a oder 11 AEntG festgesetzt ist – für eigene und entliehene Beschäftigte;
  • Erklärung, dass diese Verpflichtungen auch bei den Nachunternehmen durchgesetzt werden;
  • Kontrollmöglichkeit, Vorschlag hierfür:

Sie sind berechtigt, die Einhaltung der Verpflichtungen gemäß vorstehenden Ziffern auf Ihre Kosten durch einen zur Berufsverschwiegenheit verpflichtete(n) Wirtschaftsprüfer/-in vor Ort in unserer Verwaltung überprüfen zu lassen; diese(r) Wirtschaftsprüfer/in muss zur Zusammenarbeit mit unserem/-r Datenschutzbeauftragten bereit sein und vor Beginn der Prüfung eine Datenschutzerklärung hinsichtlich der bei uns verarbeiteten personenbezogenen Daten zu unterzeichnen.

Konsequenz: Der „gläserne“ Lieferant…. In Sachen Qualität, Kalkulation, Savings u.v.m. heute ohnehin schon Usus. Ob es uns gefällt oder nicht.

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