Nutzungsersatz nach Rückabwicklung von Darlehen: Was gilt bei bestandskräftigen Steuerbescheiden?

Kürzlich habe ich in dem Blog-Beitrag „Rückabwicklung von Darlehen: Aktuelles zur (Nicht-)Steuerbarkeit einer Nutzungsentschädigung“ die jüngste BFH-Rechtsprechung vorgestellt, wonach von Banken gezahlte Nutzungsentschädigungen im Zusammenhang mit dem Widerruf von Darlehensverträgen nicht zu steuerpflichtigen Kapitaleinnahmen führen bzw. führen müssen (BFH-Urteile vom 7.11.2023, VIII R 7/21 und VIII R 16/22; BFH-Urteil vom 22.5.2024, VIII R 3/22).

Mein Denkanstoß dazu lautete: Betroffene sollten sich – im Rahmen der Steuererklärung – auf die BFH-Rechtsprechung berufen und eine Erstattung ihrer Kapitalertragsteuer beantragen, sofern diese einbehalten wurde. Es ist fast immer sinnvoller, sich mit dem Finanzamt (gegebenenfalls vor dem Finanzgericht) bezüglich der Kapitalertragsteuer (Abgeltungsteuer) zu streiten als mit der Bank, denn diese ist nach § 44 Abs. 1 Satz 3 EStG an die Auslegungsvorschriften der Finanzverwaltung gebunden – und seien diese auch noch so falsch bzw. vom BFH für falsch befunden worden.“

Wie es der Zufall will, hat der BFH kürzlich ein Urteil veröffentlicht, in dem es genau darum ging, dass sich der Betroffene nicht – rechtzeitig – mit dem Finanzamt um den Einbehalt der Kapitalertragsteuer gestritten hat (BFH-Urteil vom 22.5.2024, VIII R 3/22). Weiterlesen

Erhaltungsrücklage: Werbungskostenabzug bereits bei Einzahlung in die Rücklage?

Einzahlungen in die Erhaltungsrücklage, früher als Instandhaltungsrücklage oder Instandhaltungsrückstellung bezeichnet, dürfen vom jeweiligen Wohnungseigentümer erst dann als Werbungskosten abgezogen werden, wenn der Verwalter sie verausgabt hat. Wird die Erhaltungsrücklage ausnahmsweise für Maßnahmen verwendet, die zu Herstellungskosten führen, sind nur die entsprechenden Absetzungen für Abnutzung als Werbungskosten abziehbar.

Voraussetzung ist natürlich, dass die Wohnung der Einkünfteerzielung dient. Diese Grundsätze gelten bereits seit vielen Jahren und werden – soweit ersichtlich – von der Finanzverwaltung auch nach der Novellierung des Wohnungseigentumsgesetzes durch das Wohnungseigentums-Modernisierungsgesetz vom 16.10.2020 (BGBl I 2020, 2187) vertreten (vgl. OFD Frankfurt/Main, Verfügung vom 9.11.2022, S 2211 A – 12 – St 214). Nach der gesetzlichen Neuregelung besitzen die Wohnungseigentümergemeinschaft eine eigene Rechtsfähigkeit.

Nun muss der BFH klären, ob die bisherigen Grundsätze zur ertragsteuerlichen Behandlung der Erhaltungsrücklage weiter anzuwenden sind. Die Rechtsfrage in dem Verfahren mit dem Az. IX R 19/24 lautet: Stellen Einzahlungen in die Erhaltungsrücklage (vormals Instandhaltungsrücklage) nach der Novellierung des WEG bereits in diesem Zeitpunkt des Abflusses (§ 11 Abs. 2 EStG) ertragsteuerlich sofort abzugsfähige Werbungskosten bei einer vermieteten Wohnung dar, unabhängig von der späteren Mittelverwendung und deren steuerlicher Einordnung? Vorinstanz war das FG Nürnberg (Urteil vom 12.3.2024, 1 K 866/23). Weiterlesen

Inflationsausgleichsprämie ist pfändbares Arbeitseinkommen

Noch bis zum Jahresende 2024 dürfen Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern bis zu 3.000 Euro steuer- und sozialversicherungsfrei als Inflationsausgleichsprämie zahlen. Bei Arbeitnehmern, die überschuldet sind, dürfte sich die Freude allerdings in Grenzen halten. Der BGH hat nämlich entschieden, dass eine vom Arbeitgeber gezahlte Inflationsausgleichsprämie als Arbeitseinkommen gilt und als solches pfändbar ist (BGH, Beschluss vom 25.4.2024, IX ZB 55/23).

