Kindergeld für Kinder mit Behinderung: Wie der BFH den Selbstunterhalt prüft

Ist ein Kind wegen seiner Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, wird den Eltern Kindergeld auch über das 25. Lebensjahr des Kindes hinaus gewährt. Voraussetzung ist, dass die Behinderung bereits vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist. Früher galt eine Altersgrenze von 27 Jahren. Menschen, deren Behinderung bereits im Kindesalter eingetreten ist, haben es im Arbeitsleben generell nicht leicht, doch vielen gelingt es durchaus, einen erfüllenden und auch vernünftig bezahlten Job zu erlangen.

Was bleibt, ist dennoch ein behinderungsbedingter Mehrbedarf, der von den Sozialträgern vielfach nicht oder zumindest nicht vollständig übernommen wird. Und so ist – für die Frage der Kindergeldberechtigung – zu prüfen, ob die Einkünfte und Bezüge nach Abzug der Aufwendungen eine ausreichende Leistungsfähigkeit des Kindes gewährleisten oder eben nicht. Weiterlesen

Kindergeldanspruch für erwachsenes Kind mit Asperger-Syndrom

Eltern erhalten das Kindergeld für ein behindertes Kind ohne Altersbegrenzung, also über das 18. Lebensjahr hinaus, wenn dieses wegen seiner Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Voraussetzung ist, dass die Behinderung bereits vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist.

Auch wenn jeder Fall natürlich anders liegt und für sich zu beurteilen ist, so soll nachfolgend aber dennoch ein positives Urteil des FG Hamburg vorgestellt werden, da es für viele Eltern von Bedeutung sein kann: Nach Auffassung des FG Hamburg kann das Asperger-Syndrom erheblich mitursächlich dafür sein, dass dein Kind außerstande ist, sich selbst zu unterhalten (Urteil vom 12.11.2020, 6 K 314/19). Weiterlesen

Kostenersatz bei Einspruch gegen Aufhebung des Kindergeldes

Soweit der Einspruch gegen die Kindergeldfestsetzung erfolgreich ist, hat die Familienkasse demjenigen, der den Einspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Die Gebühren und Auslagen eines Bevollmächtigten oder Beistandes, der nach den Vorschriften des Steuerberatungsgesetzes zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen befugt ist, sind erstattungsfähig, wenn dessen Zuziehung notwendig war. Die Familienkasse setzt auf Antrag den Betrag der zu erstattenden Aufwendungen fest. Diese schönen Sätze finden sich in § 77 EStG.

Anders als im „klassischen“ Rechtsbehelfsverfahren mit dem Finanzamt kann in Kindergeldangelegenheiten also auch bereits im Einspruchsverfahren ein Ersatz von Steuerberatungs- oder Rechtsanwaltskosten beantragt werden. Es muss nicht erst zu einem Klageverfahren kommen. Das ist vielen Eltern nicht bewusst und § 77 EStG wird auch in den einschlägigen Kommentaren eher stiefmütterlich behandelt. Weiterlesen

Kindergeld: Zwei bittere BFH-Urteile für Eltern mit erkrankten Kindern

Eltern haben grundsätzlich auch dann Anspruch auf Kindergeld und andere kindbedingte Vergünstigungen, wenn ein Kind seine Ausbildung wegen einer Erkrankung unterbrechen muss, weil es aus objektiven Gründen zeitweise nicht in der Lage ist, die Ausbildung fortzusetzen.

Jüngst hat der BFH aber entschieden, dass kein Anspruch auf Kindergeld besteht, wenn ein Kind seine Ausbildung wegen einer Krankheit nicht beginnen kann und das Ende der Erkrankung nicht absehbar ist (BFH 12.11.2020, III R 49/18). Weiterlesen

Kindergeld: Ausnahme von der Sperrfrist für EU-Ausländer

Mitte 2019 ist das “Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch” in Kraft getreten. Mit dem genannten Gesetz haben die Familienkassen eigene Prüfungskompetenzen erhalten, um Missbrauch von Kindergeld bzw. dessen Bezug zu verhindern. Neu nach Deutschland zugezogene EU-Bürgerinnen und -Bürger sind im Übrigen in den ersten drei Monaten vom Leistungsbezug ausgeschlossen, sofern sie keine inländischen Einkünfte erzielen (§ 62 Abs. 1a Satz 1 EStG). Das FG Bremen hat bereits Bedenken gegen die EU-Konformität des dreimonatigen Kindergeldausschlusses angemeldet. Weiterlesen

Bei Gericht: Interessante Steuerstreitigkeiten im Januar 2021

Auch zu Beginn des Jahres wieder drei neue Hinweise auf aktuell anhängig gewordenen Streitfragen. Dabei geht es zweimal Kinder und einmal die Frage, ob steuerpflichtiger Arbeitslohn gegeben ist oder nicht.

