Aufreger des Monats Juni: Quantilsschätzung genehmigt – BFH-Rechtsprechung missachtet

Wenn es (von wem auch immer) irgendwann einen Preis für das Finanzgericht vergibt, das in meinem „Aufreger des Monats“ am häufigsten genannt wird, hat das FG Hamburg gute Chancen auf den Pokal. Auch im Juni 2018 hat es dieses Finanzgericht wieder geschafft. Mit Urteil vom 5.3.2018 (3 K 205/15) hat es die so genannte Quantilsschätzung als zulässige Schätzungsmethode eines gastronomischen Betriebs genehmigt.

Es ging um ein griechisches Restaurant, dessen Inhaber es in der Tat mit der Kassenführung nicht so genau genommen hat. Fraglich war nun, in welcher Höhe eine Hinzuschätzung vorzunehmen war. Die Prüferin nahm eine Hinzuschätzung nach der Quantilsmethode vor. Diese Methode hier vorzustellen, würde den Rahmen des Blogs sprengen. Vereinfacht gesagt geht es darum, dass mittels Zeitreihenvergleich, Wareneinsatz und Verkaufserlösen bestimmte Rohgewinnaufschlagssätze ermittelt werden. Dann bleiben zum Beispiel 20 Prozent der obersten Datensätze außer Betracht und man erhält so das 80-Prozent-Quantil. Der nächsthöchste Wert ist dann – vermeintlich – der zutreffende Schätzwert, der dem gesamten Prüfungszeitraum zugrunde gelegt wird.

Nun hat der BFH mit Beschluss vom 12.7.2017 (X B 16/17) ernstliche Zweifel an der Zulässigkeit einer Quantilsschätzung geäußert. Die Methode sei im Verhältnis zu anderen Schätzungsmethoden nachrangig; gegebenenfalls seien deutliche Abschläge erforderlich.

Trotz dieser Bedenken hat eine Einzelrichterin des FG Hamburg die Quantilsschätzung im Besprechungsfall als zulässig erachtet. Nun kommt es: Sie weist in der Urteilsbegründung selbst darauf hin, dass sie die Zweifel des BFH zur Kenntnis genommen hat, lässt aber die Revision nicht zu. Da habe ich doch – wie so oft – ernsthafte rechtsstaatliche Bedenken.

Um an dieser Stelle eine Lanze für die Finanzbeamten und die Finanzrichter zu brechen: Natürlich ist die Gastronomiebranche anfällig für Steuerhinterziehungen. Und die Kassenführung so mancher Restaurantbezieher ist ein Grauen. Auch ein Richter wird sich sicherlich ein subjektives Bild machen und zu der Überzeugung gelangen, dass Umsätze nicht in tatsächlicher Höhe erklärt worden und (hohe) Hinzuschätzungen erforderlich sind. Und wahrscheinlich liegen Finanzverwaltung und Gerichte zum Teil sogar noch unter den tatsächlichen Umsätzen.

Nur: Ein Urteil muss rechtsstaatlich begründet sein. Ich darf bestimmte Schätzungsmethoden, für die es nicht einmal wissenschaftlich-mathematische Gutachten gibt, nicht in den „Gesetzesrang“ erheben. Den Finanzrichtern, gerade auch wenn sie als Einzelrichter auftreten, muss klar sein, dass ihre Urteile zu Prüfungs- und Schätzungsmethoden erhebliche Auswirkungen haben. Jedes für die Finanzverwaltung positive Urteil wird von den Prüfern genüsslich zur Kenntnis genommen und sofort bundesweit in die Dokumentationen der Prüfungsstellen aufgenommen. Betroffene Steuerpflichtige sehen sich später in den Prüfungen mit den Entscheidungen bzw. zweifelhaften Schätzungsmethoden konfrontiert. Das erzeugt bei diesen enorme psychologische Belastungen. Nicht jeder hat die Nerven (und das Geld), ein FG- oder sogar BFH-Verfahren zu durchlaufen. Im Besprechungsfall ist jedenfalls zu hoffen, dass der Kläger die Nerven hat und Nichtzulassungsbeschwerde einlegen wird.

Zu dem Thema „Schätzungsmethoden und Hinzuschätzungen“ siehe auch: Bleschick (Richter am FG Münster) in  DStR 2018, S. 1050 u. 1105

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