Kindergeldrecht ist für Juristen und nicht für das Volk gemacht?

Die Entscheidungen des III. Senates schrecken mich häufig auf; sie sind doch sehr „individuell“. Juristisch mag so einiges was der Senat entscheidet, vertretbar sein. Die praktischen Auswirkung auf die Nutzer des Rechts werden dabei außer Acht gelassen. So hat der Senat mit Urteil vom 13.05.15 (III R 8/14) entschieden, dass die Kostenentscheidung gem. § 77 EStG nicht mit dem Einspruch angefochten werden kann, wenn diese in der Einspruchsentscheidung über das Kindergeld enthalten ist.Würde die Kostenentscheidung isoliert erfolgen, wäre das richtige Rechtsmittel der vertraute Einspruch. Der BFH widerspricht der herrschenden Meinung in der Literatur und schließt sich der Mindermeinung und damit der Finanzverwaltung an. Wenn die Kostenentscheidung mit der Einspruchsentscheidung über das Kindergeld verbunden ist, besteht zwischen beiden ein Zusammenhang, da die Kostenentscheidung vom Inhalt der Einspruchsentscheidung abhängt. Auch wenn der betroffene Bürger erstmalig beschwert ist, ändert es nichts daran, dass er den Klageweg bestreiten muss. Der BFH befindet sich in „guter“ Gesellschaft (aus meiner Sicht „eher schlechter“ Gesellschaft), denn er verweist auf Entscheidungen des BSG (12.06.13 B 14 AS 68/12 R).

Was die Entscheider total außer Acht gelassen haben, ist die praktische Auswirkung für den Bürger. Wer ahnt denn schon, dass der unzweifelhaft bestehende Verwaltungsakt der Kostenentscheidung (§ 77 EStG) in diesem Fall der Verbindung der Verwaltungsakte ausnahmslos nur mit der Klage angegriffen werden kann. Praktisch wirkt dies wie eine Rechtsbehelfsbremse. Die Schwelle, ein Gericht anzurufen ist für den Bürger hoch. Hat er diese Hemmung überwunden, kommt die Ernüchterung der Kostentragung. Ohne „Eintrittsgeld“ von € 284,00 (ab 01.08.2013 durch Erhöhung Mindeststreitwert und Gebührt) keine aktive Handlung des Gerichtes! Die Kosten, die im Streit sind, werden somit häufig niedriger oder gering höher sein, so dass bereits vom Rechenwerk sich die Frage stellt, ob dieser Streit „lohnt“. Und ob er gewonnen wird, das ist die nächste Frage. Also im Zweifel eher nicht klagen und wer soll diese dann durchführen? So entstehen Kosten für die Kosten, die man hofft, ersetzt zu bekommen. Mit dieser Rechtsprechung wird Schaden vom Fiskus abgewandt auf Kosten des Volkes.

Meistens wird der unberatene Bürger diese vom BFH gelegte Verfahrensfalle erst gar nicht erkennen, so dass er mit dem falschen Rechtsmittel bereits in die Sackgasse gelaufen ist.Die für das Kindergeld zuständigen Behörden werden i.d.R. nicht auf diesen Verfahrensfehler rechtzeitig hinweisen. Sie können häufig noch nicht einmal ihre eigenen Fälle richtig bearbeiten, denn in dem hier geschilderten Verfahren war zum Glück für den Kläger alles Gut gegangen, weil die Behörde eine nicht ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung verwandte, so dass die Jahresfrist (§ 55 Abs. 2 FGO) anzuwenden war.

Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten ist diese Entscheidung äußerst zweifelhaft. Effektiven Rechtsschutz im Sinne von Art. 19 GG bedeutet auch verständlichen, logischen Rechtsschutz. Kindergeld ist für das Volk gemacht. Das Volk ist kein ausgebildeter oder verbildeter Jurist, sondern denkt einfach und häufig logischer. Wenn schon jeder begreifen muss, dass ein Schriftstück einer Behörde aus mehreren verschiedenen Verwaltungsakten besteht, sollte auch jeder Verwaltungsakt  dem üblichen und bekannten verfahrensrechtlichen Prozedere angefochten werden können. Nun eine künstliche Verbindung der verschiedenen Verwaltungsakte zu konstruieren, mag juristisch genial sein. Für die Praxis ist es unpraktisch und führt zu Rechtsschutzverkürzung. Im Kindergeldrecht insbesondere, da der überwiegende Teil der Bürger externe Beratung häufig nicht sucht. Und der Steuerberater muss auch erst einmal diese „Falle“ erkennen.

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