Aufreger des Monats Oktober: Redliche Steuerzahler dürfen problemlos von jedermann anonym beschuldigt werden

Zugegeben: Meine Überschrift ist wieder einmal reißerisch gewählt. Sie trifft meines Erachtens aber den Kern der Sache, wenn es um ein aktuelles BFH-Urteil geht. Dieser hat entschieden, dass ein Steuerpflichtiger im Regelfall keinen Anspruch auf Preisgabe einer anonym beim Finanzamt eingegangen Anzeige hat, die ihm steuerliches Fehlverhalten vorwirft. Auch der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch vermittelt insoweit keine weitergehenden Rechte (BFH-Urteil vom 15.7.2025, IX R 25/24).

Der Sachverhalt:

Das Finanzamt nahm eine anonyme Anzeige zum Anlass, um bei einem Gastronomiebetrieb (eine Personenhandelsgesellschaft – Klägerin) eine Kassen-Nachschau durchzuführen. Doch diese führte nicht zu steuerlichen Nachforderungen und schon gar nicht zu steuerstraf- oder ordnungsrechtlichen Vorwürfen. Die zu Unrecht bezichtigte Klägerin beantragte daher Einsicht in ihre Steuerakten und begehrte eine Auskunft über die Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten gemäß Art. 15 DSGVO. So wollte sie Kenntnis vom Inhalt der Anzeige erhalten, um auf diese Weise Rückschlüsse auf die Person des Anzeigeerstatters ziehen zu können. Das Finanzamt lehnte die Anträge ab. Die hiergegen gerichtete Klage und die Revision hatten keinen Erfolg.

Die Begründung:

Einem Steuerpflichtigen ist keine Einsicht in eine anonyme Anzeige zu gewähren, die sich in den Steuerakten befindet, wenn das Geheimhaltungsinteresse des Anzeigeerstatters und der Finanzbehörde höher zu gewichten ist als das Offenbarungsinteresse des von der Anzeige Betroffenen. Hiervon ist im Regelfall auszugehen, es sei denn, der Steuerpflichtige würde infolge der Anzeige einer unberechtigten strafrechtlichen Verfolgung ausgesetzt.

Eine solche war im Streitfall aber nicht gegeben. Auch einem Auskunftsanspruch aus dem Datenschutzrecht heraus erteilte der BFH eine Absage. Zwar beinhalte eine solche Anzeige regelmäßig personenbezogene Daten, über die die Behörde grundsätzlich Auskunft erteilen müsse. Allerdings werde der Anspruch nach § 32c Abs. 1 Nr. 1 AO beschränkt, da durch die Preisgabe des Inhalts der Anzeige die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben der Finanzbehörde (Gleichmäßigkeit der Besteuerung) gefährdet werden könnte. Darüber hinaus verböte der Identitätsschutz des Anzeigeerstatters eine Auskunftserteilung.

Sowohl die Identität des Anzeigeerstatters als auch der Inhalt seiner Anzeige unterliegen dem Geheimnisschutz nach § 30 AO. Dieser Schutz ist im Streitfall insbesondere deshalb stark ausgeprägt, weil die Klägerin ihr Auskunftsbegehren vornehmlich deshalb verfolgt, um den Anzeigeerstatter zu identifizieren. Die Interessenabwägung geht zu ihren Lasten und zu Gunsten des Anzeigeerstatters aus.

Denkanstoß:

Bei der Finanzverwaltung werden Denunzianten gerne gesehen. In Baden-Württemberg wurde beispielsweise extra ein Online-Portal gestartet, auf dem Bürger andere Bürger anonym tatsächlicher und vermeintlicher Steuervergehen bezichtigen können. Auf der entsprechenden Homepage heißt es: „Mit dem anonymen Hinweisgebersystem der Steuerverwaltung Baden-Württemberg können Sie den baden-württembergischen Finanzämtern diskret, sicher und anonym Anzeigen von Steuerstraftaten oder sonstigen Verfehlungen gegen Steuergesetze melden. Zudem besteht für Sie die Möglichkeit, über ein Postfach auch nach der Abgabe der Anzeige mit der zuständigen Steuerfahndungsstelle anonym zu kommunizieren.“ (vgl. „Anonymes Hinweisgebersystem“).

