BAG: Verzicht auf gesetzlichen Urlaub ist nichtig!

Im bestehenden Arbeitsverhältnis kann ein Arbeitnehmer selbst durch einen gerichtlichen Vergleich nicht auf seinen gesetzlichen Mindesturlaub „verzichten“ hat das BAG brandaktuell entschieden (BAG v. 3.6.2025 – 9 AZR 104/24). Welche Lehren sind daraus zu ziehen?

Gesetzlicher Hintergrund

Nach § 3 Abs.1 BUrlG hat ein Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis Anspruch auf einen gesetzlichen Mindesturlaub von mindestens 24 Werktagen, also mindestens vier Wochen; ein darüberhinausgehender Urlaubsanspruch kann individuell, tarifvertraglich oder durch Betriebsvereinbarung vereinbart werden. Der volle Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub entsteht erstmals nach einer sechsmonatigen Zugehörigkeit zum Unternehmen (§ 4 BUrlG).

Das Bundesurlaubsgesetz regelt weiterhin, unter welchen Voraussetzungen nicht in Anspruch genommene Urlaubstage in das Folgejahr übertragen werden oder wie Urlaubsansprüche beim Ausscheiden aus dem Betrieb zu behandeln sind. Grundsätzlich verfällt der Urlaubsanspruch am Ende des Kalenderjahres. Konnte der Urlaub aus dringenden betrieblichen oder in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen (z.B. Krankheit) nicht vollständig in Anspruch genommen werden, wird er in das nächste Jahr übertragen und ist innerhalb der ersten 3 Monate zu verbrauchen.

Längere Übertragungszeiträume können einzelvertraglich oder durch Tarifvertrag vereinbart werden. Kann der (Rest-)Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr abgenommen werden, ist der nicht erfüllte Urlaub abzugelten.

Worum ging´s im Streitfall?

Der Kläger war fast vier Jahre als Betriebsleiter beschäftigt. 2023 erkrankte der Mann zu Beginn des Jahres bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses im April 2023 durchgehend, weshalb er seinen Urlaub aus diesem Jahr nicht in Anspruch nehmen konnte. Beendet wurde das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien schließlich durch einen arbeitsgerichtlichen Vergleich. Dabei verständigten sich die Parteien auf eine Abfindung in Höhe von 10.000 Euro und eine Kündigung durch den Arbeitgeber. In einer Ziffer des Vergleichs hieß es: „Urlaubsansprüche sind in natura gewährt.“ Im Vorfeld des Vergleichs wies der Anwalt des Arbeitnehmers ausdrücklich darauf hin, dass auf den gesetzlichen Mindesturlaub nicht wirksam verzichtet werden könne. Unter Verweis auf die rechtlichen Bedenken erklärte sich die Arbeitnehmerseite dann jedoch mit dem Vergleich einverstanden. Mit seiner Klage verlangte der Kläger von der Beklagten, die noch offenen sieben Tage gesetzlichen Mindesturlaubs aus dem Jahr 2023 abzugelten. Der im gerichtlichen Vergleich geregelte Verzicht auf den unabdingbaren Mindesturlaub sei unwirksam. Die Vorinstanzen, zuletzt das LAG Köln (11.4.2024 – 7 Sa 516/23) gaben der Klage statt (weitere Details zum Streitfall in der NWB Online-Nachricht Arbeitsrecht | Kein Urlaubsverzicht durch Prozessvergleich).

Wie hat das BAG entschieden?

Die Revision vor dem BAG war ebenfalls erfolglos: Der Kläger habe gem. § 7 Abs. 4 BUrlG Anspruch auf Abgeltung seines nicht erfüllten gesetzlichen Mindesturlaubs. Der Urlaub sei nicht durch die Vergleichsziffer erloschen, so das Gericht. Denn wenn eine Klausel einen nach § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG unzulässigen Ausschluss des gesetzlichen Mindesturlaubs regele, sei sie nach § 134 BGB unwirksam. Weder der gesetzliche Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub noch ein erst künftig – mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses – entstehender Anspruch auf Abgeltung gesetzlichen Mindesturlaubs dürfe im Voraus ausgeschlossen oder beschränkt werden. Dies gelte auch dann, wenn der Arbeitsvertrag durch einen Vergleich beendet wird und klar ist, dass der Arbeitnehmer den Urlaub wegen Krankheit gar nicht wahrnehmen kann.

Der Prozessvergleich enthalte auch keinen Tatsachenvergleich, auf den § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG nicht anzuwenden wäre, so das BAG weiter. Ein solcher liegt vor, wenn Parteien sich nicht sicher sind, ob ein Anspruch tatsächlich besteht und diese Zweifel durch gegenseitiges Nachgeben aus dem Weg geräumt werden. Weil der Kläger jedoch seit Anfang 2023 durchgehend arbeitsunfähig gewesen ist, bestehe kein Grund zu zweifeln, dass der Urlaubsanspruch tatsächlich bestehe.

Praktische Konsequenzen im Arbeitsverhältnis

Das BAG-Urteil bestätigt: Arbeitgeber dürfen auf den Bestand einer offensichtlich rechtswidrigen Regelung hinsichtlich gesetzlicher Mindesturlaubsansprüche nicht vertrauen, wie das BAG ausdrücklich feststellt. Da der Urlaub Erholungszwecken zur Erhaltung bzw. Wiederherstellung der Arbeitskraft des Arbeitnehmers dient, steht er unter dem besonderen Schutz des Gesetzgebers.

Der Arbeitgeber kann deshalb den Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers nicht einfach „abkaufen“; nicht anderes gilt für die Urlaubsabgeltung. Verstößt der Arbeitgeber gegen diese Spielregeln, trägt er das rechtliche und wirtschaftliche Risiko, gesetzliche Urlaubsansprüche nachträglich erfüllen zu müssen. Abweichende Regelungen bleiben aber in Bezug auf den Urlaub möglich, der über den gesetzlichen Urlaub hinaus zusätzlich gewährt wird.

Weitere Informationen
Kein Urlaubsverzicht durch Prozessvergleich – (BAG PM 23/2025 v. 03.06.2025)

 

Ein Beitrag von:

  • Prof. Dr. jur. Ralf Jahn

    • Studium der Rechtswissenschaften in Würzburg
    • ehem. Hauptgeschäftsführer der IHK Würzburg-Schweinfurt
    • ehem. Honorarprofessor an der Universität Würzburg

    Warum blogge ich hier?
    Mein erster Blog bietet die Möglichkeit, das Thema der Pflicht der „Pflichtmitgliedschaft in Kammern“ „anzustoßen“ und in die Diskussion zu bringen. Bei genauem Hinsehen sichert der „Kammerzwang“ nämlich Freiheitsrechte durch die Möglichkeit zur eigenverantwortlichen Partizipation.

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