Beitragsfreiheit für Lehrkräfte trotz anhängiger Klage nach Widerspruchsverfahren?

Lehrkräfte an Bildungseinrichtungen werden von den Rentenversicherungsträgern zunehmend als abhängig beschäftigt und damit als sozialversicherungspflichtig angesehen. Dass dies vielfach rechtens ist, hat das BSG mit seinem so genannten Herrenberg-Urteil bestätigt und in einem weiteren Urteil auch keinen Vertrauensschutz zugelassen (BSG-Urteil vom 28.6.2022, B 12 3/20 R; BSG-Urteil vom 5.11.2024, B 12 BA 3/23 R). Allerdings ist im Anschluss der Gesetzgeber auf den Plan getreten: Bildungseinrichtungen müssen bis Ende 2026 keine Sozialversicherungsbeiträge für betroffene Lehrkräfte zahlen, auch wenn deren Tätigkeit nach dem Herrenberg-Urteil als abhängig einzustufen wäre (§ 127 SGB IV).

Zur Nutzung dieser Übergangsregelung ist eine explizite Zustimmung der jeweiligen Lehrkraft erforderlich (GKV-Spitzenverband vom 21.5.2025). Die Übergangsregelung soll nach dem Willen des GKV-Spitzenverbandes aber nicht anwendbar sein, wenn am Tag des Inkrafttretens (1.3.2025) ein Klageverfahren anhängig war. Das LSG Niedersachsen-Bremen ist dem nun entgegengetreten (Urteil vom 3.9.2025, L 2 BA 24/25).

Der Sachverhalt:

Klägerin ist eine private Bildungsanbieterin. Neben fest angestellten Lehrkräften setzte sie mehrere Lehrkräfte auf Honorarbasis ein, mit denen „freie Dozentenverträge“ abgeschlossen wurden. Der Rentenversicherungsträger gelangte zu der Einschätzung, dass auch hinsichtlich der Honorarkräfte abhängige und versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse vorgelegen hätten. Der entsprechende Bescheid wurde bereits in 2017 erlassen, der ablehnende Widerspruchsbescheid in 2018. Das anschließende Klageverfahren vor dem SG zog sich bis 2023 hin und Mitte 2023 wurde Berufung beim LSG eingelegt. Der Rentenversicherungsträger pochte einerseits darauf, dass die Lehrkräfte als abhängig beschäftigt einzustufen seien. Andererseits führte er im Laufe des Verfahrens aus, dass die zwischenzeitlich in Kraft getretene Übergangsvorschrift des § 127 SGB IV nicht anzuwenden sei. Eine explizite Regelung, welche die grundsätzliche Annahme dieser Vorschrift auch für vorangegangene Zeiträume zuließe, sei zunächst nicht erkennbar. Ohnehin sei die Übergangsregelung im Falle eines am 1.3.2025 anhängigen Klageverfahren nicht anwendbar. Das LSG ließ sich aber nicht überzeugen.

Die Begründung in aller Kürze:

Zwar waren die Honorarkräfte abhängig beschäftigt. Allerdings kann sich der Kläger auf die Übergangsregelung des § 127 SGB IV berufen, wonach der Gesetzgeber die Versicherungspflicht von abhängig beschäftigten Lehrern modifiziert habe. Es wäre sachwidrig und würde zu zufälligen Ergebnissen führen, wenn die Realisierung des gesetzgeberischen Schutzauftrages davon abhängig zu machen wäre, ob am Tag des Inkrafttretens des § 127 SGB IV ein Widerspruchsverfahren noch anhängig oder durch Erlass des Bescheides bereits abgeschlossen war. Es gibt auch keine Grundlage für die Annahme, dass der Gesetzgeber behördliche Feststellungen zur Beschäftigung von Lehrkräften, die sich bereits im gerichtlichen Überprüfungsverfahren befinden, nicht der nicht von der Übergangsregelung erfasst sehen wollte.

Denkanstoß:

Natürlich gibt es Lehrkräfte, die eine abhängige Beschäftigung durchaus wünschen. Auch für diese bietet das Urteil hinreichend Argumente. Das heißt, in vielen Fällen können sie ihren beitragsrechtlichen Beschäftigtenstatus durchsetzen und sind auch nicht verpflichtet, ihre Zustimmung zur Anwendung der Übergangsregelung zu erteilen. Auch im aktuellen Urteilsfall haben nicht alle beigeladenen Lehrkräfte zugestimmt. Die Nachforderung des Rentenversicherungsträgers war insoweit berechtigt.

Ein Beitrag von:

  • Christian Herold

    • Steuerberater in Herten/Westf. (www.herold-steuerrat.de)
    • Autor zahlreicher Fachbeiträge
    • Mitglied im Steuerrechtsausschuss des Steuerberaterverbandes Westfalen-Lippe

    Warum blogge ich hier?
    Als verantwortlicher Redakteur und Programmleiter zahlreicher Steuerfachzeitschriften, meiner früheren Tätigkeit in der Finanzverwaltung und meiner über 25-jährigen Arbeit als Steuerberater lerne ich das Steuerrecht sowohl aus theoretischer als auch aus praktischer Sicht kennen. Es reizt mich, die Erfahrungen, die sich aus dieser Kombination ergeben, mit den Nutzern des Blogs zu teilen und freue mich auf viele Rückmeldungen.

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