Der Fremdgeschäftsführer durch die unionsrechtliche Brille

Nun predigt man als Arbeitsrechtler seinen Mandanten stets, dass der Geschäftsführer als Organ kein Arbeitnehmer und deshalb beispielsweise  bei der Berechnung des Schwellenwerts für das Kündigungsschutzgesetz nicht mitzurechnen sei. Dann kommt der EuGH mit Urteil vom 09.07.2015 – Rs. C-229/14 – und stuft jedenfalls den Fremdgeschäftsführer „unionsrechtlich“ als Arbeitnehmer im Sinne der Massenentlassungsrichtlinie (Richtlinie 98/59/EG) ein (siehe hierzu ausführlich Steinheimer/Baumüller, NWB 42/2015, S. 3111).

Folge für die Praxis: Bei der Anwendung der nationalen Vorschrift über die Massenentlassungsanzeige (§ 17 Kündigungsschutzgesetz – KSchG) ist der Fremdgeschäftsführer einer GmbH „als Arbeitnehmer“ mitzuzählen. Wie kommt es zu derart absurden Ergebnissen? Um das verstehen zu können, muss man sich Folgendes vor Augen halten:

Viele nationale Vorschriften (Betriebsübergang, Mindesturlaub, Befristung, etc. – die Liste ließe sich lange fortsetzen) basieren, ohne dass es der Laie erkennen kann, auf EU-Richtlinien. Anders als EU-Verordnungen gelten EU-Richtlinien grundsätzlich nicht direkt, sie müssen ins jeweilige nationale Recht „transformiert“ werden.

Soweit Rechtsvorschriften in dieser Weise auf EU-Recht basieren, fragen die nationalen Gerichte, vorliegend das deutsche Arbeitsgericht Verden, beim EuGH an, wie dieses oder jenes der betreffenden Rechtsvorschrift zu verstehen sei.

Vorliegend trug ein Arbeitnehmer in seiner Kündigungsschutzklage vor, die Kündigung sei bereits deswegen unwirksam, weil u. a. ein Fremdgeschäftsführer (aber auch eine Umschülerin) nicht korrekt bei der Ermittlung des Schwellenwerts für die Massenentlassungsanzeige mitgezählt worden seien. Tatsächlich würden seiner Meinung nach beide dazuzählen, sodass eine Massenentlassungsanzeige an die Bundesagentur für Arbeit notwendig gewesen wäre. Eine solche war unstreitig nicht erstattet.

Das Arbeitsgericht Verden konnte eigentlich gar nicht anders, als beim EuGH anzufragen, ob unionsrechtlich der Fremdgeschäftsführer denn als Arbeitnehmer zu verstehen sei und bekam prompt die entsprechende Antwort. Jedenfalls der Fremdgeschäftsführer sei Arbeitnehmer. Er sei eine Person, die während einer bestimmten Zeit für eine andere nach deren Weisung Leistungen erbringt und dafür als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Der „deutschrechtliche“ Status des Fremdgeschäftsführers als Organ war „unionsrechtlich“ also völlig unbeachtlich.

Praxistipp: Bei der Anwendung vieler, lediglich auf den ersten Blick nationaler Rechtsvorschriften muss die Rechtsprechung des EuGH beachtet werden. Eine Ausnahme gilt übrigens für das Kündigungsschutzgesetz. Dieses ist ein „originär deutsches Produkt“ und beruht nicht auf einer EU-Richtlinie.

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