Eine tarifliche Regelung, nach der es Mehrarbeitszuschläge erst ab der 41. Wochenstunde gibt, diskriminiert Teilzeitbeschäftigte, hat das BAG ganz aktuell entschieden (BAG v. 26.11.2025 – 5 AZR 118/23). Was gilt es zu beachten?
Worum es im Streitfall ging
Dem BAG-Streitfall liegt ein Arbeitsverhältnis zugrunde, für das ein Manteltarifvertrag gilt. Hiernach erhalten die mit 37,5 Stunden Vollzeitbeschäftigten erst ab der 41. Wochenstunde einen Mehrarbeitszuschlag von 25 Prozent. Der Kläger arbeitet nur 30,8 Stunden und sieht in der tarifvertraglichen Regelung eine Diskriminierung. Nach der zeitanteiligen Regelung in § 4 Abs. 1 S. 2 TzBfG wollte er den Zuschlag nach einer Mehrarbeit von 1,2 Stunden über seiner vereinbarten Wochenarbeitszeit. Die Vorinstanzen haben die Klage auf Zahlung von Mehrarbeitszuschlägen abgewiesen (zuletzt LAG Nürnberg v. 11.8.2022 – 5 Sa 316/21). Jetzt hat aber das BAG die Vorentscheidungen aufgehoben und dem Kläger Recht gegeben.
Das hat das BAG entschieden
Jetzt hat das BAG ein Machtwort gesprochen: Eine tarifvertragliche Bestimmung, nach der Mehrarbeitszuschläge unabhängig von der individuellen Arbeitszeit ab der 41. Wochenstunde zu zahlen sind, verstößt gegen das Verbot der Diskriminierung Teilzeitbeschäftigter (§ 4 Abs. 1 TzBfG). Eine hiergegen verstoßende tarifvertragliche Regelung ist infolgedessen nichtig (§ 134 BGB). Ein sachlicher Grund für die Benachteiligung ist nach Ansicht des BAG nicht gegeben Die Benachteiligung kann für die Vergangenheit nur dadurch beseitigt werden, dass die Grenze für die Gewährung von Mehrarbeitszuschlägen bei Teilzeitbeschäftigten im Verhältnis ihrer individuellen Wochenarbeitszeit zur Wochenarbeitszeit Vollzeitbeschäftigter abgesenkt wird. Teilzeitbeschäftigten steht unter dieser Voraussetzung ein Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge nach § 612 Abs. 2 BGB i.V.m. § 4 Abs. 1 S. 2 TzBfG zu, wenn sie ihre individuelle wöchentliche Arbeitszeit proportional zur Zuschlagsgrenze für Vollzeitbeschäftigte im Tarifvertrag überschreiten. Den Tarifvertragsparteien muss zuvor auch nicht die Möglichkeit zur Korrektur ihrer diskriminierenden Regelung eingeräumt werden, der Anspruch entsteht also unmittelbar.
Bewertung und Einordnung der Entscheidung
Die Entscheidung des BAG ist ein gutes Signal für Arbeitnehmer, die „nur“ teilzeitbeschäftigt sind. Sie dürfen nicht als Arbeitnehmer „zweiter Klasse“ behandelt werden, sonst werden sie diskriminiert – was insbesondere das Europarecht verbietet. Mit dem Urteil setzt das BAG konsequent seine Rechtsprechungslinie zum Diskriminierungsverbot im Arbeitsverhältnis fort. In gleichem Sinne hatte bereits 2024 der 8. Senat des BAG entschieden, dass Teilzeitbeschäftigte ab der ersten Überstunde denselben Anspruch auf Zuschläge wie ihre vollzeitbeschäftigten Kollegen haben (BAG-Urteil v. 5.1.2024 – 8 AZR 370/20). Erst vor Kurzem hatte das BAG ferner in einem Fall bei der Deutschen Post AG für ein befristetes Arbeitsverhältnis entschieden, dass auch der befristet beschäftigte Arbeitnehmer wie seine Kollegen zu behandeln ist – ohne dass die Tarifvertragsparteien die Möglichkeit zur Korrektur einzuräumen ist (BAG-Urteil v. 13.11.2025 – 6 AZR 131/25).
Mindestens ebenso wichtig ist die Erkenntnis des BAG, dass die Korrektur der diskriminierenden Regelung unmittelbar im Arbeitsverhältnis zu regeln ist. Es muss also nicht zuvor den Tarifvertragsparteien die Möglichkeit zur Korrektur ihrer diskriminierenden Regelung eingeräumt werden. Das BVerfG (Beschluss v. 11.12.2024 – 1 BvR 1109/21; 1 BvR 1422/23) in einem Streit um unterschiedliche Vergütung von Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit bei Coca-Cola entschieden, dass bei einem Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art.3 Abs.1 GG) zunächst die Tarifparteien die Möglichkeit bekommen müssten, ihre vereinbarte Regelung selbst nachzubessern; die Arbeitsgerichte seien nämlich auf eine Prüfung des Willkürverbots beschränkt, weil andernfalls in die Tarifautonomie der Tarifvertragsparteien (Art. 9 Abs. 3 GG) eingegriffen werde.
Das BAG beruft sich im vorliegenden Fall aber nicht primär auf Verfassungsrecht, sondern auf Europarecht: Wegen des Unionsrechtsbezug in § 4 Abs. 1 TzBfG hätten in diesen Fällen die Gerichte für Arbeitssachen nicht lediglich eine Willkürkontrolle vorzunehmen, sondern müssen die vom EuGH vorgegebenen Anforderungen beachten.
Im Anwendungsbereich unionsrechtlich überformter Diskriminierungsverbote ist demzufolge den Tarifvertragsparteien eben keine primäre Korrekturmöglichkeit einzuräumen – eine für die Praxis wichtige Erkenntnis.
Weitere Informationen: