§ 175b AO: Der BFH legt nach – Änderung trotz Verschulden des Finanzamts jederzeit möglich

Gemäß § 175b Abs. 1 AO ist ein Steuerbescheid aufzuheben oder zu ändern, soweit von der mitteilungspflichtigen Stelle an die Finanzbehörden übermittelte Daten im Sinne des § 93c AO bei der Steuerfestsetzung nicht oder nicht zutreffend berücksichtigt wurden. Hier geht es beispielsweise um die Daten, die Arbeitgeber oder die Sozialversicherungsträger an die Finanzverwaltung übermitteln. In diesem Zusammenhang hatte ich bereits das BFH-Urteil vom 20.2.2024 (IX R 20/23) vorgestellt. Eine Änderung nach § 175b Abs. 1 AO ist danach auch dann zulässig, wenn der Veranlagungsfehler selbst bei Vorlage einer Papierbescheinigung aufgetreten wäre und das Finanzamt den Vorgang rechtlich geprüft hat (siehe Blog-Beitrag „§ 175b AO und die Wirkung für die Zukunft des Verfahrensrechts“.

Nun hat der BFH nachgelegt: Eine Änderung nach § 175b Abs. 1 AO ist auch möglich (bzw. ggf. sogar „erforderlich“), wenn die digitalen Daten (§ 93c AO) bei Erlass des zu ändernden Ausgangsbescheids noch nicht vorgelegen haben, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt – erstmalig – an die Finanzbehörde übermittelt worden sind. Unerheblich ist, ob der Inhalt der Daten der Finanzbehörde bereits anderweit bekannt war, etwa aufgrund der Steuererklärung (BFH-Urteil vom 27.11.2024, X R 25/22).

Der Sachverhalt – Renteneinkünfte zunächst nicht berücksichtigt

Die Eheleute hatten eine korrekte Steuererklärung abgegeben. Darin hatten sie auch ihre Renteneinkünfte zutreffend erklärt. Das Finanzamt erließ den Einkommensteuerbescheid trotzdem ohne Berücksichtigung der Renteneinkünfte. Später erhielt das Finanzamt (auch) auf elektronischem Wege durch eine Datenübermittlung des Rentenversicherungsträgers Kenntnis von der Höhe der Renteneinkünfte. Daraufhin änderte es den Einkommensteuerbescheid zu Lasten der Eheleute gemäß § 175b AO und setzte erstmals die Renteneinkünfte an. Klage und Revision der Eheleute hatten keinen Erfolg.

Die Begründung – vorherige Nichtberücksichtigung nicht relevant

Im Rahmen von § 175b AO ist es unerheblich, ob dem Finanzamt der Inhalt der übermittelten Daten bei Erlass des Bescheids bereits bekannt war. § 175b AO ist daher selbst dann anwendbar, wenn bei Erlass des Bescheids die Daten elektronisch übermittelt waren, das Finanzamt sie jedoch nicht ausgewertet hatte. Erst recht kann ein Bescheid geändert werden, wenn dem Finanzamt die eDaten nach Bescheiderteilung zugehen, und zwar auch, wenn die Daten von den Steuerpflichtigen zuvor ordnungsgemäß erklärt wurden. Auf die Gründe der vorigen Nichtberücksichtigung von Daten kommt es nicht an. Die Änderungsbefugnis bzw. -pflicht knüpft allein an die Tatsache der Nichtberücksichtigung bzw. der nicht zutreffenden Berücksichtigung an.

Denkanstoß:

Man möge mir verzeihen, dass ich meinen Denkanstoß aus dem oben erwähnten Blog-Beitrag wiederhole: Die BFH-Entscheidungen sind – bei allem Verständnis – keine gute Richtung für die Zukunft des Verfahrensrechts. Man beachte: In dem Fall, der dem BFH-Urteil vom 20.2.2024 zugrunde lag, hatte die Sachbearbeiterin sogar einen Prüfungsvermerk mit dem handschriftlichen Vermerk „Abfindungsvertrag liegt vor. Geprüft.“ abgezeichnet.

Es bleibt der Trost, dass § 175b AO natürlich auch zugunsten der Steuerpflichtigen wirken kann. Hoffentlich wenden dann auch in einem solchen Fall alle Finanzämter die BFH-Entscheidungen sofort und „ohne Murren“ an.

 

Ein Beitrag von:

  • Christian Herold

    • Steuerberater in Herten/Westf. (www.herold-steuerrat.de)
    • Autor zahlreicher Fachbeiträge
    • Mitglied im Steuerrechtsausschuss des Steuerberaterverbandes Westfalen-Lippe

    Warum blogge ich hier?
    Als verantwortlicher Redakteur und Programmleiter zahlreicher Steuerfachzeitschriften, meiner früheren Tätigkeit in der Finanzverwaltung und meiner über 25-jährigen Arbeit als Steuerberater lerne ich das Steuerrecht sowohl aus theoretischer als auch aus praktischer Sicht kennen. Es reizt mich, die Erfahrungen, die sich aus dieser Kombination ergeben, mit den Nutzern des Blogs zu teilen und freue mich auf viele Rückmeldungen.

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