Das Finanzministerium Baden-Württemberg hat zu seinem Portal bereits am 16.3.2022 eine Pressemitteilung veröffentlicht, in der es unter anderem heißt: „Eingegangene Hinweise zwischen August 2021 und Februar 2022: 2.608 … Im Zeitraum Oktober 2021 bis Februar 2022 wurden bei circa ein Prozent der Hinweise Strafverfahren bei den Steuerfahndungs- und Straf- und Bußgeldsachenstellen eingeleitet.“ 99 Prozent aller Hinweise sind aus strafrechtlicher Sicht also vollkommen wertlos gewesen – so zumindest der damalige Stand. Man darf aber unterstellen, dass sich ebenjene 99 Prozent zunächst einmal rechtfertigen mussten, gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines Rechtsanwalts oder Steuerberaters.

Das aktuelle Urteil, gepaart mit Aufrufen der Finanzverwaltung, ist also nahezu ein Freibrief für jeden, der einem anderen etwas Böses will. Daher ist das Urteil – in Verbindung mit besagtem Aufruf – für mich der Aufreger des Monats.

Nun komme ich noch zu der Frage, ob nicht doch irgendeine Möglichkeit des Rechtsschutzes besteht. Dazu zunächst ein Auszug aus einem BGH-Urteil: Das Interesse an der Geheimhaltung des Hinweisgebers hat gegenüber dem Auskunftsinteresse regelmäßig dann zurückzutreten, wenn der Hinweisgeber wider besseres Wissen oder leichtfertig unrichtige Angaben zu personenbezogenen Daten der betroffenen Person gemacht hat. Dem Auskunftsberechtigten kann gegenüber dem Hinweisgeber, der ansehensbeeinträchtigende Tatsachen über ihn behauptet hat, unter anderem ein Unterlassungsanspruch zustehen. Dies ist bei einer unwahren Tatsachenbehauptung, die anders als in der Regel eine wahre Tatsachenbehauptung nicht hingenommen werden muss, unabhängig vom Verschulden des Hinweisgebers regelmäßig der Fall. Durch die Auskunft über die Identität des Hinweisgebers wird der Auskunftsberechtigte dann in die Lage versetzt, solche Ansprüche gegen die Person, von der die unrichtigen Daten herrühren, geltend zu machen (BGH-Urteil vom 22.2.2022, VI ZR 14/21).

Diese Rechtsprechung des BGH erwähnt der BFH zwar, wischt sie letztlich aber schnell beiseite mit dem Hinweis, dass willentliche Falschbehauptungen nicht haben festgestellt werden können.

Letztlich bleibt (nur) noch der Weg über die Anzeige wegen Falschverdächtigung (§ 164 StGB) bei der Staatsanwaltschaft – darauf weist BFH-Richter Dr. Nils Trossen in einer Urteilskommentierung in den NWB-Nachrichten hin. Ob dieser Weg erfolgversprechend ist? Ich möchte es bezweifeln.

 

Ein Beitrag von:

  • Christian Herold

    • Steuerberater in Herten/Westf. (www.herold-steuerrat.de)
    • Autor zahlreicher Fachbeiträge
    • Mitglied im Steuerrechtsausschuss des Steuerberaterverbandes Westfalen-Lippe

    Warum blogge ich hier?
    Als verantwortlicher Redakteur und Programmleiter zahlreicher Steuerfachzeitschriften, meiner früheren Tätigkeit in der Finanzverwaltung und meiner über 25-jährigen Arbeit als Steuerberater lerne ich das Steuerrecht sowohl aus theoretischer als auch aus praktischer Sicht kennen. Es reizt mich, die Erfahrungen, die sich aus dieser Kombination ergeben, mit den Nutzern des Blogs zu teilen und freue mich auf viele Rückmeldungen.

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