Bundessozialgericht stärkt das Ehrenamt

Ehrenamtliche Tätigkeit begründet kein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis

Seit vielen Jahren warteten die Verantwortlichen in Verbänden und Kammern auf eine grundsätzliche Entscheidung zur Sozialversicherungspflicht im Ehrenamt. Mit Urteil des BSG vom 16.08.2017 (B 12 KR 14/16 R) hat das Warten nun ein Ende. Grund genug für mich, mit diesem Thema hier im NWB Experten-Blog einzusteigen.

Seit einer Entscheidung des Bundessozialgerichts aus dem Jahre 2001 zur Sozialversicherungspflicht eines hauptamtlich beschäftigten Vereinsvorstandes in einem gemeinnützigen Verein war jedenfalls klar, dass sich Vorstände von privatrechtlich organisierten Vereinen (rechtsfähige Vereine im Sinne von § 21 BGB) nicht auf eine Ausnahmevorschrift des Sozialversicherungsrechtes berufen können, wonach Vorstände von Aktiengesellschaften sozialversicherungsfrei ihre Tätigkeit ausüben können (BSG Urteil vom 19.06.2011, B 12 KR 44/00 R). Diese ablehnende Haltung zur analogen Anwendung der sozialversicherungsfreien Tätigkeit von Vorständen in Aktiengesellschaften entspricht dann auch im Übrigen der sozialgerichtlichen Rechtsprechung (vergleiche etwa zuletzt LSG Sachsen Urteil vom 15.10.2015, L1 KR 92/10; BSG Urteil vom 06.10.2010, B 12 KR 20/09 R).

Offen blieb höchstrichterlich, ob eine durch ehrenamtliches Engagement geprägte Tätigkeit in Vereinen und Kammern der Sozialversicherungspflicht unterworfen ist oder nicht.


Welche Fälle sind betroffen?

Betroffen sind all jene Fälle, bei denen etwa in privatrechtlich organisierten Berufs-und Wirtschaftsverbänden oder gemeinnützigen Organisationen bzw. berufsständischen Kammern Organtätigkeiten ausgeübt werden, für die zwar ein pauschaliertes Entgelt gezahlt wird, welches jedoch unstreitig keine hauptberufliche Tätigkeit darstellt und vergütet, sondern letztlich ehrenamtliches Engagement belohnt.

Der sozialrechtliche Ausgangspunkt: Nach § 7 Abs. 4 SGB IV kommt es für die Sozialversicherungspflicht in den klassischen Versicherungssparten der Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung bzw. Krankenversicherung darauf an, ob ein sozialversicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis vorliegt oder nicht. Nach dieser Bestimmung liegt eine Beschäftigung vor, wenn eine Tätigkeit nach Weisungen unter Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers erfolgt, was in der Regel bei einem Arbeitsverhältnis der Fall ist. Aus dieser Gesetzesbestimmung leitet dann das Bundessozialgericht in ständiger Rechtsprechung ab, dass das Beschäftigungsverhältnis Merkmale der persönlichen Abhängigkeit ähnlich den arbeitsrechtlichen Begriffen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer trägt und damit regelmäßig dann gegeben ist, wenn ein Beschäftigter in einen fremden Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Tätigkeit umfassenden Weisungsrecht des Betriebsinhabers unterliegt. Bejaht man diese Tatbestandsmerkmale, so ist auch eine Sozialversicherungspflicht gegeben.

Abgrenzung zur selbständigen Tätigkeit

Abzugrenzen ist dieses Verständnis des Beschäftigten von einer selbständigen Tätigkeit, die durch eigenes Unternehmerrisiko sowie in der Regel eine eigene Betriebsstätte und die eigenverantwortliche Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft geprägt ist, letztlich also eine Tätigkeit frei auch hinsichtlich Zeit, Dauer und Ort gestaltet werden kann (BSG Urteil vom 30.10.2013, B 12 KR 17/11 R, NWB DokID: OAAAE-57121).

