Bundesregierung verabschiedet BMF-Gesetzentwurf zum Solidaritätszuschlag

Die Abschaffung des Solidaritätszuschlags („Soli“) war noch bis zum 19.8.2019 ein steuerpolitischer Zankapfel der Regierungsparteien. Jetzt hat die Bundesregierung aber nun doch den BMF-Gesetzentwurf beschlossen: Ab 2021 soll der „Soli“ für rund 90 Prozent der Steuerzahler ganz entfallen, weitere 6,5 Prozent werden stufenweise entlastet, für „besserverdienende“ 3,5 Prozent der Steuerzahler bleibt der Soli aber unverändert – ob das vor den Gerichten halten wird?

Hintergrund

2017 haben sich die Regierungsparteien im Koalitionsvertrag verständigt, „insbesondere untere und mittlere Einkommen beim Solidaritätszuschlag [zu] entlasten“. Sie wollten 2021 mit einem „deutlichen ersten Schritt“ beginnen, durch den „rund 90 % aller Soli-Zahler durch eine Freigrenze (mit Gleitzone) vollständig vom Soli entlastet“ werden sollen. Die vereinbarte Reduzierung soll 10 Mrd. Euro für das Jahr 2021 betragen, also gut die Hälfte des aktuellen jährlichen Aufkommens von knapp 17 Mrd. Euro. Diese Vereinbarung sieht das BMF mit seinem Gesetzentwurf vom 6.8.2019 umgesetzt; darüber hatte ich berichtet. Der Bundeswirtschaftsminister wollte demgegenüber eine stufenweise vollständige Abschaffung des Soli bis 2026 für alle Steuerzahler, insbesondere zur Entlastung und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft.

BMF-Gesetzentwurf setzt sich durch

Noch am vergangenen Sonntag sah es nach der kontroversen Diskussion innerhalb der Regierung um die Zukunft des Solidaritätszuschlags nicht nach einer schnellen Einigung aus. Am 21.8.2019 hat sich die Regierungskoalition nun doch auf den unveränderten BMF-Gesetzentwurf geeinigt. Damit hat sich der Bundesfinanzminister durchgesetzt. Mit dem „Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlages 1995“ wird die bestehende Freigrenze in § 3 SolzG 1995 von bisher 972 €/1.944 € (Einzel-/Zusammenveranlagung) auf 16.956 €/33.912 € angehoben; hiermit sollen rund 90 Prozent der vom Solidaritätszuschlag betroffenen Steuerzahler vollständig befreit werden. Durch Änderung von § 4 S.2 SolzG 1995 wird eine sog. „Milderungszone“ mit Begrenzung der zusätzlichen steuerlichen Grenzbelastung und Vermeidung eines Belastungssprungs eingeführt; hiervon profitieren rund weitere 6,5 Prozent der Steuerzahler.

Verfassungsrechtliche Risiken bleiben

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung spricht in seiner Zielsetzung zwar von „einem ersten Entlastungsschritt“, lässt aber offen, ob und wann weitere Entlastungsschritte folgen sollen. Im Gegenteil: „Die Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte rechtfertigt es auch, einen Teil der Einkommensteuerpflichtigen nicht zu erfassen (BVerfGE 32,333 (339)).“

Auf gut Deutsch: Es ist recht und billig, dass 3,5 Prozent „Besserverdienende“ auch weiterhin den Solidaritätszuschlag bezahlen und damit die Umsetzung des föderalen Konsolidierungsprogramms der Wiedervereinigung allein finanzieren. Drängt sich da nicht ein Verfassungsverstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) förmlich auf? Das sieht offenbar auch das Bundesjustizministerium (BMJ) so, das auf eine Nachbesserung der Gesetzesbegründung drängt.

Das Bundesverfassungsgericht hat zwar den Soli für das Jahr 2007 für verfassungsgemäß erklärt (BVerfG v. 8.9.2010 – 2 BvL 3/10), ein weiteres Verfahren ist seit 2014 anhängig (BVerfG – 2 BvL 6/14). Richtig ist auch, dass Ergänzungsabgaben (Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG) weder zeitlich befristet werden müssen und auch für alle anfallenden Ausgaben verwendet werden können. Eine „Ergänzungsabgabe“ hat aber die Funktion, einen zusätzlichen Finanzbedarf des Bundes ohne Erhöhung der Verbrauchsteuern zu decken. Es muss also ein ausschließlicher Mehrbedarf des Bundes vorliegen, für dessen Deckung die Erhöhung der ESt und KSt keine befriedigende Lösung darstellt. Da eine Ergänzungsabgabe einen „vorübergehenden“ aufgabenbezogenen Mehrbedarf des Bundes abdecken soll, darf sie kein dauerhaftes Instrument der Steuerumverteilung sein oder werden, weil ein „Dauerbedarf“ über Steuereinnahmen zu decken ist.

