Verkürzter AfA-Zeitraum: Erneute Schlappen für die Finanzverwaltung

Liegt die tatsächliche Nutzungsdauer eines Gebäudes unter der typisierten Nutzungsdauer des § 7 Abs. 4 EStG (zumeist 33, 40 oder 50 Jahre), so kann die AfA statt mit den pauschalierten AfA-Sätzen nach der tatsächlichen Nutzungsdauer vorgenommen werden (§ 7 Abs. 4 Satz 2 EStG).

Mitte 2021 hat der BFH zum Entsetzen der Finanzverwaltung geurteilt: Der Steuerpflichtige kann sich zur Darlegung der verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer eines zur Einkünfteerzielung genutzten Gebäudes jeder Darlegungsmethode bedienen, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint. Erforderlich ist insoweit, dass aufgrund der Darlegungen des Steuerpflichtigen der Zeitraum, in dem das maßgebliche Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann, mit hinreichender Sicherheit geschätzt werden kann. Die Vorlage eines Bausubstanzgutachtens ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung einer verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer (BFH-Urteil vom 28.7.2021, IX R 25/19).

Es war zu erwarten, dass dem Fiskus diese Rechtsprechung nicht schmecken konnte. Und wie so häufig in solchen Fällen wurde der Gesetzgeber zum Erlass eines Nichtanwendungsgesetzes gedrängt. Es lag dann auch tatsächlich im Entwurf vor, das heißt, § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG sollte einfach gestrichen werden. Doch die Streichung ist nicht erfolgt. § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG hat also weiter Gültigkeit.

Aber wer die Finanzverwaltung kennt, weiß, dass sie sich von solchen Rückschlägen nicht beirren lässt und so versucht sie weiter, die ihr genehme Rechtslage per Verwaltungsanweisung durchzusetzen, hier in Form des BMF-Schreibens vom 22.2.2023 (BStBl 2023 I S. 332).

BMF: Anforderungen an den Gutachter

Eine der wesentlichen Aussagen lautet, dass der Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer (nur) durch Vorlage eines Gutachtens eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken erbracht werden kann. Alternativ von Personen, die von einer nach DIN EN ISO/IEC 17024 akkreditierten Stelle als Sachverständige oder Gutachter für die Wertermittlung von Grundstücken nach entsprechender Norm zertifiziert worden sind (BMF-Schreiben vom 22.2.2023, BStBl 2023 I S. 332, Rz. 22). Doch dem treten die Finanzgerichte nun entgegen:

Urteile des FG Münster und des FG Hamburg

Das FG Münster hat entschieden, dass – bei hinreichender Qualifizierung – auch Gutachten von Sachverständigen zu akzeptieren sind, die nicht öffentlich bestellt und auch nicht von einer deutschen Institution nach DIN EN ISO/IEC 17024 akkreditiert sind (FG Münster, Urteil vom 2.4.2025, 14 K 654/23 E).

Das FG Hamburg hat entscheiden, dass auch ein privates Sachverständigengutachten Grundlage für die Schätzung einer verkürzten tatsächlichen Restnutzungsdauer sein kann. Das Gesetz selbst verlangt nicht, dass der Nachweis durch ein Gutachten eines in bestimmter Weise qualifizierten Sachverständigen erfolgt. Allein der Umstand, dass der Gutachter weder über eine gesonderte Zertifizierung verfügt noch öffentlich bestellt oder vereidigt ist, führt nicht dazu, dass seine Ausführungen keine taugliche Schätzungsgrundlage darstellen (FG Hamburg, Urteil vom 1.4.2025, 3 K 60/23).

Denkanstoß

In beiden Verfahren wurde nicht einmal die Revision zugelassen. Es bestehen daher gute Aussichten, dass entsprechende Gutachten auch in anderen Verfahren akzeptiert werden.

Auf einen wichtigen Punkt sei aber hingewiesen: Die Richter des FG Münster haben anklingen lassen, dass reine Online-Gutachten möglicherweise nicht anerkannt werden – auch wenn es im Urteilsfall letztlich nicht entscheidungserheblich war.

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Ein Beitrag von:

  • Christian Herold

    • Steuerberater in Herten/Westf. (www.herold-steuerrat.de)
    • Autor zahlreicher Fachbeiträge
    • Mitglied im Steuerrechtsausschuss des Steuerberaterverbandes Westfalen-Lippe

    Warum blogge ich hier?
    Als verantwortlicher Redakteur und Programmleiter zahlreicher Steuerfachzeitschriften, meiner früheren Tätigkeit in der Finanzverwaltung und meiner über 25-jährigen Arbeit als Steuerberater lerne ich das Steuerrecht sowohl aus theoretischer als auch aus praktischer Sicht kennen. Es reizt mich, die Erfahrungen, die sich aus dieser Kombination ergeben, mit den Nutzern des Blogs zu teilen und freue mich auf viele Rückmeldungen.

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