Keine Fähigkeit zum Selbstunterhalt eines behinderten Kindes aufgrund Ausbildungsgebühr?

Sind die Ausbildungsgebühren eines Kindes als behinderungsbedingter Mehraufwand bei der Frage zu berücksichtigen, ob sich das Kind nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG selbst unterhalten kann? Mit dieser Frage muss sich bald der BFH in dem Verfahren mit dem Az. III R 15/25 befassen. Vorausgegangen ist ein Urteil des FG Berlin-Brandenburg. Dieses hat im Sinne der Klägerin entschieden (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.1.2025 – 14 K 14071/23).

Der Sachverhalt:

Die Tochter der Klägerin ist schwerbehindert. Zunächst hat die Tochter eine Präsenzausbildung „Illustrationsdesign“ an einer privaten Schule begonnen. Sie musste aber aufgrund ihrer Behinderung auf einen reinen Onlineunterricht umstellen, das heißt, sie ließ sich online zum Präsenzunterricht an der privaten Schule zuschalten. Dies hätte an einer öffentlichen Schule mit einer erheblich höheren Schülerzahl kaum erfolgreich umgesetzt werden können. Die Kindergeldkasse versagte das Kindergeld mit der Begründung, dass die Tochter aufgrund des Bezuges von Leistungen nach dem SGB II und nach dem BAföG in der Lage sei, sich selbst zu unterhalten. Die Ausbildungsgebühren rechnete sie nicht zum behinderungsbedingten Mehrbedarf. Die hiergegen gerichtete Klage war aber erfolgreich.

Die Begründung:

Die Tochter ging ausschließlich wegen ihrer Behinderung, das heißt ausschließlich zum Zwecke der Heilung oder Linderung der Krankheit, und im Interesse einer angemessenen Berufsausbildung auf die private Schule. Die Behinderung der Tochter ist quasi als „auslösendes” Moment für den Besuch der privaten Schule anzusehen. Eine geeignete öffentliche Schule oder eine den schulgeldfreien Besuch ermöglichende geeignete Privatschule (beispielsweise konfessionelle Anbieter) haben der Tochter alternativ jedenfalls im angestrebten Fach auch nicht zur Verfügung gestanden. Daher sind die Ausbildungsgebühren dem behinderungsbedingten Mehrbedarf zuzurechnen. Es ist unerheblich, dass auch Nichtbehinderte die Ausbildungsgebühren tragen müssen.

Denkanstoß:

In ähnlichen Fällen sollte Kindergeld weiterhin beantragt, gegen ablehnende Bescheide Einspruch eingelegt und ein Ruhen des eigenen Verfahrens beantragt werden. In der Begründung des Urteils lassen sich übrigens weitere wichtige Punkte zur Ermittlung des behindertengerechten Mehrbedarfs finden. Beispielsweise: Zusätzlich zum Pflegegeld ist aufgrund der persönlichen Betreuung durch die Mutter ein Bedarf für die von ihr erbrachten Betreuungsleistungen anzuerkennen, da die hierfür ansonsten an Dritte zu zahlenden Entgelte das Pflegegeld übersteigen würden. Und auch: Wird Pflegegeld gezahlt, welches den Behinderten-Pauschbetrag übersteigt, so ist zu vermuten, dass mindestens ein Mehrbedarf in Höhe des gezahlten Pflegegeldes besteht.

Übrigens, nur am Rande: Wer den Urteilstext ausführlich liest, wird wieder einmal mit Schrecken erkennen, wie die Kindergeldkassen mit Eltern behinderter Kinder umgehen. Die Klägerin hatte am 27.2.2023 Einspruch erhoben. Erst am 14.8.2023 bestätigte die Familienkasse den Eingang des Einspruchs und kündigte die Prüfung des Anliegens der Klägerin an. Die Mutter musste daraufhin sogar eine Untätigkeitsklage erheben. Also erst einmal nichts tun, dann aber im Klageverfahren „groß auftrumpfen“ und sogar in die Revision gehen. Allein das wäre schon einen Aufreger des Monats wert.

Ein Beitrag von:

  • Christian Herold

    • Steuerberater in Herten/Westf. (www.herold-steuerrat.de)
    • Autor zahlreicher Fachbeiträge
    • Mitglied im Steuerrechtsausschuss des Steuerberaterverbandes Westfalen-Lippe

    Warum blogge ich hier?
    Als verantwortlicher Redakteur und Programmleiter zahlreicher Steuerfachzeitschriften, meiner früheren Tätigkeit in der Finanzverwaltung und meiner über 25-jährigen Arbeit als Steuerberater lerne ich das Steuerrecht sowohl aus theoretischer als auch aus praktischer Sicht kennen. Es reizt mich, die Erfahrungen, die sich aus dieser Kombination ergeben, mit den Nutzern des Blogs zu teilen und freue mich auf viele Rückmeldungen.

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