Unter diese unbestimmten Rechtsbegriffe des § 7 Abs. 4 SGB IV hat dann das Bundessozialgericht verschiedentlich auch ehrenamtliche Tätigkeit subsummiert, so etwa die Tätigkeit eines Kreisbrandrats, der regelmäßig eine Beschäftigung im Sinne des § 7 Abs. 4 SGB IV ausüben soll, weil er dem allgemeinen Erwerbsleben zugängliche Verwaltungsaufgaben wahrnimmt und hierfür eine pauschale Aufwandsentschädigung erhält, die über den tatsächlichen Aufwand für seine Tätigkeit hinausgeht (BSG, Beschluss vom 04.04.2006, B 12 KR 76/05 B). In anderen Fällen wurde eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit im Ehrenamt verneint, wenn die Art der Tätigkeit letztlich Ausfluss der Mitgliedschaft in einem Verein ist und damit mit der Tätigkeit letztlich nur Mitgliedschaftspflichten erfüllt werden (BSG, NZS 1994, 323).

Urteil des LSG Schleswig-Holstein: Ehrenamt ist sozialversichungspflichtig

In diese indifferente Gemengelage platzte dann am 25.06.2015 das Landessozialgericht Schleswig Holstein mit einer Entscheidung zur Sozialversicherungspflicht einer Tätigkeit eines Kreishandwerksmeisters in einer Kreishandwerkerschaft (L 5 KR 125/13, NWB DokID: IAAAF-01605) . Was war passiert?

In der Entscheidung ging es um einen Kreishandwerksmeister, der in der Kreishandwerkerschaft, einer Körperschaft des öffentlichen Rechts aus dem Recht der Handwerksordnung, die Funktion eines ehrenamtlichen Vorstandes übernimmt. In dem entschiedenen Fall hatte der fragliche Kreishandwerksmeister in einem Jahr 7.200 € an pauschaler Aufwandsentschädigung für seine Tätigkeit im Ehrenamt erhalten. In den Vorjahren war die Vergütung mit 4.500 € bzw. 3.690 € noch geringer. Nach der Satzung der Kreishandwerkerschaft zählt es zu den Aufgaben des fraglichen Kreishandwerksmeisters, Repräsentationsaufgaben für die Körperschaft wahrzunehmen, jedoch auch die Tätigkeit der hauptamtlich besetzten Geschäftsstelle zu überwachen. Diese Überwachung wurde durch wöchentliche Abstimmungen zwischen dem Kreishandwerksmeister und dem hauptamtlichen Geschäftsführer vorgenommen.

In dieser Tätigkeit sah das Landessozialgericht eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im Sinne von § 7 Abs. 4 SGB IV. Letztlich orientierte sich das Gericht strikt an der Trennung einer weisungsgebundenen abhängigen und damit nichtselbständigen Beschäftigung von einer selbständigen Tätigkeit, die einer unternehmerischen Aktivität gleichzustellen sei.

Diese Entscheidung war über den Spezialfall einer Kreishandwerkerschaft hinaus für sämtliche ähnlich strukturierten Organisationen, wie etwa die Berufs- oder Wirtschaftsverbände sowie gemeinnützige Organisationen bedeutsam, da alle vergleichbaren Organisationen den ehrenamtlich tätigen Vorständen neben den Repräsentationsaufgaben schon kraft Gesetzes Geschäftsleitungsaufgaben und damit Verwaltungsaufgaben zuweisen. So ist etwa in einem privatrechtlich organisierten Verein nach § 27 BGB der Vorstand als Beauftragter des Vereins auch für dessen Geschäftsführung verantwortlich, losgelöst davon, ob es eine hauptamtlich besetzte Geschäftsstelle gibt oder nicht. Will er diese gesetzlich zugewiesenen Aufgaben rechtstreu erfüllen, muss er eine solche hauptamtliche Geschäftsstelle überwachen und kontrollieren, da er ansonsten Gefahr läuft, seine organschaftlichen Pflichten zu verletzen.

