Millionenverlust, manipulierte Bescheinigungen, und ein Wirtschaftsprüfer, der angeblich „nichts gewusst“ haben will. Der Fall rund um das Picam-Schneeballsystem zeigt eindrucksvoll, wie Abschlussprüfer im schlimmsten Fall nicht nur versagen – sondern zum Teil des Problems werden.
Während tausende Anleger auf den „Swiss made“-Schein hereinfielen, reichten ein paar gut getimte Schreiben eines Prüfers aus, um Seriosität zu suggerieren. Für Anlegervertreter ist das ein Weckruf: Wer testiert, trägt Verantwortung – auch moralisch.
Täuschung mit Testat – Wie alles ins Rollen kam
Thomas Entzeroth versprach mit seiner Firma Picam spektakuläre Renditen von 15 bis 20 Prozent pro Jahr, angeblich gesteuert durch einen Super-Algorithmus. Das System lief wie geschmiert, bis es 2017 abrupt zusammenbrach. Was als Hightech-Investment beworben wurde, entpuppte sich als klassisches Schneeballsystem. Insgesamt wurden 320 Millionen Euro eingesammelt, rund 80 Millionen davon sind laut Gerichtsbeschluss schlichtweg „weg“.
Besonders bitter: Ein Wirtschaftsprüfer – namentlich Manfred E. – hatte über Jahre hinweg zweistellige Renditen bestätigt und damit Anlegern Sicherheit suggeriert. Seine Schreiben wurden gezielt eingesetzt, um das Vertrauen von Kleinanlegern zu gewinnen. Vor Gericht gab sich E. kleinlaut: Er sei ein „spießiger Buchhalter“ und habe „nie wissentlich einen Betrug unterstützt“. Das Gericht sah das anders. Zwei Jahre auf Bewährung – wegen Beihilfe zum Betrug.
Die Faktenlage ist eindeutig: Der Prüfer hatte für Picam Millionenbeträge bewegt und gleichzeitig Bescheinigungen mit Scheinrenditen ausgestellt. Damit wurde nicht nur der Eindruck eines stabilen Systems erzeugt – es wurde aktiv zur Täuschung beigetragen. Und das, obwohl grundlegende Plausibilitätsprüfungen offenbar unterblieben.
Mein Senf dazu
Dass Wirtschaftsprüfer testieren, ohne wirklich zu prüfen – das ist kein Einzelfall, sondern ein systemisches Risiko. Der Fall Picam steht in einer Reihe mit Wirecard, P&R und anderen Skandalen, in denen das Testat zur Vertrauensfassade wurde. Die alte Ausrede „Ich habe von nichts gewusst“ zieht spätestens dann nicht mehr, wenn sich herausstellt, dass einfache Rückrechnungen oder Kontrollfragen gereicht hätten, um auf Widersprüche zu stoßen.
In der Hauptversammlung sitzen viele Anleger, die sich auf diese Berichte verlassen – weil sie keine forensischen Buchhalter sind, sondern auf ein funktionierendes Kontrollsystem vertrauen. Aber genau das scheint in solchen Fällen zu versagen. Die Lehre daraus? Abschlussprüfer müssen stärker zur Rechenschaft gezogen werden – nicht nur rechtlich, sondern auch reputativ.
Anlegervertreter sollten deshalb auf der nächsten Hauptversammlung genau hinschauen: Wer ist der Prüfer? Gab es im Prüfungsbericht kritische Hinweise oder nur Routinefloskeln? Und noch wichtiger: Wurden die Cashflows plausibel nachvollzogen? Denn spätestens nach Picam gilt: Vertrauen ist gut – aber Nachfragen ist Pflicht.
Weitere Informationen
Handelsblatt: Anlagebetrug – Chef des Schneeballsystems Picam muss fast sechs Jahre in Haft
Ein Beitrag von:
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- Erstellung von (Gerichts-)Gutachten, Stellungnahmen und Analysen zu Bilanzierungssachverhalten
- Fachbuchautorin
- Anhörung als Sachverständige im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Wirecard Skandal des Deutschen Bundestages und im Finanzausschuss zum FISG
- Mehr unter carolarinker.de
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