Solidaritätszuschlag und kein Ende: Jetzt droht riesige Klagewelle gegen den Soli

Am 21.8.2019 hat die Bundesregierung den nachgebesserten Gesetzentwurf zur Rückführung des Solidaritätszuschlages („Soli“) beschlossen. Schon jetzt zeichnet sich eine Klagewelle gegen die weitere Erhebung des „Soli“ ab 2020 ab. Doch von wem droht eine Klage, für wen macht eine Klage Sinn?

Bundesregierung hat Gesetzesbegründung nachgebessert

Am 21.8.2019 hat die Bundesregierung den Gesetzentwurf beschlossen, der jetzt in den Bundestag eingebracht wird. Eine Zustimmung des Bundesrates ist nicht erforderlich, weil eine Bundessteuer betroffen ist, deren Aufkommen allein dem Bund zusteht (Art. 106, Art. 105 GG). Der Bundestag kann also mit der Mehrheit der Regierungsfraktionen das Gesetz schnell verkündungsreif machen, auch wenn seine Entlastungswirkungen mit einer Freistellung von rund 90 Prozent der Steuerzahler und einer stufenweisen Entlastung von weiteren rund 6,5 Prozent der Steuerzahler erst ab VZ 2021 greifen sollen.

Interessant ist, dass sich die Bundesregierung ihrer Sache offenbar selbst nicht ganz sicher ist: Denn auf Hinweis des Bundesjustizministeriums (BMI) hat sie die Gesetzesbegründung zur Zielsetzung und Notwendigkeit des Gesetzes ausgeweitet. In der Begründung heißt es nun, der Bund habe „weiterhin einen wiedervereinigungsbedingten zusätzlichen Finanzierungsbedarf, etwa im Bereich der Rentenversicherung, beim Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz, für den Arbeitsmarkt sowie für andere überproportionale Leistungen aus dem Bundeshaushalt für die ostdeutschen Bundesländer (bisheriger Korb II des Solidarpakts II).“  Weiter heißt es nun erstmals, dass die aufgewendeten Mittel zur Überwindung der Folgen der deutschen Teilung mit 383 Mrd. Euro das Soli-Aufkommen 1995 bis 2016 in Höhe von 275 Mrd. Euro deutlich übersteigen. Deshalb geht die Bundesregierung davon aus, „dass auch der fortgeführte Teil der Ergänzungsabgabe die fortbestehenden Lasten nicht vollständig decken wird.“ Dennoch will die Bundesregierung durch Rückführung der Ergänzungsabgabe „in einem ersten Entlastungsschritt … der Verteilung der zusätzlichen Steuerlast nach der Leistungsfähigkeit in besonderem Maße Rechnung tragen.“ Denn: „Bürgerinnen und Bürger mit mittleren und niedrigen Einkommen haben eine deutlich höhere Konsumquote als Spitzenverdiener, d.h. sie sind typischerweise gezwungen, deutlich mehr von ihrem Einkommen für Güter und Dienstleistungen auszugeben. Demgegenüber erhöhen Spitzenverdienende bei zusätzlichem Nettoeinkommen ganz überwiegend ihre Ersparnisse.“

Diese Begründung begründet Stirnrunzeln: Wie kann die Bundesregierung einen Teil der Steuerzahler entlasten und von 2021 bis 2024 auf rund 45 Mrd. Steuereinnahmen verzichten, wenn der Bund schon in der Vergangenheit bei der Finanzierung der einigungsbedingten Lasten chronisch unterfinanziert war und das Defizit bis 2016 nach Abzug der Soli-Einnahmen rund 108 Mrd. Euro betrug? Müsste dann der Soli nicht von allen – und nicht nur im Wesentlichen von 3,5 Prozent der Steuerzahler – weitergezahlt werden? Und: Die Mutmaßungen des Gesetzesbegründung zur Konsumneigung der Bevölkerung erinnern doch stark an sozialistisch strukturierte Gesellschaften!

Welche Klagen sind zu erwarten?

  • Im Bundestag haben bereits FDP und AfD angekündigt gegen das Gesetz vor dem BVerfG klagen zu wollen. Richtiges Instrument hierfür ist die abstrakte Normenkontrolle (Art.93 Abs.1 Nr.2 GG; §§ 76 ff. BVerfGG), ein Viertel der Mitglieder der Bundestages kann den Antrag stellen. Das Gesetz wird dann unter allen denkbaren verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten überprüft. Sehr wahrscheinlich!
  • Gegen den Soli im VZ 2007 ist eine solche Musterklage gegen das SolzG 1995 noch vor dem BVerfG anhängig (2 BvL 6/14). Um sich gegen den Solidaritätszuschlag bis Ende 2019 zu wehren, ist ein Einspruch mit nachfolgender finanzgerichtlicher Klage deshalb nicht erforderlich. Denn die Finanzämter verweisen auf das beim BVerfG anhängige Verfahren und erklären die Steuerbescheide hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des SolZG 1995 für vorläufig (§ 165 Abs. 1 S. 2 Nr.3  AO). Erklärt das BVerfG das SolzG 1995 für verfassungswidrig und ist die Steuerfestsetzung deshalb aufzuheben oder zu ändern, erfolgt diese von Amts wegen.
  • Eine neue Situation tritt meines Erachtens mit Ablauf des 31.12.2019 ein. Da ab diesem Zeitpunkt der Solidarpakt II endet, entfällt ab diesem Zeitpunkt für den VZ 2020 „erst recht“ die Zweckbindung des Solidaritätszuschlages und damit seine sachliche Rechtfertigung, auch wenn die Erhebung des Soli nicht bis 31.12.2019 befristet ist. Verfassungsjuristen meinen deshalb nicht ohne Grund, dass jedenfalls ab VZ 2020 die Risiken steigen. Deswegen kann man sich bereits mit dieser Begründung gegen die Zahlung des Soli für die Zeit nach dem 31.12.2019 wehren, etwa wenn das Finanzamt eine Vorauszahlung auf die Einkommen-/Körperschaftsteuer 2020 anfordert.
  • Entsprechendes gilt für den VZ 2021 auf Basis des neuen geplanten Gesetzes, wenn ab 2021 mehr als 90 Prozent der Steuerzahler vom Solidaritätszuschlag befreit werden. Wehren können sich aber dann nur noch solche Steuerzahler, die dann überhaupt noch den „Soli“ zahlen. Wer keinen zahlt ist rechtlich nicht beschwert. Der Bund der Steuerzahler hat bereits angekündigt, Musterklagen gegen das anstehende neue Gesetz vor möglichst allen 18 deutschen Finanzgerichten zu unterstützen. Der einzelne Steuerzahler muss dann jedoch zunächst den Finanzrechtsweg beschreiten, bevor der „Soli 2021“ abermals vor dem BVerfG zur Überprüfung landet. Etwas anderes gilt nur, wenn ein Finanzgericht in einem konkreten Verfahren von der Verfassungswidrigkeit der Neuregelung überzeugt ist und seinerseits die Streitsache dem BVerfG im Wege einer konkreten Normenkontrolle vorlegt (Art. 100 Abs. 1 GG).

Weitere Informationen:

Gesetzentwurf vom 20.8.2019 (PDF)


Lesen Sie in der NWB Datenbank hierzu auch:

Meier, Solidaritätszuschlag, infocenter, NWB QAAAA-57086
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