Bei der deutschen Regelaltersrente können in Österreich zurückgelegte Kindererziehungszeiten auch dann rentensteigernd berücksichtigt werden, wenn die Zeiten in Österreich zwar grundsätzlich anerkannt werden, dort wegen Nichterfüllung der Mindestversicherungszeit aber nicht zu einer Rentengewährung führen. Dies hat das Bundessozialgericht ganz aktuell entschieden (BSG v. 27.3.2025 – B 5 R 16/23 R) – hiervon können über den entschiedenen Fall hinaus viele Rentenempfänger profitieren, die im Ausland Kindererziehungszeiten erworben haben.
Sachverhalt im Streitfall
Die früher in Deutschland beschäftigte Klägerin lebte von August 1975 bis November 1979 mit ihrem Ehemann und ihren Kindern in Österreich. Die Klägerin widmete sich dort ausschließlich der Kindererziehung. Nach der Rückkehr nach Deutschland war sie selbstständig tätig und zahlte für einen Monat einen freiwilligen Rentenversicherungsbeitrag, um die Wartezeit für die Regelaltersrente zu erfüllen. Der österreichischer Rentenversicherungsträger stellte bei der Klägerin 52 Monate Kindererziehungszeiten fest; eine Rente gewährte er ihr mangels Erfüllung der dortigen Mindestversicherungszeit (180 Monate) nicht. Der deutsche Rentenversicherungsträger bewilligte der Klägerin eine Regelaltersrente ohne Anrechnung der streitigen Kindererziehungszeiten. Das SG Detmold (14.2.2019 – S 11 R 733/17) urteilte, der Klägerin sei eine höhere Regelaltersrente unter Berücksichtigung auch der in Österreich erworbenen Erziehungszeiten zu zahlen, das LSG Nordrhein-Westfalen (v. 13.6.2023 – L 18 R 227/19) wies die Klage hingegen ab.
Entscheidung des BSG
Das BSG hat im Revisionsverfahren der Klägerin endgültig Recht gegeben und festgestellt, dass die in Österreich zurückgelegten Erziehungszeiten in Deutschland bei der Altersrente rentenerhöhend anzuerkennen sind. Dies gilt auch dann, wenn die Kindererziehungszeiten in Österreich zwar grundsätzlich anerkannt werden, dort wegen Nichterfüllung der Mindestversicherungszeit nicht zu einer Rentengewährung führen. Die erforderliche “hinreichende Verbindung“ zwischen den Kindererziehungszeiten in Österreich und den deutschen Versicherungszeiten bestehe sowohl aufgrund ihrer selbstständigen Erwerbstätigkeit als auch durch die Entrichtung des freiwilligen Beitrags zur Erfüllung der Wartezeit für den Bezug der Regelaltersrente.
Nach der EuGH-Rechtsprechung muss ein Mitgliedstaat bei der Rentenzahlung die Kindererziehungsleistung in einem anderen Mitgliedstaat unter bestimmten Voraussetzungen berücksichtigen. Dafür muss die betroffene Person ausschließlich in dem die Rente gewährenden Mitgliedstaat Versicherungszeiten erworben haben, und zwar sowohl vor als auch nach der Verlegung ihres Wohnsitzes in den anderen Mitgliedstaat, in dem sie die Kindererziehungszeiten zurückgelegt hat. Diese Voraussetzungen waren im Fall der Klägerin erfüllt. Der Zeitraum der Kindererziehung in Österreich war nach deutschem Recht zu berücksichtigen, als wäre die Kindererziehung im Bundesgebiet erfolgt; dies ergibt sich nach dem BSG-Urteil aus einer erweiternden europarechtskonformen Auslegung des § 56 SGB VI.
Praktische Auswirkungen der Entscheidung
Im Fall einer Nichtberücksichtigung der in Österreich zurückgelegten Zeiten der Kindererziehung bei der deutschen Regelaltersrente wäre die Klägerin benachteiligt worden, weil sie von ihrem Recht auf Freizügigkeit in der EU (Art. 21 AEUV) Gebrauch gemacht hat. Dies wäre aber ein Verstoß gegen die Unionsbürgerfreizügigkeit in der Auslegung, die diese Grundfreiheit durch den EuGH (19.7.2012 – C-522/10, Reichel-Albert; 7.7.2022 – C -576/20) erhalten hat.
Vom BSG-Urteil können über den entschiedenen Fall hinaus auch andere Altersrentenbezieher profitieren, die im EU-Ausland – nicht nur in Österreich –Kindererziehungszeiten zurückgelegt, im Ausland aber keinen eigenständigen Rentenanspruch erworben haben. Maßgeblich hierfür ist das jeweilige Rentenrecht im EU-Ausland. Deshalb kann sich lohnen, die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten im EU-Ausland auf die deutsche Altersrente durch die DRV unter Verweis auf das neue BSG-Urteil prüfen zu lassen.
Wichtig ist aber in jedem Fall, dass der Rentenbezieher nach der Rückkehr aus dem Ausland im Inland noch mindestens einen Beitrag zur Rentenversicherung geleistet hat. Das BSG-Urteil ist deshalb über den Einzelfall hinaus wichtig und stärkt die Rechte von erziehenden Müttern oder Väter in vergleichbarer Situation.
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- Studium der Rechtswissenschaften in Würzburg
- Hauptgeschäftsführer der IHK Würzburg-Schweinfurt
- Honorarprofessor an der Universität Würzburg
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