Zum 1.1.2020 hat der Gesetzgeber das so genannte Zusätzlichkeitserfordernis des § 8 EStG gesetzlich geregelt und auch verschärft. Dies war eine Reaktion auf das BFH-Urteil vom 1.8.2019 (VI R 32/18, BStBl 2020 II S. 106). Das Zusätzlichkeitserfordernis ist nach § 8 Abs. 4 EStG nur dann erfüllt,
- wenn die entsprechende Leistung nicht auf den Anspruch auf Arbeitslohn angerechnet,
- der Anspruch auf Arbeitslohn nicht zugunsten der Leistung herabgesetzt,
- die verwendungs- oder zweckgebundene Leistung nicht anstelle einer bereits vereinbarten künftigen Erhöhung des Arbeitslohns gewährt und
- bei Wegfall der Leistung der Arbeitslohn nicht erhöht wird.
Auch gab es – mit unterschiedlichen Anwendungszeitpunkten – Änderungen bezüglich der Einordnung von Geldkarten und Gutscheinen als Sachbezug, vor allem, um damit dem so genannten Geldkartenmodell den Garaus zu machen.
Die Verschärfung des Zusätzlichkeitserfordernisses beruhte auf dem Jahressteuergesetz (JStG) 2020, das allerdings erst Ende 2020 verkündet wurde, dennoch rückwirkend seit dem 1.1.2020 gilt. Die anderen Änderungen beruhten – wenn ich mich richtig erinnere – auf dem JStG 2019 sowie diverser BMF-Schreiben.
Aber war die rückwirkende Anwendung des JStG 2020 überhaupt rechtens?
Das FG Rheinland-Pfalz hat entschieden, dass die rückwirkende Verschärfung/Regelung des Zusätzlichkeitserfordernisses zulässig war (Urteil vom 30.8.2024, 3 K 1285/22). Doch ob diese Auffassung korrekt ist, muss der BFH entscheiden (Az. VI R 28/24). Die konkreten Rechtsfragen lauten:
- Genügt die Gehaltsumwandlung nach dem so genannten Geldkartenmodell zu einem gewährten Sachbezug (im Streitjahr monatlich 44 Euro) nicht dem Zusätzlichkeitserfordernis im Sinne von § 8 Abs. 2 Satz 11 i.V.m. § 8 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG, da es an einem „zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn“ mangelt?
- Ist der mit dem Jahressteuergesetz 2020 vom 21.12.2020 (BGBl. 2023 I Nr. 65) neu eingeführte § 8 Abs. 4 EStG mit seiner Rückwirkung für den Lohnsteuerabzug ab Beginn des Jahres 2020 verfassungsgemäß?
Der Sachverhalt:
Ein Arbeitgeber stellte seinen Mitarbeitern im Rahmen des Geldkartenmodells seit dem Jahre 2018 Kreditkarten zur Verfügung. Monatlich wurden den Kreditkartenkonten der Mitarbeiter jeweils 44 Euro gutgeschrieben. Dementsprechend wurde nach vertraglich vereinbarter Gehaltsumwandlung der monatliche Bruttoarbeitslohn um 44 Euro reduziert. Der einem Kreditkartenkonto zugeführte Betrag durfte nur für die Bezahlung von Sach- oder Dienstleistungen verwendet werden, eine Barauszahlung durfte nicht erfolgen. Der infolge der Steuerfreiheit reduzierte Lohnsteuerbetrag wurde der betrieblichen Altersvorsorge der Mitarbeiter zugeführt. Diese rechtliche Handhabung entsprach auch einer im Jahre 2019 ergangenen Entscheidung des BFH (BFH-Urteil vom 1.8.2019, VI R 32/18).
Doch nach der Gesetzesänderung im Jahre 2020 erkannte das Finanzamt das Modell nicht mehr an und forderte vom Arbeitgeber nun (ab April 2020) Lohnsteuer auf den jeweils „umgewandelten“ Betrag. Hiergegen wandte sich dieser mit zahlreichen Argumenten. Unter anderem machte er geltend, dass die Gesetzesänderung eine steuerlich unzulässige Rückwirkung entfalten würde. Das Geldkartemodel sei arbeitsrechtlich wirksam im Jahre 2018 vereinbart worden. Das JStG 2020 wurde aber erst Ende 2020 verkündet. Da sei es nicht rechtens, wenn bereits ab April 2020 Lohnsteuer nachgefordert werde. Doch alle Argumente halfen nichts: Klage und Einspruch blieben erfolglos.
Die Begründung in aller Kürze:
Die neue Regelung zum Zusätzlichkeitserfordernis betrifft im Streitfall zwar bereits abgeschlossene Anmeldungszeiträume der Lohnsteuer. Doch ein Arbeitgeber muss eine rückwirkende gesetzliche Regelung im Regelungsbereich der Lohnsteuer grundsätzlich hinnehmen. § 41 c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG enthält eine Bestimmung zu den Folgen bei unzutreffendem Lohnsteuereinbehalt, die auch bei rückwirkender Gesetzesänderung gilt. Lohnsteuer, die auf Grundlage der zum Zeitpunkt ihrer Entstehung geltenden Gesetzeslage korrekt einbehalten wurde, aber durch eine rückwirkende Gesetzesänderung erhöht wird, gilt als „zu wenig erhoben“ und kann vom Arbeitnehmer nachgefordert werden. Der Arbeitgeber ist sogar verpflichtet, nachträglich Lohnsteuer einzubehalten, wenn ihm dies wirtschaftlich zumutbar ist (§ 41c Abs. 2 Satz 2 EStG).
Denkanstoß:
Es wurde die Revision zugelassen, die – wie erwähnt – auch eingelegt wurde. Der Ausgang des Verfahrens dürfte nicht nur die Geldkartenmodelle, sondern auch andere Fälle der Gehaltsumwandlung betreffen.
Weitere Informationen:
- Wengerofsky, „Neues zum Zusätzlichkeitserfordernis“ (NWB Experten-Blog)
- BMF-Schreiben vom 5.1.2022, BStBl 2022 I S. 61
Ein Beitrag von:
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- Steuerberater in Herten/Westf. (www.herold-steuerrat.de)
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- Mitglied im Steuerrechtsausschuss des Steuerberaterverbandes Westfalen-Lippe
Warum blogge ich hier?
Als verantwortlicher Redakteur und Programmleiter zahlreicher Steuerfachzeitschriften, meiner früheren Tätigkeit in der Finanzverwaltung und meiner über 25-jährigen Arbeit als Steuerberater lerne ich das Steuerrecht sowohl aus theoretischer als auch aus praktischer Sicht kennen. Es reizt mich, die Erfahrungen, die sich aus dieser Kombination ergeben, mit den Nutzern des Blogs zu teilen und freue mich auf viele Rückmeldungen.