Vorläufiger Rechtsschutz bei Kinderfreibeträgen

Der 7. Senat des Nieders. FG hat ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Kinderfreibeträge ab 2014 (7 V 237/15). Es geht nicht nur um die 1 Jahr zu spät angepasste Erhöhung der Kinderfreibeträge ab 1.1.2015, denn diese hätte bereits nach dem 9. Existenzminimumbericht der Regierung bereits für 2014 erfolgen müssen. Für den Kinderfreibetrag hat der Gesetzgeber einen Durchschnitt ermittelt und diesen als Freibetrag bestimmt. Insbesondere für Kinder, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, ist der Freibetrag an dem Grundfreibetrag zu orientieren. Der V. Senat des BFH hat für diese Streitfrage den vorläufigen Rechtsschutz nicht gewährt (V B 37/16).Über diesen Beschluss kann ein gewissenhafter Anwender von Steuer- und Verfassungsrecht nur erzürnt sein. Der 7. Senat des Nieders. FG hat immerhin auf 40 Seiten seinen Aussetzungsbeschluss begründet. Der BFH schafft seine rechtliche gegensätzliche Vorstellung auf knapp 6 Seiten. Das wäre eine „Meisterleistung“ wenn die Entscheidung stimmig wäre. Ist sie leider aber nicht.

Der V. Senat zieht sich auf eine rein formale Betrachtung zurück und nennt die Fälle, in denen vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren ist. Er verschweigt die  Besonderheiten des Streitfalles. Die Rechtsfrage ist bislang nur im Verfahren über den vorläufigen Rechtsschutz an den BFH gelangt. Das Hauptsacheverfahren ist erst später beim FG eingegangen und zur Zeit noch anhängig (7 K 83//16). In diesem Fall ist eine Vorlage an das BVerfG zur Überprüfung der Höhe der Kinderfreibeträge zu erwarten (Art. 100 GG).

Der V. Senat verweigert den durch Art. 19 GG garantierten Rechtsschutz, weil noch kein Verfahren beim BVerfG hinsichtlich der Überprüfung der Norm vorliegt. Bereits dieser Hinweis ist mehr als fragwürdig und wäre nur dann ein Argument wert, wenn das FG sich nicht mit der Verfassungsmäßigkeit des KFB auseinandergesetzt hätte.

Ein weiterer grundsätzlicher Streit besteht über die Erfordernis des besonderen berechtigten Interesses, wenn es um verfassungsrechtliche Fragen geht. Der V. Senat hat der Antragstellerin ein berechtigtes Interesse nicht zugestanden. Warum, das wird  nicht deutlich herausgearbeitet.

Da man dem V. Senat unterstellen darf, dass er des Lesens kundig ist, bleibt nur die Erkenntnis über, dass der V. Senat die Begründungen des 7. Senates des Nieders. FG nicht gelesen hat. Das war wohl zu viel Arbeit.

Sehr deutlich hat der 7. Senat des Nieders. FG herausgearbeitet, dass bei verfassungsrechtlichen Zweifeln die gleichen Voraussetzungen für den vorläufigen Rechtsschutz gelten müssen als bei strittigen Fragen des einfachen Rechts. Ein besonderes berechtigtes Interesse bei Verstoß gegen höherrangiges Recht kann nicht gefordert werden. Die Hürde für den vorläufigen Rechtsschutz darf nicht erschwert werden. Da nützt es dann auch nicht, wenn der V. Senat die Rechtsprechung .der „Hardliner“ zitiert und so nebenbei die, die anderer Meinung sind. Dazu gehört der ebenfalls für das USt Recht zuständig XI. Senat, der jüngst verdeutlicht hat, dass bei Verstoß von Unionsrecht generell vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren ist (XI B 13/16).

Sehr umfassend hat das Nieders. FG die Gründe für die weitere Verfassungswidrigkeit der Höhe der KFB ausgeführt. Unter Beachtung dieser Ausführung ist es eine Frechheit ohne Auseinandersetzung mit diesen Gründen den vorläufigen Rechtsschutz auszuschließen. Es ist ein Armutszeugnis unseres Rechtsstaates, wenn Vertreter der Justiz derart mangelhaft und lustlos wesentliche Verfassungsrechtsfragen offensichtlich unterschätzen. Nun gut, wer für das Spezialgebiet UStG zuständig ist, wird sich um die „lästigen Fragen Kindergeld, Kinderfreibeträge“ nicht fachlich erfreuen müssen. Deshalb darf aber dieses Rechtsgebiet nicht auf Kosten der Rechtssuchenden vernachlässigt und Sorgfalt ausgeschossen werden.

Es spiegelt sich in diesem Verhalten ebenfalls die Kinderfeindlichkeit unserer Gesellschaft wider. Kinderarmut nimmt in Deutschland, einem überdurchschnittlich reichem Land, zu. Wenn selbst die kontrollierenden Staatsorgane an dieser Stelle versagen und ein (zu niedriges) Existenzminimum rechtlich bestätigen  und weitere Fehlentwicklungen des ESt-Rechts in diesem Bereich mittragen, dürfen wir uns nicht wundern, wenn diese Entwicklungen sich weiter manifestieren. Die Justiz erfüllt nicht ihren Kontrollauftrag (bis auf einige wenige) in diesem Bereich.

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