Umsetzung der Melderichtlinie für grenzüberschreitende Steuergestaltungen – die praktischen Unsicherheiten potenzieren sich

Wie die Überschrift zu meinem Beitrag schon sagt – die Anzeigepflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen wirft viele Fragen auf. Grund genug, das Thema hier im NWB Experten-Blog aufzugreifen.

Die Richtlinie ist an die Mitgliedsstatten gerichtet

Es hat sich ja mittlerweile in der Praxis herumgesprochen, dass die EU-Melderichtlinie bereits seit dem 25.6.2018 gewisse Dokumentationsobliegenheiten für eine Berichtspflicht zum 31.8.2020 erfordert. Jetzt ist es ja schon mal europarechtlich fragwürdig, wie eine Richtlinie, die an die Mitgliedsstaaten gerichtet ist, bereits vor dem legislativen Umsetzungsakt eine Rechtswirkung zu Lasten des Steuerpflichtigen zeitigen kann. Bekannt ist bisher lediglich im Rahmen der sog. unmittelbaren oder direkten Wirkung einer Richtlinienbestimmung die Berufung auf eine für den EU-Bürger begünstigende Richtlinienregelungen. Nicht nur, dass der Intermediär wie auch der relevante Steuerpflichtige mit einer Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe konfrontiert werden bzw. die Richtlinie lediglich einen Mindeststandard festlegt und die Mitgliedsstaaten im Rahmen der erforderlichen nationalen Umsetzung davon weitergehende Offenlegungspflichten statuieren können. Darüber hinaus hat der Betroffene es zusätzlich mit weiteren 26 möglichen Umsetzungsvarianten zu tun, geht es ja maßgeblich um grenzüberschreitende Steuergestaltungen.

Neuheit der Sanktionierung

Zwar ergab sich diese potenzierte Problematik schon immer bei den Richtlinien im Bereich der direkten Steuern. Doch bei den ohnehin begünstigenden steuerlichen Richtlinien (Mutter Tochter Richtlinie, Fusionsrichtlinie, Zins-Lizenzrichtlinie) bzw. weniger begünstigenden (CBCR-Richtlinie), ist die Nichtbeachtung der Richtliniengebote nicht straf -bzw. Ordnungswidrigkeiten-bewehrt gewesen. Anders stellt sich dies bekanntermaßen bei der Melderichtlinie dar. So ist es durchaus als positiv zu bewerten, dass zumindest im Augenblick der deutsche Gesetzgeber im derzeitigen Referentenentwurf vom 30.1.2019 keine Sanktionierung einer fehlerhaften oder gänzlich unterbliebenen Berichterstattung für Steuergestaltungen vorsieht, deren erster Umsetzungsschritt zwischen dem 25.6.2018 und dem 1.7.2020 erfolgt. Nur reicht das ja, wie eben beschrieben, nicht aus, wenn nur der eigene Staat von einer Strafbewehrung für den Vorwirkungszeitraum absieht. Es stehen ja auch die anderen Mitgliedsstaaten im Fokus und das abschreckende Beispiel Polen könnte hier kein Einzelfall bleiben.

Polen als abschreckendes Beispiel

Nicht nur, dass der polnische Gesetzgeber die Berichtspflichten bereits ab 1.1.2019 scharf geschaltet hat, sondern auch die teilweise sehr drakonischen Strafen und der erweiterte Anwendungsbereich haben dazu geführt, dass erstens im Zweifel alles berichtet wird und zweitens schon etliche Unternehmen überlegen, ob sie nicht ihr Engagement zurückfahren bzw. ganz unterlassen. Insbesondere das Erfordernis, dass der Berater (nicht nur die Beratungsfirma) persönlich gemeldet werden muss und eine Unterschrift leisten muss, führt in der Beraterschaft zu einer tiefen Verunsicherung. Soweit ersichtlich ist bei einer Umschau der bis dato erschienenen nationalen Umsetzungsgesetzesvorschlägen u.a. Frankreichs, Tschechiens, der Slowakei, der Niederlande, Schwedens, Zyperns und Litauens Polen der negative Ausreißer. Es bleibt somit zu hoffen, dass es bei diesem negativen Sonderfall verbleibt und dies keine weiteren Nachahmer findet.

Die Niederlande als leuchtendes Vorbild?

Sehr positiv zu bewerten ist im Gegenzug die etwas liberalere und pragmatische Einstellung des niederländischen Gesetzgebers. Im Rahmen einer generellen Vorprüfung obliegt es dem niederländischen Intermediär eigenständig für die Berichtspflicht zu beurteilen, ob bei der Gestaltung eine potentiell aggressive Steuergestaltung vorliegt. Dies deckt sich m.E. mit dem Sinn und Zweck der Richtlinie und würde bei vernünftiger Betrachtungsweise auch zu einer gesunden Handhabung der Reichweite der Kennzeichen führen und quasi wie ein erster Vorfilter der möglicherweise berichtspflichtigen Gestaltungen funktionieren.

Das Problem bleibt: Handlungszwang bei bestehender großer Unsicherheit

Unabhängig von den jeweilig kursierenden Gesetzesentwürfen verbleibt bei den Adressaten der Richtlinie, und damit meine ich die betroffenen Steuerpflichtigen und Berater, die Pflicht bereits jetzt zu handeln, zu prüfen und ggfs. zu dokumentieren immer in iterativer Verbindung mit dem Voranschreiten der gesetzgeberischen Aktivitäten der mit einer Steuergestaltung betroffenen Mitgliedsstaaten. Eins ist jedenfalls sicher: viele Unternehmen sehen sich als Kollateralschaden einer zu BEPS und der Melderichtlinie führende Entwicklung an, welche enorme Ressourcen und Koordination mit ihren jeweiligen Beratern erfordert.

Fazit

Die Melderichtlinie schlägt in vielerlei Hinsicht neue europarechtliche Kapitel auf. Was einerseits für ein wunderschönes neues Agitationsfeld für Berater und Anwälte sorgt, stellt andererseits ein erheblicher Kosten -und Zeitenaufwand für die Steuerpflichtigen dar. Die immensen Unsicherheiten im Vorwirkungszeitraum, bedingt durch Mindeststandard, sprachliche und rechtliche Unklarheiten und den 27 unterschiedlichen Umsetzungsvarianten, wären vermeidbar gewesen, sind aber nun Realität und müssen überwunden werden bis ein einigermaßen rechtssichere Handhabung realisiert ist. Eine völlig andere Frage ist, wie diese Überlegungen prozesstechnisch angegangen werden können. Diese Thematik bleibt einem weiteren Blogbeitrag vorbehalten.


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von Brocke | Nonnenmacher | Przybilka: Anzeigepflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen

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