Der Sachverhalt in Kurzform:

Auf Eigenantrag des Schuldners eröffnete das Insolvenzgericht im Februar 2023 das Insolvenzverfahren über dessen Vermögen. Der Arbeitgeber gewährte dem Schuldner eine Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 3.000 Euro, zahlbar in Teilbeträgen in Höhe von 1.500 Euro zum 30.6.2023 und zum 30.6.2024. Der Schuldner beantragte, die Unpfändbarkeit der Inflationsausgleichsprämie festzustellen und diese freizugeben. In letzter Instanz hat auch der BGH diesen Antrag abgelehnt. Weiterlesen

Rückabwicklung von Darlehen: Aktuelles zur (Nicht-)Steuerbarkeit einer Nutzungsentschädigung

Aufgrund der EuGH- und der BGH-Rechtsprechung der letzten Jahre kommt es aufgrund fehlerhafter Widerrufsbelehrungen häufiger zum Widerruf bzw. zur Rückabwicklung von Darlehensverträgen. Werden die Streitigkeiten beendet, müssen die Banken gegebenenfalls Nutzungsersatz leisten.

Im Jahre 2023 hat der BFH diesbezüglich entschieden, dass die nach Widerruf eines Darlehens von der Bank gezahlte Nutzungsentschädigung für bereits geleistete Zahlungen nicht zu steuerpflichtigen Kapitaleinnahmen führt, da der Nutzungsersatz nicht auf einer erwerbsgerichteten Tätigkeit beruht und mithin nicht innerhalb der steuerbaren Erwerbssphäre erzielt wird (z.B. BFH-Urteile vom 7.11.2023, VIII R 7/21 und VIII R 16/22).

Nun hat der BFH – auf einer Linie mit den oben genannten Urteilen – entschieden: Zahlt eine Bank auf der Grundlage einer Vergleichsvereinbarung zur einvernehmlichen Beilegung eines Zivilrechtsstreits eine als „Nutzungsentschädigung“ bezeichnete Summe und ist unklar, ob damit der im Vergleich vereinbarte Verzicht auf die Rechte aus dem Darlehenswiderruf abgegolten oder im Rahmen der einvernehmlichen Rückabwicklung des widerrufenen Darlehens Nutzungsersatz geleistet werden soll, führt die Zahlung beim Empfänger regelmäßig weder zu Kapitaleinkünften gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG noch zu sonstigen Einkünften gemäß § 22 Nr. 3 EStG (BFH-Urteil vom 22.5.2024, VIII R 3/22).

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Photovoltaikanlagen: Ermittlung eines Totalüberschusses – in Altfällen immer noch wichtig

Wenn es in einem Beitrag um die Ermittlung eines Totalüberschusses aus dem Betrieb einer Photovoltaikanlage geht, klingt das irgendwie nach einer „alten Kamelle“. Doch es dürfte noch viele Streitfälle aus den Jahren vor 2022 geben, in denen das Finanzamt eine Totalüberschuss- bzw. -gewinnprognose anfordert oder selbst erstellt und mithin die Gewinnerzielungsabsicht infrage stellt.

Für diese Fälle ist ein Urteil des FG Baden-Württemberg vom 13.11.2023 (10 K 646/22) durchaus bedeutsam. Die wesentlichen Aussagen lauten: Beim Betrieb von Photovoltaikanlagen ist für die Beurteilung der Gewinnerzielungsabsicht ein Prognosezeitraum von 20 Jahren anzusetzen. Ein Restwert ist nach Ablauf der 20 Jahre nicht anzunehmen.