Ob ein Kind sowohl das Tatbestandsmerkmal des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2c EStG auch dann erfüllt, wenn es infolge einer Erkrankung daran gehindert ist, sich um eine Berufsausbildung zu bemühen, aber ausbildungswillig ist, klärt aktuell der BFH (Az. III R 52/20). Insofern müssen sich die Richter weiterhin damit beschäftigen, ob denn die Ausbildungswilligkeit bereits verneint werden kann, wenn sich das Kind krankheitsbedingt nicht um einen (neuen) Ausbildungsplatz bemüht. Für kranke Menschen ist der Ausgang des Verfahrens sicherlich extrem wichtig. Weiterlesen

Gute Nachricht zum Jahreswechsel: Freibeträge und Kindergeld steigen!

Mehr Kindergeld, weniger Steuern für alle und höhere Behinderten-Pauschbeträge bei der Steuer: Der Deutsche Bundestag hat am 29.10.2020 den Weg für eine Milliardenentlastung frei gemacht. Eine gute Nachricht nicht nur für Familien, sondern für alle Steuerzahler!

Wesentlicher Inhalt des Familienentlastungsgesetzes

Der Bundestag hat am 29.10.2020 dem Entwurf der Bundesregierung für ein „Zweites Familienentlastungsgesetz“ in der vom Finanzausschuss geänderten Fassung in 2./3. Lesung zugestimmt. Darüber hinaus wurde das „Gesetz zur Erhöhung der Behinderten-Pauschbeträge und zur Anpassung weiterer steuerlicher Regelungen“ in der vom Finanzausschuss geänderten Fassung ebenfalls in 2./3. Lesung angenommen.

Das Gesetzespaket sieht im Wesentlichen Verbesserungen beim Kindergeld bei der Steuerbelastung sowie Anhebungen bei Behinderten-Pauschbeträgen vor. Das bedeutet:

  • Steuerliches Existenzminimum:
    der steuerliche Grundfreibetrag von derzeit 9408 € sollte nach dem Regierungsentwurf (BT-Drs. 19/23795) nach dem Beschluss des Bundestages auf 9696 € angehoben werden; nach den Ergebnissen des Existenzminimums Berichts ist dieser Betrag im Finanzausschuss noch für 2021 um 48 € auf 9744 € angehoben worden. 2022 steigt der Grundfreibetrag dann weiter auf 9984 €. Zusätzlich wird die so genannte „kalte Progression“ durch eine Rechtsverschiebung des Einkommensteuertarifs korrigiert: hierdurch führen inflationsbedingte Einkommenssteigerungen nicht zu einer höheren individuellen Besteuerung.
  • Anhebung von Kindergeld und Freibeträgen:
    Das Kindergeld wird für das erste und zweite Kind jeweils 219 €, für das dritte Kind 225 € und für das vierte und jedes weitere Kind jeweils 250 € pro Monat betragen. Die steuerlichen Kinderfreibeträge steigen von derzeit 7812 € um 576 € auf 8388 €. Der Freibetrag für den Betreuungs-, Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf eines Kindes wird um ebenfalls 288 Euro auf 2.928 Euro erhöht, sodass sich daraus eine Anhebung der zur steuerlichen Freistellung des Kinderexistenzminimums dienenden Freibeträge von derzeit insgesamt 7.812 Euro um 576 Euro auf einen Betrag von insgesamt 8.388 Euro ergibt.
  • Behinderten-Pauschbeträge:
    Die seit 1975 nicht mehr geänderten steuerlichen Pauschbeträge für Menschen mit Behinderung werden ab 2021 verdoppelt (BT- Drs. 19/23793). Zudem wird ein behinderungsbedingter Fahrtkosten- Pauschbetrag eingeführt. Ferner werden die Pflege-Pauschbeträge angehoben.

