Traue niemals einem Vorläufigkeitsvermerk

Oftmals gibt es ein böses Erwachen, wenn Steuerbürger auf den Umfang eines Vorläufigkeitsvermerks vertraut haben und sich im Nachhinein herausstellt, dass zwar der Wortlaut eine umfassende Vorläufigkeit hergab, die Finanzverwaltung (und auch die Gerichte) aber den Sinn und Zweck bzw. den Kontext des Vorläufigkeitsvermerks in ihre Betrachtung einbeziehen.

Anders ausgedrückt: Ist ein Vorläufigkeitsvermerk im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit einer Vorschrift ergangen, so kann ein Steuerbürger keine Änderung seines Steuerbescheids erlangen, wenn es sich in seinem Fall nur um die Auslegung des „einfachen“ Steuerrechts handelt. Aktuell hat auch das FG Baden-Württemberg insoweit eine fiskalische Sichtweise eingenommen.

Der Sachverhalt: Der Kläger war im Streitjahr 2010 in der Schweiz nichtselbständig tätig. Sein Arbeitgeber führte für ihn entsprechend den gesetzlichen Regelungen in der Schweiz Beiträge zu einer Schweizer Pensionskasse ab. Diese zahlte ihm am 15.12.2010 unter Abzug der einzubehaltenden Quellensteuer umgerechnet 14.400 EUR als sogenannten „Vorbezug“ aus. Das Finanzamt berücksichtigte die Auszahlung als sonstige Einkünfte (Leibrenten) zunächst mit einem Besteuerungsanteil von 60 % und nach Einspruch unter Berücksichtigung der sogenannten Öffnungsklausel in Höhe von 7.697 EUR. Die Einkommensteuerfestsetzung war hinsichtlich „der Besteuerung der Einkünfte aus Leibrenten“ vorläufig. Im Oktober 2016 beantragte der Kläger, den Einkommensteuerbescheid zu ändern. Seine Einkünfte seien nach der neuesten Rechtsprechung des BFH teilweise nicht steuerbar. Danach fließe der auf das sogenannte „Überobligatorium“ entfallende Anteil der Kapitalauszahlung nicht in die steuerliche Bemessungsgrundlage ein. Das Finanzamt lehnte eine Änderung mangels Änderungsgrundlage ab. Die Vorläufigkeit habe sich lediglich auf verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf die Rentenbesteuerung bezogen.

Das FG Baden-Württemberg entschied mit rechtskräftigem Urteil vom 12.12.2018 (Az. 14 K 3172/17), der Einkommensteuerbescheid für 2010 könne nicht mehr geändert werden. Es gebe keine Änderungsvorschrift. Die Vorläufigkeit sollte nach Wortlaut und Begründung „nur diejenige Unsicherheit auffangen, die sich speziell aus der unklaren verfassungsrechtlichen Situation in Bezug auf die durch das Alterseinkünftegesetz ab dem Veranlagungszeitraum 2005 vorgenommenen Änderungen bei der Besteuerung der Einkünfte aus Leibrenten“ ergeben habe. Im Streitfall gehe es nicht um verfassungsrechtliche Fragen, sondern um die Frage „der steuerlichen Behandlung von Kapitalleistungen aus schweizerischen Pensionskassen“ und damit um die „Auslegung des (einfachen) Steuerrechts, d.h. die Frage, ob und in welchem Umfang die Einkünfte aus schweizerischen Pensionskassen überhaupt als Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung“ anzusehen sind. Diese Fragen umfasse der Vorläufigkeitsvermerk nicht. Die Steuerfestsetzung sei nicht vorläufig „hinsichtlich jedweder im Rahmen des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG streitig gewordener Rechtsfragen“ gewesen.

Hinweis: Das Urteil ist wohl nach enger Auslegung des steuerlichen Verfahrensrechts korrekt. Allerdings ist doch die Frage, ob ein Vorläufigkeitsvermerk so ausgestaltet sein muss, dass er nicht nur einem steuerlich versierten Adressaten, sondern auch einem steuerlichen Laien verständlich ist. Wenn Finanzverwaltung und Finanzgerichte dazu tendieren, dass es ausreicht, wenn Erläuterungen in Steuerbescheiden nur einem Fachmann verständlich sind, finde ich dies befremdlich. Allerdings dürfen sich die Finanzämter im Gegenzug nicht beschweren, wenn sie – aus ihrer Sicht sinnlose – Einsprüche erhalten, obwohl die Bescheide doch eigentlich vorläufig ergangen sind. Ich selbst würde jedenfalls immer einen Einspruch einlegen (und diesen im Übrigen auch nicht zurücknehmen), wenn ich nicht 100-prozentig von der Reichweite des Vorläufigkeitsvermerks überzeugt bin. Derzeit zweifele ich an den Vorläufigkeitsvermerken in den zahlreichen Fällen der Kosten für eine Erstausbildung bzw. ein Erststudium. Ich hatte über entsprechende Probleme bereits in meinem Blog-Beitrag „Kosten für das Erststudium und der Dschungel Verfahrensrecht“ hingewiesen.


Lesen Sie in der NWB Datenbank hierzu auch:

Gerlach, Vorläufige Steuerfestsetzung, infoCenter NWB VAAAA-88460
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Ein Kommentar zu “Traue niemals einem Vorläufigkeitsvermerk

  1. Mein Mann führt ein kleines Unternehmen. Daher finde ich es interessant, dass die Frage im Raum steht, ob ein Vorläufigkeitsvermerk so ausgestaltet sein muss, dass er auch von einem steuerlichen Laien verständlich ist. Ich werde ihm davon berichten, dass sein Steuerberater hierzu ihm noch mehr sagen kann.

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