Doppelter Urlaubsanspruch?

Welchen Arbeitnehmer freut es nicht, wenn er mehr Urlaub erhält als ihm zusteht. Welchen Arbeitgeber ärgert es nicht, wenn er mehr Urlaub gewährt als er muss.

Die Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers sind im Bundesurlaubsgesetz geregelt. Dort ist auch eine Regelung für den Fall getroffen, wenn der Arbeitnehmer im laufenden Jahr den Arbeitgeber wechselt.

Grundsätzlich entsteht der volle Urlaubsanspruch bei einem neuen Arbeitsverhältnis erst dann, wenn im neuen Arbeitsverhältnis die sechsmonatige Wartefrist verstrichen ist, § 4 BUrlG. Der Anspruch auf Urlaub entsteht nicht, wenn dem Arbeitnehmer für das laufende Kalenderjahr bereits von einem früheren Arbeitgeber Urlaub gewährt wurde.

Typische Situation: ein Arbeitnehmer hat im April eines Jahres bereits seinen vollen Jahresurlaub genommen. Mitte des Jahres wechselt er den Arbeitgeber. Ende des Jahres möchte er seinen Halbjahresurlaub erhalten.

Nach § 6 Abs.1 BurlG besteht der Anspruch auf Urlaub jedoch nicht, soweit dem Arbeitnehmer für das laufende Kalenderjahr bereits von einem früheren Arbeitgeber Urlaub gewährt worden ist.

Grundsätzlich gilt „Wer etwas haben will, muss es beweisen“. Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichtes (BAG v. 16.12.2014 – 9 AZR 295/13) muss ausnahmsweise der Arbeitnehmer nachweisen, dass die Anrechnungsvoraussetzungen nicht vorliegen.

Besonders deutlich wurde dies in dem vom BAG entschiedenen Fall. Dort wechselte der Arbeitnehmer zum April in ein neues Arbeitsverhältnis und wurde dann bis zum Mai des Folgejahres arbeitsunfähig krank. Im alten Jahr hatte er einen Urlaubstag erhalten; laut Vertrag standen ihm in einem Kalenderjahr 30 Urlaubstage zu. Der Arbeitnehmer verlangte vom Arbeitgeber die Abgeltung von 29 Arbeitstagen. Der Arbeitnehmer hatte im alten Jahr die sechsmonatige Wartezeit vollendet. Der Urlaubsanspruch wurde aufgrund der Arbeitsunfähigkeit in das Folgejahr übertragen, § 7 Abs. 3 BurlG. Nach der Rechtsprechung des EuGH (NJW 2009, 495) gilt dies auch dann, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums arbeitsunfähig erkrankt ist. Neu ist es, dass der Arbeitnehmer nunmehr darlegen muss, dass er bei seinem vorherigen Arbeitgeber keinen Urlaub genommen hat.

Mithin kommt es nicht mehr darauf an, ob der alte Arbeitgeber eine Urlaubsbescheinigung nach § 6 Abs. 2 BurlG erstellt hat. Erstellt er sie, findet eine Anrechnung statt. Erstellt er sie nicht, genügt die Behauptung des Arbeitgebers, um eine Anrechnung des Urlaubs und damit die Urlaubsabgeltung aus dem vorhergehenden Arbeitsverhältnis zu erreichen.

Wenn ein Arbeitnehmer im alten Arbeitsverhältnis bereits z.B. im ersten Kalenderhalbjahr seinen vollen Jahresurlaub genommen hat, wird es kaum noch möglich sein, vom neuen Arbeitgeber auch nur einen Urlaubstag zu erhalten, sofern dieser die neue Rechtsprechung des BAG zum Umkehr der Beweislast kennt. Ein „doppelter“ Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers wird erheblich schwieriger.

Fazit: Der Arbeitgeber braucht beim neuen Arbeitnehmer in der vorliegenden Situation grundsätzlich keinen vollen Jahresurlaub mehr zu gewähren; der Arbeitnehmer muss seinen Anspruch nachweisen.

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