Bewertung

Das Gesetzespaket beinhaltet ein Entlastungsvolumen von insg. 12 Mrd. €. Von der Anhebung des Grundfreibetrages zur Sicherung des Existenzminimums sowie dem Ausgleich der „kalten Progression“ profitieren alle Steuerzahler. Die Anhebung des Kindergeldes und der steuerlichen Kinderfreibeträge schaffen zum Jahreswechsel zusätzlich erhebliche finanzielle Spielräume für Familien. Eine Familie mit zwei Kindern und einem Jahreseinkommen von 40.000 € wird etwa 520 € mehr netto in der Familienkasse haben – das ist eine gute Botschaft!

Quellen
NWB Reformradar: Zweites Familienentlastungsgesetz


Abzweigung des Kindergeldes: Familienkasse und Finanzgerichte dürfen es sich nicht leicht machen

Bereits mehrfach habe ich im Rahmen des NWB-Expertenblogs den Umgang der Familienkassen und Sozialträger mit behinderten Menschen und ihren Angehörigen kritisiert (vgl. z.B. den Blog-Beitrag „Wer beurteilt die Erwerbs(un)fähigkeit eines behinderten Kindes?“). Dass der fragwürdige Umgang aber nicht bei den Behörden halt macht, sondern zuweilen auch die Finanzgerichte betrifft, zeigt ein Sachverhalt, über den der BFH jüngst zu entscheiden hatte- Vorweg: Der BFH hat glücklicherweise zugunsten der Eltern entschieden, doch offenbar hat die Vorinstanz ihre Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts in eklatanter Weise verletzt und den Ausführungen der Familienkasse einfach Glauben geschenkt, obwohl sich bereits nach Aktenlage Zweifel hätten aufdrängen müssen. Konkret ging es um die Frage, ob die Abzweigung des Kindergeldes nach § 74 Abs. 1 EStG gerechtfertigt war (BFH-Urteil vom 27.5.2020, III R 58/18).

Der Sachverhalt:

Der Sohn der Klägerin lebt in einem Wohnheim für blinde Menschen und erhält Eingliederungshilfe. Die Mutter bezog für ihn Kindergeld, das allerdings seit Jahren nicht in voller Höhe ausgezahlt wurde. Vielmehr wurde dieses durch die Familienkasse an den Sozialträger abgezweigt. Hiergegen wehrte sich die Mutter. Sie trug vor, ihr entstünden unstreitig monatliche Aufwendungen von mehr als 500 EUR für den Unterhalt des Sohnes. Sie wies unter anderem darauf hin, dass sie in ihrer Wohnung ein Zimmer für ihren Sohn vorhalte. Einspruch und Klage blieben jedoch erfolglos. Die Finanzrichter waren der Ansicht, dass die Mutter ihrer Unterhaltspflicht nicht nachgekommen sei, da sie die zum Lebensbedarf ihres Sohnes gehörenden laufenden Kosten der Unterbringung im Blindenheim nicht übernommen habe. Die Abzweigungsentscheidung sei ermessensfehlerfrei zustande gekommen. Die Familienkasse habe den Sachverhalt ordnungsgemäß ermittelt. Doch der BFH gab der Revision statt.

Die Begründung des BFH:

Sind die Voraussetzungen für eine Abzweigung dem Grunde nach erfüllt, hat die Familienkasse eine Ermessensentscheidung darüber zu treffen, ob und in welcher Höhe das Kindergeld an den Sozialleistungsträger abzuzweigen ist, der dem Kind anstelle der eigentlich unterhaltsverpflichteten Eltern Unterhalt gewährt. Bei der Ermessensausübung sind auch geringe Unterhaltsleistungen des Kindergeldberechtigten für das behinderte Kind zu berücksichtigen, sofern dieser nicht selbst Sozialleistungen bezieht. Hierbei sind die den Eltern im Zusammenhang mit der Betreuung und dem Umgang mit dem Kind tatsächlich entstandenen und glaubhaft gemachten Aufwendungen anzusetzen.

