Die Grunderwerbsteuer ist längst nicht mehr nur eine Steuer auf klassische Grundstückskäufe. Gerade im Bereich von Anteilsübertragungen an grundbesitzenden Gesellschaften hat sich ein Dickicht an Regelungen, Ausnahmen und Sonderinterpretationen entwickelt. Ob Beteiligungsquoten, gesellschaftsrechtliche Konstruktionen oder der Unterschied zwischen „vermögensmäßiger Beteiligung“ und „gesamthänderischer Mitberechtigung“ – hier herrscht maximale Komplexität. Das aktuelle Urteil des FG Münster vom 16. Januar 2025 (8 K 2751/21 F) zeigt eindrucksvoll, wie schnell unterschiedliche Sichtweisen zu völlig verschiedenen steuerlichen Ergebnissen führen können.
Der Fall
Die Klägerin war Kommanditistin einer grundbesitzenden GmbH & Co. KG und zu 100 Prozent am Vermögen dieser Gesellschaft beteiligt. Die Komplementär-GmbH hielt dagegen keinen Anteil am Kapital der KG. Im Rahmen einer konzerninternen Umstrukturierung wurden sämtliche Anteile an der Komplementär-GmbH in die Klägerin eingebracht. Das Finanzamt sah hierin einen Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG und setzte Grunderwerbsteuer fest. Die Begründung: Durch die Einbringung sei es zu einer Vereinigung von Anteilen gekommen, die den Tatbestand erfülle.
Die Klägerin hielt dagegen: Sie habe bereits zuvor 100 Prozent der Anteile an der KG besessen – gemessen an der Beteiligung am Gesellschaftskapital. Die Übertragung der Anteile an der nicht kapitalbeteiligten Komplementärin ändere daran nichts.
Die rechtliche Kernfrage
Im Zentrum des Streits stand die Auslegung des Begriffs „Anteile der Gesellschaft“ im Sinne des § 1 Abs. 3 GrEStG. Bislang hatte die BFH-Rechtsprechung bei unmittelbaren Beteiligungen auf die gesamthänderische Mitberechtigung am Gesellschaftsvermögen abgestellt (sog. Pro-Kopf-Betrachtung). Danach galt auch der nicht am Kapital beteiligte Gesellschafter als anteilsinhabender Mitberechtigter.
Allerdings hatte der BFH in einem obiter dictum (Urteil vom 27. Mai 2020 – II R 45/17) angedeutet, dass es überzeugender sein könnte, auch bei unmittelbaren Beteiligungen allein auf die vermögensmäßige Beteiligung am Gesellschaftskapital abzustellen – so wie es inzwischen bei mittelbaren Beteiligungen gilt.
Die Entscheidung des FG Münster
Das FG Münster folgte dieser neuen Denkrichtung und entschied, dass es naheliegend sei, die für mittelbare Beteiligungen entwickelte Sichtweise auch auf unmittelbare Beteiligungen zu übertragen. Ein Gesellschafter, der allein am Vermögen der Personengesellschaft beteiligt ist, habe bereits die rechtliche Möglichkeit, seinen Willen in grunderwerbsteuerlich erheblicher Weise durchzusetzen. Der mittelbare Erwerb des Anteils eines nicht am Vermögen beteiligten Gesellschafters ändere daran nichts.
Damit habe die Einbringung der Anteile an der Komplementär-GmbH keine neue grunderwerbsteuerbare Anteilsvereinigung ausgelöst – die Klägerin hielt schon vor dem Vorgang die erforderlichen 95 Prozent am Gesellschaftskapital.
Ausblick
Die Revision wurde zugelassen und ist beim BFH unter dem Az. II R 5/25 anhängig. Damit bleibt offen, ob der BFH seine bisherige Linie für unmittelbare Beteiligungen endgültig aufgibt. Sollte er die Kapitalbeteiligung als maßgebliches Kriterium bestätigen, würde das mehr Rechtssicherheit bringen – und möglicherweise zahlreiche anhängige Verfahren beeinflussen.
Fazit
Das Urteil zeigt, wie komplex und zugleich dynamisch das Grunderwerbsteuerrecht geworden ist. Die Unterscheidung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Beteiligung, zwischen Kapitalanteil und gesamthänderischer Mitberechtigung, ist längst keine theoretische Feinheit mehr – sie kann in Millionenhöhe über die Steuerlast entscheiden. Für die Praxis bedeutet das: Bei Anteilsübertragungen muss jedes Detail der Beteiligungsstruktur präzise analysiert werden. Und bis der BFH entschieden hat, bleibt für Berater und Unternehmen ein gutes Stück Rechtsunsicherheit bestehen.
Mein Kommentar
Das Urteil des FG Münster ist ein weiteres Mosaikstück im Streit um die richtige Auslegung des § 1 Abs. 3 GrEStG. Es signalisiert eine Abkehr von der klassischen Pro-Kopf-Betrachtung hin zu einer wirtschaftlicheren Sichtweise auf Kapitalbeteiligungen. Für die Praxis wäre dies eine Vereinfachung – wenn auch nur auf den ersten Blick. Denn solange der BFH die Frage nicht endgültig beantwortet, bleibt die Unsicherheit hoch.
Wer aktuell Anteilsübertragungen plant, muss deshalb doppelt vorsichtig sein: Einerseits sollte die Struktur so gestaltet werden, dass beide Interpretationen – Kapitalbeteiligung und gesamthänderische Mitberechtigung – berücksichtigt werden. Andererseits sollte man sich auf mögliche Nachforderungen vorbereiten, falls der BFH die restriktive Linie bestätigt.
Eines zeigt der Fall deutlich: In der Grunderwerbsteuer ist Klarheit selten, und gerade bei Anteilsübertragungen kann ein einziger Prozentsatz über die Steuerpflicht entscheiden. Das macht diese Materie nicht nur kompliziert – sondern für alle Beteiligten zu einem echten Risikofeld.
Meine Hoffnung ist, dass im Zuge der Neugestaltung des Grunderwerbsteuerrechts wirklicher Reformwille herrscht und eine Vereinfachung eintritt. Denn ich bin überzeugt: Je komplexer die Unternehmensstruktur ist, desto weniger versteht irgendwer die aktuelle grunderwerbsteuerliche Würdigung – weder Berater noch Finanzamt. Wir alle wissen jedoch, wie gut die Steuerpolitik bei Vereinfachungen ist.