Der Sachverhalt:

In seiner Einkommensteuererklärung 2018 machte der Kläger einen Verlust aus dem Betrieb der Photovoltaikanlage durch Bildung eines Investitionsabzugsbetrags geltend. Er erzielte auch 2019 einen Verlust aus dem Betrieb der Anlage. Bei der Veranlagung zur Einkommensteuer des Streitjahres 2020 erstellte das Finanzamt eine Gewinnprognose. Es ermittelte über eine Gesamtnutzungsdauer von 20 Jahren einen Totalverlust. Daher änderte das Finanzamt die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2018 und 2019 und berücksichtigte die bislang angesetzten Verluste aus dem Betrieb der Photovoltaikanlage nicht mehr. Auch das FG entschied, dass die geltend gemachten Verluste nicht abgezogen werden dürfen.

Die Begründung in aller Kürze:

Ich erlaube mir, hier aus einem Newsletter des FG zu zitieren: „Für die Prüfung der Gewinnerzielungsabsicht bzw. für die Ermittlung eines eventuellen Totalüberschusses ist ein Prognosezeitraum von 20 Jahre zugrunde zu legen. Eine längere Nutzbarkeit – wie vom Kläger behauptet 30 bis 40 Jahre – ist rein spekulativ und stützt sich nicht auf derzeit gesicherte Erkenntnisse. Bei seiner Schätzung der Betriebseinnahmen ging das Finanzamt bei einer Anlage mit 9.900 kWh/kWp von einer jährlichen Stromerzeugung von 9.900 kWh aus. Für den Prognosezeitraum von 20 Jahren ergibt sich hieraus eine Stromerzeugung von insgesamt 198.000 kWh. Dies ist nicht zu beanstanden. Des Weiteren hat das Finanzamt auf Basis der Werte des Jahres 2020 zutreffend einen Anteil von rund 29,04 % (57.500 kWh) für die Einspeisung mit 0,1079 Euro/kWh und einen Anteil von rund 70,96 % für den Eigenverbrauch (140.500 kWh) zugrunde gelegt. Hinsichtlich des selbst verbrauchten Stroms (140.500 kWh) kommt es zu einer als Betriebseinnahme zu erfassenden Entnahme, die mit dem Teilwert anzusetzen ist. Der Teilwert des selbst verbrauchten Stroms entspricht den für seine Erzeugung aufgewandten Kosten.

Ein Restwert der Anlage nach Ablauf der 20-jährigen Nutzungsdauer ist für die Prognose nicht als Einnahme zu berücksichtigen. Zum Zeitpunkt der Investitionsentscheidung des Klägers (spätestens) im Jahr 2018 war kaum vorhersehbar, welche Faktoren in welchem Umfang zu einem nennenswerten Restwert der Anlage beitragen könnten bzw. werden. Die diesbezügliche Unsicherheit besteht fort, so dass eine Ermittlung bzw. Schätzung des Restwerts auf ausreichend gesicherter Grundlage nicht möglich erscheint. Jedenfalls ergibt sich vor diesem Hintergrund kein Restwert, der im Streitfall zu einer positiven Ergebnisprognose führen könnte.

Bei dem Betrieb einer Photovoltaikanlage spricht der Beweis des ersten Anscheins zwar zunächst dafür, dass sie in der Absicht der Gewinnerzielung betrieben wird. Nach der Lebenserfahrung ist ein solcher Betrieb typischerweise nicht dazu bestimmt und geeignet, der Befriedigung persönlicher Neigungen des Steuerpflichtigen oder der Erlangung wirtschaftlicher Vorteile außerhalb der Einkommenssphäre zu dienen wie eine Tätigkeit im Hobbybereich. Dieser Anscheinsbeweis wird aber bereits dadurch erschüttert, dass nach der Totalgewinnprognose innerhalb eines Zeitraums von 20 Jahren kein Gewinn erzielt werden kann. Dies indiziert das Fehlen einer Gewinnerzielungsabsicht“. (Quelle: FG Baden-Württemberg, Newsletter 1/2024).

Denkanstoß:

Die Urteilsbegründung wurde hier stark verkürzt wiedergegeben. Betroffene sollten sich mit dem Urteil und insbesondere mit den Berechnungsparametern, die die Richter aufgestellt haben, aber intensiv beschäftigen, um dem Finanzamt ihrerseits vorrechnen zu können, dass doch ein Totalüberschuss erzielt werden kann. Sie sollten dabei aber tatsächlich von dem Prognosezeitraum von lediglich 20 Jahren ausgehen.