Deswegen kann auch eine ursprünglich verfassungsgemäß beschlossene Ergänzungsabgabe im Zeitablauf verfassungswidrig werden, wenn sich die Verhältnisse, die für die Einführung maßgebend waren, grundlegend ändern (BFH v. 21.7.2011 – II R 52/10, Rz.25). Schon in Zusammenhang mit dem Soli für den Veranlagungszeitraum 2007 hat der BFH zu bedenken gegeben, dass die zu finanzierenden Sonderlasten für den „Aufbau Ost“ fortlaufend gesunken sind. Nachdem die Zweckbindung des „Soli“ an den  bis 31.12.2019 auslaufenden „Solidarpakt II“ am Jahresende wegfällt, spricht vieles dafür, dass die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Ergänzungsabgabe ab 1.1.2020 entfällt. Denn auch in der Gesetzesbegründung zur Rückführung des „Soli“ ab 2021 findet sich kein einziger Hinweis, welche Aufgabe denn nach dem 31.12.2019 durch eine Ergänzungsabgabe denn zu finanzieren sei (etwa die Förderung strukturschwacher Gebiete in Gesamtdeutschland).

Wie geht’s weiter?

Nach der Entscheidung der Bundesregierung geht der Gesetzentwurf nun ins übliche parlamentarische Verfahren. Da der Solidaritätszuschlag eine direkte Bundessteuer ist, deren Aufkommen ausschließlich dem Bund zusteht (Art. 106 Abs. 1 GG), ist eine Zustimmung des Bundesrats (Art. 105 GG) zu dem Änderungsgesetz nicht erforderlich.

Allerdings: Schon jetzt zeichnet sich ab, dass das geplante Gesetz nicht „ungeschoren“ davon kommt, die FDP hat bereits eine verfassungsrechtliche Überprüfung durch das BVerfG angekündigt.

Fazit

Auch nach Umsetzung des Gesetzes bleibt der „Soli“ als „Reichensteuer“ für 3,5 Prozent der Steuerzahler auch in Zukunft erhalten. So betrachtet entpuppt sich der „Solidaritäts“-Zuschlag in Zukunft erst recht als Etikettenschwindel. Er ist in Wahrheit eine materielle Steuererhöhung für Besserverdienende. Nicht akzeptabel: Nur noch rund 3,5 Prozent der Steuerzahler zu belasten, das hat mit „Solidarität“ nichts mehr zu tun!

Weitere Informationen:

Gesetzentwurf vom 6.8.2019

Lesen Sie hierzu auch:

2 Gedanken zu “Bundesregierung verabschiedet BMF-Gesetzentwurf zum Solidaritätszuschlag

  1. Warum hat das BVerfG noch nicht über das Verfahren – seit Jahren anhängig und in den Steuerbescheiden Ursache für die Vorläufigkeit der Veranlagungen seit Jahren – entschieden?
    Dann wäre dieses Thema bereits seit Jahren erledigt. Wieso ging dies bei Erbschaftsteuer und Grundsteuer viel schneller?

  2. Sehr geehrter Herr Albrecht

    natürlich haben Sie Recht mit Ihrem Hinweis. Eine klare Entscheidung des BVerfG würde vieles erhellen. Allerdings steht das Verfahren 2 BvL 6/14 auch in 2019 nach der Entscheidungsvorschau des BVerfG nicht zur Entscheidung an (siehe link). Das ist ärgerlich, aber nicht zu ändern; denn das BVerfG entscheidet bekanntlich nicht nach dem Datum des Eingangs, sondern nach anderen Parametern. Und das gerade der Solidaritätszuschlag ein „Igel“, den man besser nicht in die Hand nimmt, liegt auf der Hand ….

    https://www.bundesverfassungsgericht.de/DE/Verfahren/Jahresvorausschau/vs_2019/vorausschau_2019_node.html

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

− 5 = 2