Zu den Unterhaltsleistungen für ein in einer Einrichtung untergebrachtes Kind gehört auch die Zurverfügungstellung eines Zimmers in der Wohnung des Kindergeldberechtigten. Sind die Leistungen mindestens so hoch wie das Kindergeld, ist eine Abzweigung nicht ermessensgerecht. Beachtet die Familienkasse diese Grundsätze nicht, führt dies zu einem Ermessensfehler, den das Finanzgericht zu beanstanden hat. Im Rahmen seiner Überprüfung muss das Gericht auch feststellen, ob die Familienkasse ihre Entscheidung auf der Grundlage eines einwandfrei und erschöpfend ermittelten Sachverhalts getroffen hat und dabei die Gesichtspunkte tatsächlicher und rechtlicher Art berücksichtigt hat, die nach Sinn und Zweck der Norm, die das Ermessen einräumt, maßgeblich sind. Im Urteilsfall drängte sich bereits nach Aktenlage die Annahme auf, dass der Klägerin zumindest Aufwendungen für ein in ihrer Wohnung für den Sohn vorgehaltenes Zimmer entstanden waren. Damit konnte die Familienkasse das Entstehen von Unterhaltsaufwendungen jedenfalls wegen Kosten für ein eigenes Zimmer des Sohnes in ihrem Haushalt nicht ohne Weiteres wegen fehlender Nachweise verneinen.

Hinweis:

Übrigens hat das FG selbst einen angebotenen Zeugenbeweis abgelehnt. Schon irgendwie seltsam: Was veranlasst ein Gericht dazu, die Aktenlage unbeachtet zu lassen, aber gleichzeitig auf eine Zeugeneinvernahme zu verzichten? Im Urteil der Vorinstanz heißt es: „Der Beweisantrag ist für die Entscheidung unerheblich und konnte daher übergangen werden.“ Wer hingegen die Entscheidung des BFH liest, kommt eher zu dem Schluss, dass gar kein vernünftiger Zweifel an der Übernahme von Unterhaltsaufwendungen bestehen konnte. In dem Revisionsurteil heißt es unter anderem: „Die Familienkasse ging offensichtlich selbst davon aus, dass die Klägerin in ihrer Wohnung eine Unterkunft für F vorhielt, da sie in ihrer Anfrage vom 12.11.2014 die Klägerin um Auskunft über die Häufigkeit der Fahrten zur Abholung des F über die Wochenenden bat.“

Weitere Informationen:
BFH, Urteil v. 27.05.2020 – III R 58/18 -nv-


Aufreger des Monats Oktober: Nur selten Mitverschulden der Familienkasse bei Rückforderung von Kindergeld

Die Rückforderung von – ungerechtfertigt – ausgezahltem Kindergeld trifft Eltern und Kinder zumeist hart. Insbesondere, wenn der Rückforderungszeitraum lang ist und Sozialleistungen – wegen der vermeintlichen Zahlung von Kindergeld – ihrerseits gekürzt worden sind. Denn dies führt dazu, dass letztlich weder Kindergeld noch Sozialleistungen gewährt werden. Beruht die Nachforderung auf unrichtigen Angaben, ist diese “Härte” womöglich angebracht. Geht es hingegen “nur” um eine mangelnde Mitwirkungspflicht, kann ausnahmsweise ein Erlass der Kindergeldrückforderung aus Billigkeitsgründen in Betracht kommen – zumindest nach Ansicht der Betroffenen.

Im Jahre 2019 hatte das Schleswig-Holsteinische Finanzgericht in diesem Sinne entschieden, dass zumindest dann ein teilweiser Erlass der Nachzahlung in Betracht kommt, wenn die Familienkasse ein Mitverschulden an der Höhe der Rückforderungsbetrages trifft (Urteil vom 25.3.2019, 3 K 9/18).

Jüngst hat der BFH dieses positive Urteil jedoch aufgehoben und die Revision der Familienkasse als begründet angesehen. Weiterlesen

Kindergeld-Verweigerung für nicht erwerbstätige EU-Bürger in den ersten drei Monaten verfassungswidrig

Mitte 2019 ist das „Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch“ in Kraft getreten. Mit dem genannten Gesetz haben die Familienkassen eigene Prüfungskompetenzen erhalten, um Missbrauch von Kindergeld zu verhindern. Neu nach Deutschland zugezogene EU-Bürgerinnen und -Bürger sind im Übrigen in den ersten drei Monaten vom Leistungsbezug, also von der Kindergeld-Berechtigung, ausgeschlossen, sofern sie keine inländischen Einkünfte erzielen (§ 62 Abs. 1a Satz 1 EStG).

Auch laufende Kindergeldzahlungen kann die Familienkasse in begründeten Zweifelsfällen nun vorläufig einstellen. Bei allem Respekt für die Intention des Gesetzes, nämlich die „Abschöpfung“ des Kindergeldes, standen vielen Menschen bei einigen Passagen des Gesetzes und seiner Begründung die Haare zu Berge, da die Ausführungen sowohl moralisch als auch rechtlich zweifelhaft erscheinen. Weiterlesen