Man mag den kurzen Prognosezeitraum und die Nichteinbeziehung eines Restwerts kritisieren, doch am Ende hilft es wohl nicht viel. Die Revision wurde nicht zugelassen und es steht zu befürchten, dass sich die Finanzämter – auch außerhalb Baden-Württembergs – auf das Urteil stützen werden.

Es könnte übrigens dann besondere Bedeutung gewinnen, wenn der BFH – überraschend – entscheiden sollte, dass ein vor 2022 gebildeter Investitionsabzugsbetrag für die Anschaffung einer Anlage seit 2022 erhalten bleiben muss, auch wenn die Einnahmen seit 2022 nach § 3 Nr. 72 EStG steuerfrei sind. Dann würden die Finanzämter verstärkt in die Prüfung der Gewinnerzielungsabsicht einsteigen.

Aufreger des Monats September: Zu hohe Hürden des Grundsteuererlasses für Baudenkmale

Die Grundsteuer ist zu erlassen für Grundbesitz oder Teile von Grundbesitz, dessen Erhaltung wegen seiner Bedeutung für Kunst, Geschichte, Wissenschaft oder Naturschutz im öffentlichen Interesse liegt, wenn die erzielten Einnahmen und die sonstigen Vorteile (Rohertrag) in der Regel unter den jährlichen Kosten liegen. So lautet § 32 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 GrStG.

In der Praxis wird diese schöne Vorschrift aber so verschärft ausgelegt, dass der Grundsteuererlass nur selten zu erreichen ist. Das belegt ein aktuelles Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz. Zwar liegt dieses offenbar auf einer Linie mit dem Bundesverwaltungsgericht, dennoch habe ich es zum „Aufreger des Monats“ gekürt (VG Koblenz, Urteil vom 25.6.2024, 5 K 172/24.KO). Weiterlesen

Entfernungspauschale: Wann kann die verkehrsgünstigere Straßenverbindung angesetzt werden?

Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte werden mit der Entfernungspauschale berücksichtigt. Für die Bestimmung der Entfernung ist die kürzeste Straßenverbindung zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte maßgebend; eine andere als die kürzeste Straßenverbindung kann zugrunde gelegt werden, wenn diese offensichtlich verkehrsgünstiger ist und vom Arbeitnehmer regelmäßig für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte benutzt wird (§ 9 Abs. 1 Nr. 4 Satz 4 EStG). Die Betonung liegt auf den Worten „offensichtlich verkehrsgünstiger“ und „regelmäßig“.

Das Niedersächsische FG hat entschieden, dass es nicht ausreicht, wenn die Umwegstrecke bei extremen Stauverhältnissen auch ´mal verkehrsgünstiger und schneller sein kann als die kürzere Verbindung. Entscheidend sei vielmehr, dass die erste Tätigkeitsstätte trotz gelegentlicher Verkehrsstörungen durch Benutzung der Umwegstrecke in der Regel schneller und pünktlicher erreicht wird (Niedersächsisches FG, Urteil vom 3.4.2024, 9 K 117/21). Weiterlesen

Grundfreibeträge 2023 und 2024 verfassungswidrig? Die nächste Einspruchswelle rollt

Die Finanzämter kämpfen derzeit noch mit der Einspruchsflut gegen die Festsetzung der neuen Grundsteuerwerte, da rollt auch schon die nächste Welle heran: Es wird in den Finanzämtern in Kürze wohl hunderttausende Einsprüche gegen die Einkommensteuerbescheide 2023 und die Einkommensteuer-Vorauszahlungsbescheide 2024 geben. Was ist geschehen?

Zunächst zum Hintergrund:

Das Bundesverfassungsgericht hatte vor über 25 Jahren entschieden: Das sozialhilferechtlich definierte Existenzminimum bildet die Grenze für das einkommensteuerliche Existenzminimum, die über-, aber nicht unterschritten werden darf (BVerfG, Beschluss vom 10.11.1998, 2 BvL 42/93). Im Klartext: Wenn der Gesetzgeber der Auffassung ist, dass das sozialhilferechtliche Existenzminimum beispielsweise bei 12.000 Euro liegt, muss der steuerliche Grundfreibetrag ebenfalls bei – mindestens – 12.000 Euro liegen.