Wenn jetzt nach der Entscheidung des Landessozialgerichts diese Überwachungsfunktion auch im Ehrenamt prägend für den Beschäftigungsbegriff im Sinne sozialrechtlicher Bestimmungen ist, wäre die Konsequenz klar: Jede über Freibeträge hinausgehende pauschale Aufwandsentschädigung wäre der Sozialversicherungspflicht unterworfen!

Urteil des BSG: Ehrenamt bleibt sozialversichungsfrei

Diesem Verständnis des Beschäftigungsbegriffes im Ehrenamt hat jetzt das Bundessozialgericht im zugelassenen Revisionsverfahren eine Absage erteilt (Urteil vom 16.08.2017, B 12 KR 14/16 R). Nach Auffassung der obersten Richter im Sozialrecht ist eine ehrenamtliche Tätigkeit auch dann in der gesetzlichen Sozialversicherung beitragsfrei, wenn neben Repräsentationspflichten auch Verwaltungsaufgaben wahrgenommen werden, die unmittelbar mit dem Ehrenamt verbunden sind. Eine hierfür gezahlte auch pauschale Aufwandsentschädigung ist nicht sozialversicherungspflichtig. Nach Auffassung des 12. Senats  zeichnet sich das Ehrenamt durch die Verfolgung eines ideellen, gemeinnützigen Zweckes aus und unterscheidet sich damit vollständig von einer beitragspflichtigen erwerbsorientierten Beschäftigung im sozialversicherungsrechtlichen Sinne. Hieran ändert auch eine Aufwandsentschädigung selbst dann nichts, wenn sie pauschal und nicht „centgenau“ abgerechnet wird.

Auch Verwaltungsaufgaben führen nicht zu einer Beschäftigung, wenn sie unmittelbar mit dem Ehrenamt verbunden sind und damit Ausfluss der organschaftlichen Verantwortung des jeweiligen ehrenamtlichen Funktionsträgers sind. Ehrenamtlich Tätige sein nun einmal nicht mit Personen zu vergleichen, die zu Erwerbszwecken arbeiten. Damit kommt es auch nicht darauf an, ob der jeweils im Ehrenamt tätige Funktionsträger eine selbständige Tätigkeit im herkömmlichen Sinne ausübt, also ein Unternehmerrisiko trägt und eigene Betriebsmittel einsetzt. Die ganze Diskussion und Abgrenzung zwischen selbständiger Tätigkeit einerseits und sozialversicherungsrechtlicher Beschäftigung andererseits kommt im Ehrenamt an ihre Grenzen und verliert ihren Sinn. Zwar sei es wünschenswert, wenn der Gesetzgeber dies einmal klarstellt. Für den hier zu entscheidenden Fall des Kreishandwerksmeisters wurde jedoch eine Sozialversicherungspflicht verneint.

Bedeutung des Urteils und Fazit

Das Urteil des Bundessozialgerichts hat über den engen Anwendungsbereichs der Handwerksorganisationen und damit der öffentlich-rechtlichen Kammern hinaus Bedeutung. Er stärkt das Ehrenamt in allen vergleichbaren Organisationen, gleich ob privatrechtlich oder öffentlich-rechtlich organisiert. Auch typische Verwaltungsaufgaben, die ehrenamtliche Vorstände in Vereinen schon kraft Gesetzes miterledigen, sind künftig nicht mehr sozialversicherungspflichtig, solange die Grenze zu einem vom Erwerbszweck geprägten Hauptamt nicht überschritten wird, solange eine angemessene Aufwandsentschädigung für eine ehrenamtlich geprägte Tätigkeit gezahlt wird.

Lesen Sie hierzu auch:

Wickert, Vereinsvorstände und Sozialversicherungspflicht – Entscheidende Kriterien zur korrekten sozialversicherungsrechtlichen Bewertung, NWB 2014 S. 1586 (NWB DokID: RAAAE-64209) (für Nicht-Abonnenten kostenpflichtig)

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