Feststellungsklage bei vorläufiger Einstellung der Kindergeldzahlung zulässig?

Die Familienkasse kann die Zahlung des Kindergeldes vorläufig und ohne Bescheid einstellen, wenn sie Kenntnis von Tatsachen erhält, die kraft Gesetzes zum Ruhen oder Wegfall des Anspruchs führen und deshalb die Kindergeldfestsetzung rückwirkend aufzuheben ist (§ 71 Abs. 1 EStG). Die vorläufige Zahlungseinstellung ist auf die Dauer von zwei Monaten begrenzt. Das FG Berlin-Brandenburg hat nun aber entschieden, dass gegen die vorläufige Einstellung der Kindergeldzahlung eine Feststellungsklage zulässig ist (Urteil vom 11.6.2025, 10 K 10002/25).

Der Sachverhalt:

Der Kläger erhält Kindergeld für sein Kind, das in seinem Haushalt wohnt. Er und die Kindesmutter leben getrennt. Trotz Aufnahme des Kindes im Haushalt des Vaters stellte die Mutter einen konkurrierenden Kindergeldantrag. Daraufhin setzte die Familienkasse die Zahlung an den Vater ab November 2024 vorläufig aus, um den Sachverhalt zu klären. Hierauf erklärte der Vater, dass das Kind nach wie vor in seinem Haushalt aufgenommen sei und brachte entsprechende Nachweise bei, weshalb die Familienkasse die Kindergeldzahlung am 21.11.2024 wieder aufnahm. Den gegen die vorläufige Einstellung der Kindergeldzahlung zwischenzeitlich eingelegten Einspruch verwarf sie aber als unzulässig. Die vorläufige Einstellung der Zahlung des Kindergeldes stelle keinen Verwaltungsakt dar.

Der Vater gab sich aber mit der Wiederaufnahme der Zahlung allein nicht zufrieden. Er erhob eine Fortsetzungsfeststellungsklage. Dabei machte er geltend, die vorläufige Zahlungseinstellung sei überraschend und unvorhersehbar gewesen. Er befürchte, dass die Familienkasse dieses scharfe Schwert zur Arbeitserleichterung wiederholt einsetzen werde. Das FG wertete die Klage als verfahrensrechtlich zulässig und als inhaltlich begründet.

Die Begründung:

Der Kläger hatte hinsichtlich der vorläufigen Einstellung der Kindergeldzahlung ein Feststellungsinteresse. Zwar sei die Zahlung schnell wiederaufgenommen worden, so dass der Kläger eigentlich keinen wirtschaftlichen Nachteil hatte. Es sei aber in der Rechtsprechung anerkannt, dass die rechtliche Anerkennung erlittenen Unrechts ein Feststellungsinteresse begründe. Der Kläger habe im Übrigen keine andere Möglichkeit gehabt, die Maßnahme gerichtlich prüfen zu lassen, da es sich bei der vorläufigen Einstellung um einen Realakt und nicht um einen Verwaltungsakt handelte.

Die Klage war aber auch inhaltlich begründet: Voraussetzung für eine vorläufige Zahlungseinstellung ist, dass die Familienkasse konkrete Kenntnis von Tatsachen erhält, die letztlich zu einer rückwirkenden Aufhebung der Kindergeldfestsetzung führen. Vermutungen oder bloße Zweifel an dem Weiterbestehen des Anspruchs reichen indes nicht aus. Soweit die Kenntnis der Familienkasse nicht auf Angaben des Berechtigten beruht, der das Kindergeld erhält, sind ihm unverzüglich die vorläufige Einstellung der Zahlung des Kindergeldes sowie die dafür maßgeblichen Gründe mitzuteilen. Dem Betroffenen muss so die Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden. Das ist nicht geschehen. Erst in der Einspruchsentscheidung hat die Familienkasse beiläufig erwähnt, dass es einen konkurrierenden Kindergeldantrag gebe. Diese Mitteilung war zum einen nicht mehr unverzüglich. Zum anderen stellt der Antrag der Kindesmutter für sich genommen keine ausreichende Tatsache für den Wegfall des Kindergeldanspruchs dar. Hier hätte beispielsweise mitgeteilt werden müssen, ob die Kindesmutter eine anderweitige Haushaltsaufnahme behauptet und wodurch sie diese belegt hat. Erst derartige Informationen hätten den Kläger in die Lage versetzt, auf etwaige konkrete Tatsachenbehauptungen der Kindesmutter zu reagieren.

Denkanstoß:

Es wurde die Revision zugelassen, die auch bereits unter dem Az. III R 21/25 anhängig ist. Der BFH wird klären müssen, ob eine Feststellungsklage tatsächlich das richtige Rechtsmittel gegen die vorläufige Einstellung der Kindergeldzahlung ist.

Insgesamt gesehen führen Feststellungsklagen eher selten zum Erfolg. Oftmals werden sie als unzulässig gewertet, weil das Feststellungsinteresse nicht hinreichend dargelegt wurde und/oder das Ziel besser durch Gestaltungs- oder Leistungsklage erreicht werden könne. Umso erfreulicher ist, dass endlich einmal eine positive Entscheidung zu einer Feststellungsklage vorliegt. Hoffentlich bestätigt der BFH dieses Ergebnis.

Die Finanzämter und Familienkassen argumentieren übrigens gerne, dass ein Feststellungsinteresse mangels  Wiederholungsgefahr fehle. Dem kann aber mit dem BFH-Urteil vom 12.7.2022 (VIII R 8/19) entgegengetreten werden, wo es heißt: „Außerdem dürfen die Anforderungen an eine hinreichend konkrete Wiederholungsgefahr im Streitfall unter dem Gesichtspunkt der Gewährung eines effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutzes gegen Akte der öffentlichen Gewalt nicht zu hoch angesetzt werden …“

Bei aller Freude über das aktuelle Urteil des FG Berlin-Brandenburg darf aber eines nicht verkannt werden: Der Kläger ist Beamter im Bundeszentralamt für Steuern. Ich nehme an, er hat keinen externen Berater benötigt, der die Klage für ihn geführt hat. Andere werden sich schwertun, einen Steuerberater oder Rechtsanwalt zu finden, der angesichts des niedrigen Streitwerts eine aufwendige Feststellungsklage formulieren und einreichen wird.

Ein Beitrag von:

  • Christian Herold

    • Steuerberater in Herten/Westf. (www.herold-steuerrat.de)
    • Autor zahlreicher Fachbeiträge
    • Mitglied im Steuerrechtsausschuss des Steuerberaterverbandes Westfalen-Lippe

    Warum blogge ich hier?
    Als verantwortlicher Redakteur und Programmleiter zahlreicher Steuerfachzeitschriften, meiner früheren Tätigkeit in der Finanzverwaltung und meiner über 25-jährigen Arbeit als Steuerberater lerne ich das Steuerrecht sowohl aus theoretischer als auch aus praktischer Sicht kennen. Es reizt mich, die Erfahrungen, die sich aus dieser Kombination ergeben, mit den Nutzern des Blogs zu teilen und freue mich auf viele Rückmeldungen.

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