Nun kommt es: Weiterlesen

Nebenberuf: Kein Anspruch auf Steuerbescheid ohne Vorläufigkeitsvermerk

Kann ein Freiberufler, speziell ein Anwalt, eine Tätigkeit aus rein privaten Gründen heraus betreiben, so dass bei lang andauernden Verlusten eine Liebhaberei unterstellt werden kann? Diese Frage war schon häufiger Bestandteil von finanzgerichtlichen Entscheidungen. Zugegebenermaßen habe ich zu dem Thema nicht alle Urteile der letzten 30 Jahre studiert, aber ich denke, als Fazit kann ich dennoch festhalten, dass eine Liebhaberei durchaus in Betracht kommen kann.

Doch an diese Feststellung sind seitens der Finanzverwaltung bei einem Freiberufler hohe Anforderungen zu stellen. Vor allem muss das Finanzamt darlegen, dass die Tätigkeit aus privaten Motiven heraus (mit-)veranlasst ist (vgl. z.B. BFH vom 22.4.1998, XI R 10/97; BFH 14.12.2004, XI R 6/02).

Aber darf das Finanzamt die Gewinnerzielungsabsicht auch erst nach einigen Jahren überprüfen und die Steuerbescheide bis dahin vorläufig erlassen? Die Antwort lautet „Ja, das darf es“. In diesem Sinne hatte das FG Münster bezüglich der nebenberuflichen Tätigkeit einer Syndikusrechtsanwältin entschieden; die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde hat der BFH nun verworfen (FG Münster 21.4.2023, 14 K 1263/21 E; BFH 17.7.2024, VIII B 48/23).

Der Beschluss des BFH:

Der Beschluss des BFH lautet: Bei der nebenberuflichen Anwaltstätigkeit einer Syndikusrechtsanwältin in eigener Kanzlei darf aufgrund einer dauerhaften Verlustsituation ein Vorläufigkeitsvermerk gemäß § 165 Abs. 1 Satz 1 AO hinsichtlich einer ungewissen Gewinnerzielungsabsicht jedenfalls dann ergehen, wenn die Art und Weise der Betriebsführung der Kanzlei unklar ist. Weitere Umstände des Einzelfalls, die den grundsätzlich bestehenden Anscheinsbeweis für eine Gewinnerzielungsabsicht der nebenberuflichen anwaltlichen Tätigkeit in der eigenen Kanzlei erschüttern, müssen nicht festgestellt werden.

Denkanstoß:

Der Beschluss des BFH ist ausschließlich zum Verfahrensrecht ergangen. Es liegt nun an der Rechtsanwältin, dem Finanzamt gegenüber glaubhaft zu machen, dass sie mit ihrer Tätigkeit einen Totalüberschuss erwirtschaften kann bzw. dass eine Gewinnerzielungsabsicht besteht. Eigentlich sollte dies bei Freiberuflern, auch wenn sie lediglich nebenberuflich tätig sind, nicht allzu schwer fallen, denn üblicherweise halten sich die Betriebsausgaben in Grenzen. Andererseits – darauf wurde eingangs hingewiesen – darf das Finanzamt die Messlatte für eine Prüfung der Gewinnerzielungsabsicht nicht zu hoch legen.

Letztlich gilt: Es sollte (mit der Höhe der Betriebsausgaben) nicht übertrieben werden und mit etwas gutem Willen auf beiden Seiten sollte man zu einer guten Lösung gelangen.

Bekanntgabe von Steuerbescheiden: Kann ein Gesamtrechtsnachfolger den Zugang wirksam bestreiten?

In der Praxis kommt es häufig vor, dass der Zugang eines Steuerbescheides bestritten wird. Üblicherweise müssen die Finanzämter das Bestreiten des Zugangs zähneknirschend zur Kenntnis nehmen und den Steuerbescheid erneut zur Post geben. Manch Finanzamt zeigt sich allerdings kampfbereit und lässt es auf einen Prozess vor dem Finanzgericht ankommen. Gerne wird dabei vorgebracht, es liege am Steuerpflichtigen, den Nichtzugang des Steuerbescheides glaubhaft darzulegen. Die Rechtsprechung sieht die Beweislast aber beim Finanzamt (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 29.4.2009, X R 35/08).

