Was war das Schlimmste in 2016 – Rechtsbruch aus dem Justizministerium?

Wenn ich darüber nachdenke, was mich in Bezug auf Fragen der Rechnungslegung und Prüfung im letzten Jahr am meisten getroffen hat, dann ist es nicht die Vielzahl neuer Vorschriften. Da muss man sich durcharbeiten und akzeptieren, dass die Normungsqualität häufig allein schon deswegen nicht besonders hoch ist, weil dem fachkundigen Leser nicht leicht klar wird, was der Normgeber eigentlich will. Das kann private Standardsetzer wie auch Gesetzgeber betreffen. Wirklich schlimm fand ich im Jahr 2016 die Veröffentlichung von DRS 23 durch das Bundesministerium der Justiz im Hinblick auf die dort vorgegebene Empfehlung zur Bestimmung des beizulegenden Werts eines Geschäfts- oder Firmenwerts.

Der Geschäfts- oder Firmenwert ist zwar kein Vermögensgegenstand, weil er sich dem Kriterium der selbständigen Verwertbarkeit entzieht. Zudem ist er nicht losgelöst vom Rest eines Unternehmens zu bewerten. Um den entgeltlich erworbenen Geschäfts- oder Firmenwert dennoch in die Bilanz aufnehmen zu können, fingiert der Gesetzgeber ihn als immateriellen Vermögensgegenstand des Anlagevermögens („gilt als“, § 246 Abs. 1 Satz 4 HGB). Damit unterliegt er dem gemilderten Niederstwertprinzip, wonach er außerplanmäßig abzuschreiben ist, wenn sein beizulegender Wert voraussichtlich dauerhaft unter dem Buchwert liegt (§ 253 Abs. 3 Satz 5 HGB).

Generell stellt ein Geschäfts- oder Firmenwert immer das Residuum aus einem Gesamtunternehmenswert und dem Saldo (Nettovermögen) aus sonstigem Vermögen und Schulden dar. Bei erstmaliger Erfassung ergibt er sich als Differenz von Unternehmenskaufpreis und Zeitwert des selbständig bilanzierbaren Nettovermögens. Dabei ist eine meist sehr aufwändige Kaufpreisallokation durchzuführen, bei der der Zeitwert der bisher bilanzierten und auch nicht bilanzierten Vermögens- und Schuldposten zu ermitteln ist.

Fraglich ist, wie man nun den beizulegenden Wert in der Folgezeit ermitteln soll. Der Gesamtunternehmenswert wird weitgehend unstrittig regelmäßig nach den Unternehmensbewertungsgrundsätzen als Barwert erwarteter Einzahlungs- oder Ertragsüberschüsse ermittelt. Klingt einfach, ist aber äußerst anspruchsvoll in der praktischen Anwendung, weil eine Prognose der Überschüsse und ein angemessener Diskontierungszins ermittelt werden müssen.

Die problematische Frage ist hingegen, wie das vom Gesamtunternehmenswert abzuziehende Nettovermögen bestimmt wird. Im Gegensatz zum HGB finden sich international zwei Ansätze. Die IFRS greifen dabei auf den Buchwert des am Bewertungsstichtag bilanzierten Nettovermögens zurück. Nach der US-amerikanische Vorgehensweise ist losgelöst von der tatsächlichen Bilanzierung der beizulegende Zeitwert des vorhandenen Nettovermögens zu verwenden.

Das DRSC hatte vorgeschlagen, den beizulegenden Wert in Anlehnung an das US-amerikanische Verfahren als sogenannten „impliziten Geschäfts- oder Firmenwert“ zu ermitteln (E-DRS 30.126). Das hätte bei jeder Wertermittlung faktisch die Durchführung einer aufwändigen Kaufpreisallokation erzwungen. Begründet wurde das nicht weiter. Vermutlich stand der fehlgeleitete Gedanke dahinter, den Geschäfts- oder Firmenwert dem Einzelbewertungsgrundsatz zu unterwerfen, obwohl der Rückgriff auf das Nettovermögen bei der Wertermittlung gerade die fehlende Einzelbewertbarkeit zeigt.

Für den Vorschlag hat das DRSC in der Kommentierung und vor allem in der Literatur voll und ganz zu Recht durchgängig „Prügel bezogen“. Die Praxis hat sich vor allem am Aufwand der Wertermittlung und damit an fehlender Praktikabilität gestoßen. Das passt so gar nicht zur Leitlinie des Gesetzgebers, die Rechnungslegung nach HGB als kostengünstige und einfache Alternative zu der nach IFRS anzubieten.

Entscheidend spricht gegen die Orientierung an der US-amerikanischen Vorgehensweise jedoch der Verdacht eines evident damit verbundenen Rechtsbruchs. Bei der Auslegung von Rechnungslegungsrecht, das auf europäischem Recht basiert, ist nach verfassungsrechtlicher Rechtsprechung der Rückgriff auf das europäische Recht zwingend. Die europäische Bilanzrichtlinie enthält jedoch keine Vorgabe zur Wertermittlung. Nach Auffassung des EuGHs sind bei Auslegungsfragen zum Rechnungslegungsrecht auch die IFRS heranzuziehen, die nach Übernahme durch die EU ohnehin europäisches Recht sind. Das führt aber zur einfachen Vorgehensweise, wonach der beizulegende Wert des Geschäfts- oder Firmenwertes als Differenz von Gesamtunternehmenswert und bilanziertem Nettovermögen zu ermitteln ist. Sich daran nicht zu orientierten, provoziert mithin den Vorwurf der Europarechtswidrigkeit. Losgelöst davon kann die US-amerikanische Vorgehensweise ins deutsche Recht übertragen zu unsinnigen Ergebnissen führen.

Die durchgängige Ablehnung des Vorschlags hat das DRSC leider nicht vollständig auf den richtigen Weg zurückgebracht. Stattdessen hat man sich für eine windige Lösung entschieden mit einem faktischen Wahlrecht zwischen den Verfahren und einer Zwischenlösung, wobei die US-amerikanische Methodik empfohlen wird (DRS 23.128 f.). Jetzt könnte man zum Eindruck kommen, das schadet keinem, jeder macht was er will und das DRSC hat sein Gesicht gewahrt. Damit könnte man beim Zustand auch ohne einen Standard des DRSC sein. So einfach ist das aber nicht, denn wie ausgeführt erscheint die vom DRSC empfohlene Orientierung am impliziten Wert rechtlich nicht vertretbar. Nur nebenbei stellt sich die Frage, wozu man angesichts des faktischen Wahlrechts eine Regelung durch das DRSC überhaupt benötigt.

All das könnte man noch als Gezänk unter Wirtschaftsprüfern, Rechnungslegern und Hochschullehrern abtun. Das eigentliche Problem liegt eher darin, dass das Bundesjustizministerium mit DRS 23 die DRSC-Regelungen zur außerplanmäßigen Abschreibung des Geschäfts- oder Firmenwerts bekannt gemacht hat. Nach der hier vertretenen Auffassung kann man das als Aufforderung der Exekutive zum Rechtsbruch verstehen. Immerhin bleibt der Praxis die Möglichkeit, sich für die richtige, nicht vom DRSC empfohlene Vorgehensweise zu entscheiden.

Schon früher dachte ich über einen Blog zur Thematik nach. Ich wollte aber zunächst Abstand zum Vorgang gewinnen. Das hat leider nicht geholfen. Auch mit dem gewonnenen Abstand empfinde ich den Sachverhalt nicht als weniger schlimm. Zum Glück gibt es aber wichtigeres als die Rechnungslegung und die Welt wird daran nicht zugrunde gehen.

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