Fachkräftebedarf und kein Ende – Schaffen neue Zugangsregeln zum Arbeitsmarkt endlich Abhilfe?

Am 1.11.2023 sind erste Teile des neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetzes in Kraft getreten, zusätzlich sollen Asylbewerber und Migranten künftig schneller Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt erhalten. Ein aktueller Überblick.

Hintergrund

Der Fachkräftemangel ist nach wie vor ein Kernproblem der Wachstumsschwäche der deutschen Wirtschaft. Offene Stellen können immer seltener mit geeigneten Fachkräften besetzt werden. Nach einer aktuellen Studie des Instituts für Arbeitsmarkt-Berufsforschung (IAB) haben fast 50 Prozent der Unternehmen in der ersten Hälfte des Jahres 2022 nicht besetzen können. Damit ist der Fachkräftebedarf so hoch wie seit fast zehn Jahren nicht mehr. Die Beschäftigung ausländischer Zuwanderer wird immer dringlicher. Nach dem Beschluss des Bundestages vom 21.6.2023 (BT-Drs. 20/650020/694620/7293) hat das Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung am 7.7.2023 auch den Bundesrat (BR-Drs. 289/23 (B) passiert.

Erste Teile des neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetzes in Kraft

Am 1.11.2023 sind erste Teile des neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetzes in Kraft getreten, das auf drei Säulen basiert:

  • Qualifikation: Menschen mit einem Abschluss sollen zukünftig jede qualifizierte Beschäftigungsart ausüben dürfen.
  • Erfahrung: Personen, die in ihrem Herkunftsland einen staatlich anerkannten Berufsabschluss und mindestens zwei Jahre Berufserfahrung haben, sollen die Möglichkeit haben, als Arbeitskraft nach Deutschland einzuwandern – auch, wenn der Berufsabschluss in Deutschland nicht anerkannt ist.
  • Potenzial: Mit der neuen Chancenkarte bekommen Fachkräfte die Möglichkeit, sich in Deutschland auf Arbeitssuche zu begeben. Die Karte basiert auf einem Punktesystem, das Qualifikation, Berufserfahrung, Sprachkenntnisse (Deutsch und Englisch), Alter, den Bezug zu Deutschland sowie mitziehende Partner berücksichtigt.

Es gilt seit 1.11.2023 Folgendes:

  • Deutlich mehr Menschen bekommen die Möglichkeit, den Aufenthaltstitel „Blaue Karte EU“ zu erhalten. Dazu zählen etwa Berufseinsteiger, die innerhalb der letzten drei Jahre einen Hochschulabschluss absolviert haben und in Deutschland eine Beschäftigung mit einem Mindestgehalt von 45,3 Prozent der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung finden. Diese lag im Jahr 2023 bei 39.682,80 Euro.
  • IT-Spezialisten mit drei Jahren Berufserfahrung können den Aufenthaltstitel auch ohne Hochschulabschluss erhalten.
  • Die Liste der Engpassberufe wird großzügig erweitert. Während bislang Berufe in Bereichen wie Informatik, Naturwissenschaften und Humanmedizin zu diesen zählten, können nun auch Fachkräfte aus vielen anderen Branchen die „Blaue Karte EU“ erhalten. Dazu zählen etwa Führungskräfte aus Bau, Bergbau oder Logistik. Auch in Bereichen wie Informations- und Kommunikationstechnologie, Kinderbetreuung, Gesundheitswesen, Veterinärmedizin, Zahnmedizin und Apotheken werden die Richtlinien gelockert.
  • Mobilität: Wer im Besitz einer „Blauen Karte EU“ ist, die von einem anderen EU-Mitgliedstaat ausgestellt wurde, darf für 90 Tage nach Deutschland einreisen – wenn der Aufenthalt im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit steht.
  • Berufskraftfahrer aus Drittstaaten wird der Zugang zum Arbeitsmarkt deutlich vereinfacht. So entfällt etwa die bislang geltende Voraussetzung von vorhandenen Deutschkenntnissen.
  • Angehörigen von Inhabern einer „Blauen Karte EU“ wird der Nachzug vereinfacht.

Arbeitsmarktzugang für Asylbewerber und Geduldete soll erleichtert werden

Am 1.11.2023 hat das Bundeskabinett die Formulierungshilfe für einen Gesetzentwurf beschlossen, nach dem Asylbewerber und Ausländer, die über eine Duldung verfügen, künftig schneller Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten sollen:

  • Geduldeten – also aktuell rund 280.000 Menschen, die zwar ausreisepflichtig sind, aber nicht abgeschoben werden können – soll im Regelfall eine Beschäftigungserlaubnis erteilt werden.
  • Das Arbeitsverbot für Geflüchtete/Asylbewerber, die in Erstaufnahmeeinrichtungen für Alleinstehende leben, soll bereits nach sechs Monaten entfallen. Bisher galt das Verbot für neun Monate. Bewerber aus sog. sicheren Herkunftsländern, die „offensichtlich unbegründete“ Asylanträge gestellt oder ihre Identitätsklärung verweigert haben, sollen von den jetzt auf den Weg gebrachten Erleichterungen allerdings nicht profitieren können.
  • Die Stichtagsregelung für die sogenannte Beschäftigungsduldung soll geändert werden. Bisher kann diese Möglichkeit nur nutzen, wer vor dem 1.8.2018 nach Deutschland gekommen ist. Künftig sollen alle, die bis Ende 2022 nach Deutschland eingereist sind, diese Chance auf eine langfristige Bleibeperspektive nutzen können.