Ausnahmen können sich ergeben, wenn sich der Vortrag des Steuerpflichtigen als reine Schutzbehauptung entlarvt oder wenn sein Verhalten erkennen lässt, dass ihm der Steuerbescheid wohl doch zugegangen ist (vgl. z.B. FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.12.2019, 9 K 9073/18).

Was aber gilt, wenn nicht der Steuerpflichtige selbst, sondern sein Gesamtrechtsnachfolger den Zugang eines Steuerbescheides bestreitet? Mit dieser Frage wird sich bald der BFH beschäftigen müssen. Vorausgegangen ist ein Urteil des FG Münster, das die Zugangsfiktion im zugrunde liegenden Fall tatsächlich als erschüttert ansah. Allerdings hat das Gericht klargestellt, dass das bloße Bestreiten des Zugangs eines Schriftstücks nicht ausreichend ist (FG Münster, Urteil vom 19.4.2024, 4 K 870/21 E, Revision unter Az. VI R 16/24).

Der – verkürzte und leicht abgewandelte – Sachverhalt:

Im Jahre 2017 erließ das Finanzamt den Einkommensteuerbescheid für 2016. Im Februar 2020 verstarb die Steuerpflichtige. Sie galt als gewissenhafte Person und ihre Steuerunterlagen waren gut geordnet. Es fehlte in den – chronologisch sortierten – Unterlagen aber der Einkommensteuerbescheid für 2016. Im März 2020 teilte der Gesamtrechtsnachfolger dem Finanzamt mit, dass die Steuerpflichtige verstorben sei. Bei der Auflösung des Haushalts seien Unterlagen/Belege gefunden worden, die für die Einkommensteuererklärung für 2016 noch relevant seien. Der Gesamtrechtsnachfolger bestritt den Zugang des damaligen Steuerbescheides und reichte Unterlagen nach, mit der die Steuerlast des Jahres 2016 verringern werden sollte. Das Finanzamt war hingegen der Auffassung, dass die Unterlagen verspätet nachgereicht wurden, weil der Einkommensteuerbescheid für 2016 als in 2017 bekannt gegeben gelte. Das FG sah die hiergegen gerichtete Klage aber als begründet an. Die Zugangsfiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO sei erschüttert.

Die Begründung:

Das bloße Bestreiten des Zugangs eines Schriftstücks durch den Rechtsnachfolger des Bekanntgabeadressaten lässt die Zugangsfiktion nicht entfallen. Allerdings darf der Maßstab, der an die Erschütterung der Zugangsvermutung im Einzelfall zu stellen ist, nicht überhöht werden. Es sollte daher ausreichen, wenn sich auch nur im Ansatz begründete Zweifel am Zugang des Verwaltungsaktes feststellen lassen. Im Urteilsfall begründet insbesondere die vorgefundene Situation bei der Aufnahme des Nachlasses Zweifel am Zugang des Einkommensteuerbescheids. Es wäre zu erwarten gewesen, dass die Steuerpflichtige den streitgegenständlichen Einkommensteuerbescheid für 2016 in ihre sortierten Steuerunterlagen aufgenommen hätte, wenn er ihr tatsächlich zugegangen wäre.

Denkanstoß:

Es wurde die Revision zugelassen, da noch keine Entscheidung des BFH dazu vorliegt, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen sich ein Dritter auf die fehlende Bekanntgabe eines Steuerbescheides berufen kann. Wie erwähnt wurde die Revision auch eingelegt. Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass der BFH in der Sache anders entscheiden wird. Doch spannend wird sein, welche Grundsätze er allgemein bezüglich des Bestreitens des Zugangs eines Verwaltungsaktes durch den Rechtsnachfolger aufstellen wird.

Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass sich die Bekanntgabe- bzw. Zugangsfiktion ab 2025 auf vier Tage verlängert. Beachten Sie hierzu den Blog-Beitrag „Verlängerung der Bekanntgabefiktion bei Verwaltungsakten ab 2025 – Was bedeutet das für Unternehmen und Bürger?“ von Professor Ralf Jahn.