Kein Rentenzuschlag bei Wohnsitz im EU-Ausland?

In einem Vorlageverfahren (Art. 267 AEUV) will aktuell das Bundessozialgericht (BSG) vom EuGH wissen, ob es gegen die EU-Niederlassungsfreiheit verstößt, wenn aufgrund des Wohnsitzes im EU-Ausland der Zuschlag zur gesetzlichen Rente an einen Rentenbezieher versagt wird. Was sollten Rentenbezieher mit Wohnsitz im EU-Ausland jetzt beachten?

Was Rentenbezieher beim Zuschuss zur Krankenversicherung beachten müssen

Rentenbezieher, die privat oder freiwillig krankenversichert sind, können bei der gesetzlichen Rentenversicherung (DRV) auf Antrag einen Beitragszuschuss erhalten. Am besten beantragen sie diesen zusammen mit ihrer Rente. Die Höhe des Zuschusses für freiwillig Krankenversicherte richtet sich nach dem Beitragssatz zur Krankenversicherung und der Höhe der Bruttorente. Der allgemeine Beitragssatz zur Krankenversicherung beträgt 14,6 Prozent. Hiervon übernimmt die Rentenversicherung die Hälfte, also 7,3 Prozent. Den individuellen Zusatzbeitrag der Krankenkasse übernimmt die Rentenversicherung ebenfalls zur Hälfte. Den Beitrag zu ihrer Pflegeversicherung müssen Rentenbezieher hingegen selbst zahlen.

Auch Rentner mit einer privaten Krankenversicherung können den Zuschuss beantragen. Privat Krankenversicherte erhalten als Zuschuss den halben allgemeinen Beitragssatz (7,3 Prozent) und den halben durchschnittlichen Zusatzbeitrag der gesetzlichen Krankenkassen (1,25 Prozent). Insgesamt können privat Krankenversicherte somit derzeit 8,55 Prozent ihrer Bruttorente als Zuschuss erhalten. Der Zuschuss wird gegebenenfalls auf maximal der Hälfte der tatsächlichen Versicherungsprämie begrenzt.

Keinen Antrag stellen müssen Rentenbezieher, die in der gesetzlichen Krankenkasse pflichtversichert sind: Sie erhalten von der Rentenversicherung automatisch den halben Krankenversicherungsbeitrag.

Worum geht es im Streitfall vor dem BSG?

Im Ausgangsfall des BSG-Verfahrens bezog der gesetzlich versicherte Rentner eine deutsche Rente und wohnte in den Niederlanden. Dort war er pflichtkrankenversichert. Die Beiträge berechnete die niederländische Krankenversicherung für Teile der Versicherung aber nicht anhand der Höhe der Rente, sondern erhob eine Kopfpauschale. Die Gewährung eines Zuschusses lehnte die DRV ab, weil der Versicherte pflichtkrankenversichert gewesen sei. Einen Zuschlag gewährte sie nur zum Teil mit der Begründung, die Beiträge zur niederländischen Krankenversicherung würden teilweise als Kopfpauschale erhoben. Klage (SG Berlin, 19.12.2016, S 17 R 2373/15) und Berufung (LSG Berlin-Brandenburg, 22.8.2014, L 3 R 221/17, NZS 2025, 316) blieben ohne Erfolg. §§ 106 Abs.1 SGB VI; § 249a SGB V seien weder verfassungsrechtlich noch unionsrechtlich zu beanstanden, meinten die Vorinstanzen.

Wie sieht das BSG den Fall?

Im Revisionsverfahren hat das BSG (22.7.2025, B 12 R 4/24 R) den Rechtsstreit jetzt ausgesetzt und dem EuGH nach Art. 267 AEUV mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. In einem weiteren Verfahren (BSG B 12 R 1/23 R) hat das BSG unter Hinweis auf die Vorlage an den EUGH das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung des EuGH angeordnet. Insbesondere will das BSG jetzt vom EuGH wissen, ob es gegen Art.5 und 7 VO (EU) Nr.883/2004 (v. 29.4.2004, ABl. L 166 v. 30.4.2004, S. 1) und die europäische Niederlassungsfreiheit (Art.49 ff. AEUV) verstößt, wenn dem Bezieher einer gesetzlichen Rente ein Zuschlag zur Rente ganz oder zum Teil mit der Begründung verweigert wird, die an seinem Wohnsitz im EU-Ausland bestehende Pflichtkrankenversicherung berechne ihre Beiträge nicht nach der Höhe der Rente, sondern erhebe eine Kopfpauschale. Bejaht der EuGH im Vorlageverfahren einen Verstoß gegen EU-Recht und Grundfreiheiten, muss das BSG die Rechtsauffassung seiner Entscheidung zugrunde legen; die Revision hat dann große Aussicht auf Erfolg.

Wie sollten sich betroffene Rentner mit EU-Auslandswohnsitz jetzt verhalten?

Rentner, die eine gesetzliche Rente beziehen, ihren Wohnsitz aber im EU-Ausland unterhalten und dort Leistungen der sozialen Sicherung beziehen, sollten in Fällen, die von der DRV noch nicht bestandskräftig beschieden sind, das Verfahren offen halten und unter Hinweis auf das beim EuGH anhängige Vorlageverfahren im Verwaltungsverfahren das Ruhen beantragen; im Widerspruchsverfahren gilt hierbei § 62 SGB X. Im Verfahren vor den Sozialgerichten sollte in Vergleichsfällen das Ruhen des Verfahrens nach § 202 Abs.1 SGG; § 251 ZPO beantragt werden. Das Ruhen des Verfahrens ist ein Sonderfall der Aussetzung des Verfahrens (§ 114 SGG) und wird durch das Gericht angeordnet. Bestätigt der EuGH die europarechtlichen Bedenken des BSG, müsste das BSG die deutschen Regelungen europarechtskonform auslegen und anwenden. Das kann für Rentner mit EU-Auslandswohnsitz beim Zuschlag zur Krankenversicherung bares Geld wert sein.

Weitere Informationen:

Ein Beitrag von:

  • Prof. Dr. jur. Ralf Jahn

    • Studium der Rechtswissenschaften in Würzburg
    • ehem. Hauptgeschäftsführer der IHK Würzburg-Schweinfurt
    • ehem. Honorarprofessor an der Universität Würzburg

    Warum blogge ich hier?
    Mein erster Blog bietet die Möglichkeit, das Thema der Pflicht der „Pflichtmitgliedschaft in Kammern“ „anzustoßen“ und in die Diskussion zu bringen. Bei genauem Hinsehen sichert der „Kammerzwang“ nämlich Freiheitsrechte durch die Möglichkeit zur eigenverantwortlichen Partizipation.

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