Zinssatz von 6 % verfassungswidrig?

Endlich hat ein Senat des BFH diese Rechtsfrage zur Höhe des Zinssatzes nach § 238 AO mit Sachverstand beantwortet. In der wohl begründeten und lesenswerten Entscheidung zum vorläufigen Rechtsschutz (§§ 361 AO, 69 FGO) hat der IX. Senat des BFH (IX B 21/18) die Höhe des Zinssatzes für verfassungsrechtlich äußerst bedenklich eingestuft. Da die Entscheidung zum vorläufigen Rechtsschutz erging und nicht in einem Hauptsachverfahren gegen den Zinsbescheid erfolgte, konnte ein Vorlagebeschluss an das BVerfG noch nicht ergehen. Dieser Beschluss korrigiert die zahllosen Fehlentscheidungen anderer Senate des BFH oder der Finanzgerichte (beispielhaft III R 10/16; FG Münster 10 K 2472/16; FG Baden-Württemberg 2 V 3389/16) zum vorläufigen Rechtsschutz.

Der IX. Senat unter Führung des Präsidenten des BFH sieht in der Höhe des Zinssatzes einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz und ein Verstoß gegen das Übermaßverbot zumindest für den Veranlagungszeitraum 2015. Das niedrige Zinsniveau hat sich so gefestigt, dass der Prozentsatz von 6 % keine realitätsgerechte Typisierung mehr darstellt. Diesen Zinssatz mit den Zinssätzen von Kreditkartenkrediten oder Kontoüberziehungskrediten zu vergleichen wie es der III. Senat des BFH und dem folgend einige Finanzgerichte „nachgeeifert haben“, ist nicht sachgerecht. Diese Zinssätze sind nicht für ein realitätsgerechtes Leitbild geeignet.

Auf dem Kapitalmarkt kann die öffentliche Hand quasi sich zum „Nulltarif“ finanzieren, während Anleger nur einen geringen Zinsertrag erwirtschaften können. Unter diesen Voraussetzungen ist ein typisierender Zinssatz von 6 % nicht mehr realitätsgerecht.

Da das Hauptverfahren gegen den Zinsbescheid sich noch im Verwaltungsverfahren befindet, liegt noch kein Hauptverfahren vor. Insoweit fehlt noch ein Vorlagebeschluss  an das zuständige BVerfG. Allerdings ist in diesen Fällen vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren. Auf dem ersten Blick folgt das BMF in seinem Schreiben vom 14.06.18 (IV A 3 – S-0465/18/10005-01) dem BFH. Die erste Einschränkung ist, dass das BMF die Aussetzung der Vollziehung ab 1.4.2015 gewährt und nicht der Aussage des BFH folgt, dass für den Veranlagungszeitraum 2015 der Zinssatz verfassungswidrig sein könnte.

Skandalös ist der zweite Teil des BMF Schreibens. Das BMF fordert die Finanzämter auf, das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung gegen die Interessen des einzelnen Steuerpflichtigen zum vorläufigen Rechtsschutz abzuwägen. Dieses Ansinnen steht im absoluten Widerspruch zu der Entscheidung des IX. Senates. In TZ 36 wird mit aller Deutlichkeit dargelegt, dass die Interessen des Steuerpflichtigen am vorläufigen Rechtsschutz überwiegen. Dem Gesetzgeber ist die Notwendigkeit der Zinsanpassung bekannt, so dass ein besonderes Interesse zur Sicherung der Haushaltslage für den Fiskus entfällt.

Diese Passage der Begründung wird seitens des BMF bewusst ignoriert (z.B. TZ 38). Es empfiehlt sich nun generell hinsichtlich der festgesetzten Zinsen Aussetzung der Vollziehung zu beantragen. In diesem Antrag sollte rein vorsorglich auf die Rechtwidrigkeit des BMF Schreibens hingewiesen werden. Ich halte einen derartigen Antrag für Veranlagungszeiträume vor 2015 durchaus für sachlich angebracht. Eine Verzinsung der ausgesetzten Zinsen sieht die AO nicht vor, so dass bedenkenlos dieser vorläufige Rechtsschutz beantragt werden kann.

Zum Schluss ist darauf hinzuweisen, dass in der Hauptsache, also gegen den Zinsbescheid Einspruch einzulegen ist. Aus diesem Grunde halte ich eine Formulierung des „Einspruches gegen die Verwaltungsakte aus dem Einkommensteuerbescheid“ usw. für empfehlenswert, um auch alle (möglichen) Verwaltungsakte „zu treffen“.

Weitere Informationen:

Ein Kommentar zu “Zinssatz von 6 % verfassungswidrig?

  1. Sehr empfehlenswert ist folgende Internetseite: http://www.cgw.de/pdf/geitmann-bibelkirchenzins.pdf. Hier findet sich der Hinweis auf Kaiser Lothar, der im Jahr 825 bestimmte:

    „Wer Zins nimmt, wird mit dem Königsbann belegt, wer wiederholt Zins nimmt, wird aus der Kirche ausgestoßen und soll vom Grafen gefangen gesetzt werden.“

    Ich bin zwar kein Monarchist, aber in Sachen „Nachzahlungszinsen“ wünscht man sich doch die Weitsicht eines Kaisers Lothar.

    Viele Grüße
    Christian Herold

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