Weg übers Firmengelände ist keine Arbeitszeit – Was zählt eigentlich zur Arbeitszeit?

Lange Wege auf dem Firmengelände zum Arbeitsplatz muss der Arbeitgeber in der Regel nicht als Arbeitszeit vergüten, hat das LAG Hessen (31.1.2025 – 10 SLa 564/24) ganz aktuell entschieden. Was ist in der Praxis zu beachten?

Regelungshintergrund

Durch den Arbeitsvertrag wird der Arbeitnehmer im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet; das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen (§ 611a Abs.1 S.1, 2 BGB). Der Arbeitgeber ist zur Zahlung der vereinbarten Vergütung verpflichtet (§ 611a  Abs.2 BGB). „Arbeit“ im Sinne dieser Bestimmungen ist jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient (BAG 23.4.2024 – 5 AZR 212/23); sie muss vergütet werden. Aber wann beginnt und endet die „Arbeit“?

Worum ging´s im Streitfall?

Im Streitfall war der Kläger als Fahrer am Flughafen beschäftigt. Sein Zeiterfassungterminal lag innerhalb eines besonders gesicherten Bereichs, der nur über Kontrollpunkte und unter Nutzung eines betriebseigenen Shuttleservices erreichbar war. Der Kläger meinte diese Wegezeit sei vergütungspflichtige Arbeitszeit, weil er auf dem Weg zur tatsächlichen Arbeit die Vorgaben seines Arbeitgebers zu befolgen habe. Das ArbG Frankfurt (v. 8.2.2024 – 26 Ca 5906/23) wies die Zahlungsklage ab.

Wie hat das LAG Hessen entschieden?

Die Berufung des Arbeitnehmers vor dem LAG Hessen blieb ebenfalls erfolglos: Das Wegerisiko hin zur Arbeit liege beim Arbeitnehmer. Hierzu zähle auch der Weg auf dem Firmengelände bis zum Punkt der eigentlichen Arbeitsaufnahme. Zur „Arbeitsleistung“ i.S.v. § 611a Abs. 1 BGB zählt nicht nur die eigentliche Tätigkeit, sondern jede vom Arbeitgeber verlangte sonstige Tätigkeit oder Maßnahme, die mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängt. Der Arbeitgeber verspricht die Vergütung aller Dienste, die er dem Arbeitnehmer aufgrund seines arbeitsvertraglich vermittelten Weisungsrechts abverlangt. Die vergütungspflichtige Arbeitszeit beginnt grundsätzlich mit dem Erreichen des konkreten Arbeitsplatzes, wenn nicht konkret etwas anderes vereinbart ist.

Was ist Arbeitszeit und was nicht?

Der LAG-Fall ist exemplarisch für viele ähnlich gelagerte Konflikte in Arbeitsverhältnissen, bei denen um den Beginn und Ende der vergütungspflichtigen Arbeitszeit gestritten wird. Mit dem Zurücklegen des Weges von der Wohnung zur Arbeitsstelle und zurück erbringt der Arbeitnehmer regelmäßig keine Arbeit für den Arbeitgeber. Nicht zur Arbeitszeit zählende Wegezeit ist auch  der Weg bis zu der Stelle, an der die Arbeit beginnt (BAG 19.9.2012 – 5 AZR 678/11). Es gibt auch keinen allgemeinen Grundsatz, dass bereits mit dem Erreichen des Geländes des Unternehmens oder des Betriebes des Arbeitgebers die vergütungspflichtige Arbeitszeit zu laufen beginnt. Ein allgemeines Prinzip, dass es auf das „Durchschreiten des Werktors“ ankommt, gibt es nicht.

Um vergütungspflichtige Arbeitszeit handelt es sich regelmäßig bei dem An- und Ablegen einer vom Arbeitgeber vorgeschriebenen und nur im Betrieb zu tragenden Dienstkleidung. Körperreinigungszeiten sind danach als Arbeitszeit anzusehen, wenn sie mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängen und deshalb ausschließlich der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dienen, etwa wenn zwingende arbeitsschutzrechtliche Hygienevorschriften eine solche verlangen, weil der Arbeitnehmer beispielsweise bei der Arbeit mit gesundheitsgefährdenden Stoffen oder verunreinigten Gegenständen in Berührung kommt. Körperreinigungszeiten gehören aber auch dann zur vergütungspflichtigen Arbeitszeit, wenn sich der Arbeitnehmer bei seiner geschuldeten Arbeitsleistung so sehr verschmutzt, dass ihm ein Anlegen der Privatkleidung, das Verlassen des Betriebs und der Weg nach Hause – sei es durch Nutzung des Öffentlichen Personennahverkehrs oder durch Nutzung eines eigenen Fahrzeugs – ohne eine vorherige Reinigung des Körpers im Betrieb nicht zugemutet werden kann (BAG v. 23.04.2024 – 5 AZR 212/23). Wie so häufig gilt auch hier: Es kommt darauf an …

Ein Beitrag von:

  • Prof. Dr. jur. Ralf Jahn

    • Studium der Rechtswissenschaften in Würzburg
    • ehem. Hauptgeschäftsführer der IHK Würzburg-Schweinfurt
    • ehem. Honorarprofessor an der Universität Würzburg

    Warum blogge ich hier?
    Mein erster Blog bietet die Möglichkeit, das Thema der Pflicht der „Pflichtmitgliedschaft in Kammern“ „anzustoßen“ und in die Diskussion zu bringen. Bei genauem Hinsehen sichert der „Kammerzwang“ nämlich Freiheitsrechte durch die Möglichkeit zur eigenverantwortlichen Partizipation.

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