Vertagt, verschoben, verunsichert – Was steckt hinter verspäteten Bilanzen?

Wenn der Veröffentlichungstermin des Geschäftsberichts wackelt, schrillen in der Finanzwelt die Alarmglocken. Nicht ohne Grund: Wer kurzfristig verschiebt, signalisiert meist mehr als nur einen Zeitverzug – es geht um Vertrauen, Transparenz und am Ende um den Ruf. In den letzten Wochen mehren sich die Fälle, bei denen genau das passiert ist. Zufall? Oder steckt dahinter ein tieferliegendes Problem?

Wenn es plötzlich länger dauert

Innerhalb weniger Tage meldeten gleich mehrere Unternehmen, dass sich die Veröffentlichung ihres Jahresabschlusses verzögert. Die Gründe sind unterschiedlich – die Wirkung ist stets dieselbe: Unsicherheit.

Meyer Burger, der angeschlagene Solarkonzern, hat es besonders hart getroffen. Nach einem Jahresverlust von über 290 Millionen CHF wurde die Veröffentlichung des Geschäftsberichts kurzerhand verschoben. Als Grund nannte das Unternehmen „abschließende Abstimmungen mit dem Wirtschaftsprüfer“. Ein schwaches Signal in einer Zeit, in der Anleger Klarheit erwarten.

Auch Accentro Real Estate verschob den Bericht – bereits zum zweiten Mal. Hintergrund ist, dass die Abschlussprüfer für die Geschäftsjahre 2023 und 2024 die gesetzlich vorgeschriebene Prüfung der Fortführungsprognose nun auf Basis der erst kürzlich erzielten Grundsatzeinigung zur umfassenden Restrukturierung vornehmen müssen. Klingt technisch, doch letztlich geht es um Zweifel an der Bilanz. Kein gutes Zeichen für einen ohnehin angeschlagenen Immobilienentwickler.

Und auch Brockhaus Technologies meldete jüngst eine Verzögerung: Man müsse auf „abschließende Feststellungen aus einer komplexen Akquisition“ warten. Übersetzt: Man kämpft mit den Bilanzierungsfolgen eines Deals – und kommt damit nicht wie geplant voran.

Das Timing ist kein Zufall

Auffällig ist: Die Verschiebungen erfolgen alle im Umfeld von operativen Problemen. Hohe Verluste, heikle Transaktionen, Unsicherheiten in der Bewertung – das sind keine Randnotizen, sondern zentrale Stellhebel der Bilanz.

Dabei ist die Verschiebung eines Geschäftsberichts kein bloßes Versäumnis. Sie unterliegt der Ad-hoc-Pflicht, denn der Kapitalmarkt muss informiert werden, wenn die Veröffentlichung nicht fristgerecht erfolgt. Und genau das macht die Sache so brisant: Der Schritt an die Öffentlichkeit erfolgt selten freiwillig – sondern meist dann, wenn der Druck zu groß wird.

Was das mit Vertrauen zu tun hat

Ein pünktlich veröffentlichter Geschäftsbericht steht für Verlässlichkeit. Eine Verschiebung kratzt genau daran – am Vertrauen. Denn selbst wenn der Grund technisch begründet ist, stellt sich der Markt sofort Fragen: Was wird noch geprüft? Gibt es Überraschungen? Und vor allem: Warum hat man es nicht früher gemerkt?

Gerade für börsennotierte Unternehmen ist die Kommunikation rund um die Bilanz ein sensibles Thema. Diejenigen, die nun verschieben mussten, werden im nächsten Investorengespräch besonders überzeugend erklären müssen, warum das Vertrauen dennoch gerechtfertigt ist.

Und mein Senf dazu

Verschiebungen von Geschäftsberichten sind keine Kleinigkeit – sie sind ein Signal. Ein Alarmsignal, das oft auf größere Probleme im Hintergrund hindeutet. Natürlich kann es gute Gründe geben: komplexe Transaktionen, technische Hürden oder Diskussionen mit dem Abschlussprüfer. Doch genau hier zeigt sich die Schwäche vieler Governance-Strukturen: Warum wird nicht früher gegengesteuert? Warum fehlt es an klaren Timelines, an Kommunikationsstrategien, an Professionalität?

Ein Unternehmen, das seinen Geschäftsbericht nicht pünktlich veröffentlichen kann, hat kein Zeitproblem – es hat ein Vertrauensproblem. Und das ist schwerer zu reparieren als ein verspäteter Abschluss.

Weitere Informationen:

 

Ein Beitrag von:

  • Dr. Carola Rinker

    • Diplom-Volkswirtin und Unternehmensberaterin
    • Erstellung von (Gerichts-)Gutachten, Stellungnahmen und Analysen zu Bilanzierungssachverhalten
    • Fachbuchautorin
    • Anhörung als Sachverständige im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Wirecard Skandal des Deutschen Bundestages und im Finanzausschuss zum FISG
    • Mehr unter carolarinker.de

    Warum blogge ich hier?
    Aus Interesse an den Themen. Aus Spaß. Aus Netzwerk-Gründen. Als Ergänzung zu meiner Arbeit als Unternehmensberaterin und meinen Lehrveranstaltungen ist das Bloggen wunderbar geeignet. Ein Blog bietet die Möglichkeit, sich in einzelne Themen zu vertiefen – und sich anschließend mit Lesern darüber auszutauschen. Da jedes Jahr neue Jahresabschlüsse von Unternehmen vorgelegt werden und sich die Regeln der Bilanzierung ständig ändern, wird mir der Stoff nie ausgehen.

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