Ausblick

Arbeitgeber suchen händeringend nach Arbeitskräften, die der deutsche Arbeitsmarkt allein nicht mehr hergibt. Wer zuwandert und arbeitet, zahlt Steuern, belastet bei eigenem Einkommen nicht die Sozialsysteme und leistet einen Beitrag zu neuem Wirtschaftswachstum. Deshalb sind die neuen Regeln im Grundsatz richtig, auch wenn sie bei Bedarf nachjustiert werden müssen.

Deckel drauf: Reformiertes Fachkräfteeinwanderungsgesetz passiert Bundesrat

Ausländische Fachkräfte werden künftig leichter nach Deutschland kommen können. Nach dem Beschluss des Bundestages vom 21.6.2023 hat das Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung am 7.7.2023 auch den Bundesrat passiert. Was ändert sich?

Hintergrund

Deutschland kann den Arbeits- und Fachkräftebedarf schon seit Jahrzehnten nicht aus eigener Kraft bewältigen. Der deutsche Arbeitsmarkt ist auf Zuwanderung angewiesen, deshalb gibt es schon seit 1.3.2020 ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz (BGBl. 2019 I S. 1307). Dessen Defizite sollen mit der jetzigen Gesetzesnovelle behoben werden, über die schon früher im Blog berichtet habe.

Neues Drei-Säulen-System: Weiterlesen

Update: Einigung bei der Fachkräfteeinwanderung – was soll sich ändern?

Die Regierungskoalition hat sich beim Fachkräfteeinwanderungsgesetz jetzt geeinigt, in Kürze soll das Gesetz den Bundestag passieren. Was soll sich beim Zuwanderungsrecht ändern?

Hintergrund

Ich habe das Thema wiederholt im Blog aufgegriffen: Der Fachkräftemangel in Deutschland ist aus Sicht der Unternehmen ein zentraler Wachstumskiller, mehr als zwei Drittel der Unternehmen – egal welcher Größe und Branchenzugehörigkeit – sind Umfrageergebnissen zufolge dieser Ansicht. Mit dem Gesetz für mehr Aus- und Weiterbildungsförderung will die Ampelkoalition wichtige Impulse zur Weiterqualifizierung von inländischen Arbeitskräften setzen. Auch neue Regelungen im Fachkräfteeinwanderungsgesetz sollen den Fachkräftemangel bekämpfen.

Mit welchen Regelungen soll der Fachkräftemangel bekämpft werden?

Der Gesetzentwurf der Koalition (BT-Drs. 20/6500) zielt insbesondere darauf ab, im Ausland mehr Fachkräfte für den deutschen Arbeitsmarkt anzuwerben. Wichtig sind hierbei vor allem folgende Neuerungen: Weiterlesen

Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung

Am 27.4.2023 hat der Deutsche Bundestag in erster Lesung den von der Bundesregierung beschlossenen Regierungsentwurf zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung. Die kontroverse Debatte zeigt: Weiter könnten die politischen Positionen nicht auseinanderliegen. Hat das Gesetz eine Umsetzungschance?

Hintergrund

Der Fachkräfte-, ja auch Arbeitskräftemangel, zählt im Urteil der deutschen Unternehmen zu den wesentlichen Wachstums- und damit Wohlstandsrisiken in Deutschland. Schon heute fehlen in vielen Regionen und Branchen gut ausgebildete Fachkräfte – und nicht nur diese. Die Zahl der offenen Stellen für Fachkräfte lag 2022 bei rund 1,98 Millionen. Im Rahmen der Fachkräftestrategie soll die Erwerbsbeteiligung von Frauen und Älteren erhöht und die Aus- und Weiterbildung gestärkt werden. Zusätzlich braucht Deutschland aber auch qualifizierte Einwanderung, damit die Unternehmen ihre Fachkräftebasis sichern und erweitern können. Weiterlesen

Fachkräfteeinwanderungsgesetz in Kraft getreten – jetzt bürokratiearm umsetzen!

Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz -FEG- (vom 15.08.2019, BGBl 2019 I S. 1307) ist am 1.3.2020 in Kraft treten. Dies ist ein wichtiges Datum für die Integration von Flüchtlingen und Migranten in den deutschen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. Wichtig ist aber auch, dass das Gesetz jetzt bürokratiearm umgesetzt wird – sonst verpufft die Zielsetzung.

Hintergrund

Trotz globaler Handelskonflikte und Brexit: Zwei Drittel der deutschen Unternehmen bezeichnen nach DIHK-Umfragen den Fachkräftemangel als größte Wachstumsbremse, also eine zu geringe Zahl an Ausbildungs- und qualifizierten Arbeitskräften. Schuld daran sind vor allem demografische Veränderungen mit langfristig zu geringen Geburtenraten und einer veränderten Alterspyramide. Da die Fachkräftenachfrage nur bedingt durch Personen gedeckt werden kann, die sich bereits in Deutschland aufhalten (also Deutsche, Unionsbürger und Drittstaatenangehörige mit Aufenthaltsrecht), kommt der zunehmenden Ansprache und Gewinnung von Fachkräften aus Drittstaaten immer größere Bedeutung zu. Mit einem  Migrationspaket rund um das FEG will der Gesetzgeber nun Abhilfe schaffen (BT-Drs. 19/8285) – ich habe bereits berichtet. Das Migrationspaket umfasst neben dem FEG insgesamt neun Einzelgesetze und Verordnungen. Das am 1.3.2020 in Kraft getretene FEG hat folgende Schwerpunkte: Weiterlesen