Corona-2G-Regel im Einzelhandel auf gerichtlichem Prüfstand

Mehrere Oberverwaltungsgerichte haben inzwischen die sog. 2G-Regel im Einzelhandel beanstandet; Wirtschaftsverbände fordern deren Aus. Wie ist das zu bewerten?

Hintergrund

Bund und Länder haben sich am 2.12.2021 auf schärfere Corona-Regeln geeinigt, die bundesweit gelten sollen, insbesondere 2G-Regelungen für den Besuch von Restaurants, Kinos, Theatern und anderen Freizeiteinrichtungen; zusätzlich kann sogar ein aktueller Test – also 2G plus – vorgeschrieben werden. Auch im Einzelhandel  – mit Ausnahme von Läden für den täglichen Bedarf wie z.B. Lebensmittel – haben nur noch Geimpfte oder Genesene Zutritt (Ziff. 7 des MPK-Beschlusses v. 2.12.2021). Dies gilt unabhängig von den Inzidenzen. Die Geschäfte müssen das Einhalten der Regel kontrollieren.

Die Folge: Gerade im (Vor-)Weihnachtsgeschäft massive Umsatzeinbrüche im Facheinzelhandel, weil Kunden in der „Hochkonjunktur“ wegbleiben. Dennoch hat die MPK am 21.12.2021 (MPK-Beschluss Ziff.6) an der 2G-Regel im Einzelhandel und Veranstaltungen der Kultur- und Freizeitgestaltung festgehalten, hält sogar ergänzend für möglich, dass ein aktueller Test vorgeschrieben wird (2G-Plus).

Gerichte beanstanden 2G-Regel im Einzelhandel

Oberverwaltungsgerichte haben die 2G-Regel im Handel gekippt oder anderweit Auswege aufgezeigt. Das OVG Lüneburg hat am 16.12.2021 (13 MN 477/21) die 2G‑Regel für den Einzelhandel in Niedersachsen vorläufig außer Vollzug gesetzt. Die 2G-Regel sei derzeit keine notwendige Schutzmaßnahme, weil Kundinnen und Kunden im Einzelhandel dazu verpflichtet werden können, eine FFP2‑Maske zu tragen. Außerdem sei die 2G‑Regelung im Einzelhandel voraussichtlich nicht mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz zu vereinbaren, weil verschiedene Geschäfte von der Regel ausgenommen würden.

Der BayVGH (v. 8.12.2021 – 20 NE 21.2821) hat zwar auf Antrag von Privatpersonen die in der Gastronomie und im Hotelgewerbe geltende bayerische 2 G-Regel als „voraussichtlich rechtmäßig“ erklärt Der BayVGH (v. 17.12.2021 – 20 NE 21.3012) hat allerdings einem Spielwarenhändler attestiert, dass er nicht unter die in Bayern geltende 2-G-Regel falle, weil sein Handel dem „täglichen Bedarf“ zuzurechnen sei, er also auch unter die (befreiten) Ausnahmen falle. Am 29.12.2021 hat der BayVGH auch „Bekleidungsgeschäfte“ als dem täglichen Bedarf dienend qualifiziert, so dass auch dort kein „ 2G-Regel“ gilt (Bay VGH v 29.12.2021 – 20 NE 21.3037). Wie dringlich und wichtig ein „täglicher Bedarf“ sein müsse, sei weder dem bayerischen Verordnungstext noch der Begründung zu entnehmen.

In einem weiteren Fall eines Kinobetreibers hat der BayVGH (v. 21.12.2021 – 20 NE 21.2946) zwar die in Bayern geltende 2G Plus-Regel in Kinos im Eilverfahren noch für verhältnismäßig erklärt, ist sich aber seiner rechtlichen Beurteilung offenbar auch nicht so ganz sicher: „Es bestünden zwar gewisse Zweifel, ob die beanstandete Vorschrift mit dem Gleichheitsgrundsatz zu vereinbaren sei, denn der Verordnungsbegründung lasse sich nicht entnehmen, wieso gastronomische Einrichtungen bei grundsätzlicher Vergleichbarkeit der Betriebsarten anders als z. B. Kinos zu beurteilen seien. Ob dies jedoch zu einem Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz führe, der eine Außervollzugsetzung der Vorschrift rechtfertige, sei bei summarischer Prüfung im Eilverfahren als offen anzusehen und bleibe einer Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten,“ heißt es in der offiziellen Pressemitteilung.

Offenbar für rechtmäßig hält demgegenüber der VGH Mannheim die landesrechtlichen Beschränkungen für Nicht-Immunisierte im Einzelhandel (VGH Mannheim – 1 S 3528/21).  Auch das OVG Münster (v. 22.12.2021 – 13 B 1858/21.NE) hält die 2G-Regelung im Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen für rechtmäßig.

Wer blickt da noch durch?

Wie sind die praktischen Konsequenzen zu bewerten?

Abermals korrigiert die Rechtsprechung Verwaltungsentscheidungen in essentiellen Corona-Fragen. Nach den Entscheidungen des VGH in Bayern zu 2 G im Einzelhandel stellt sich insbesondere die Frage, ob sich nicht auch andere Sortimentsanbieter auf die Befriedigung eines „täglichen Bedarfs“ berufen können – wo ist also die Grenze zu ziehen, wo endet der „tägliche Bedarfs“? Der Verordnungsgeber ist in seiner Änderungsverordnung zur BayInfSchMV v. 23.12.2021 (BayMBl. 2021 Nr. 949), die seit 28.12.2021gilt, die Antwort schuldig geblieben – obwohl sich eine klarstellende Regelung hätte aufdrängen müssen. Aussitzen durch Nichtstun!

Wirtschaftsverbände haben deshalb bereits das „Aus von 2G im Einzelhandel“ gefordert, weil die 2 G‑Regelung für „unverhältnismäßige Wettbewerbsverzerrungen“ sorge: Grundversorgern stünden alle Kunden offen, Sortimentsanbieter dagegen nur 2G mit „höchstem Kontrollaufwand“. Dem ist zuzustimmen, weil dem Einzelhandel mit 2G-Regel ein erheblicher, mit zunehmender Dauer existenzbedrohender Schaden droht. Denn die Zeit vor und nach Weihnachten sind für die Einzelhändler bundesweit die umsatzstärkste Zeit, allein in Bayern lag im November und Dezember 2019 der Umsatz im bayerischen Einzelhandel insgesamt bei rund 14 Milliarden Euro. Zu verstehen ist auch nicht, dass für einzelne Handelssortimente in den Bundesländern unterschiedliche Maßstäbe gelten: mal mit, mal ohne 2 G-Regel. Dass die neue Bundesregierung den bundesrechtlichen Ermächtigungsrahmen im geänderten IfSG dennoch weiterhin standhaft verteidigt, will deshalb nicht so recht einleuchten.

Quellen

Ein Kommentar zu “Corona-2G-Regel im Einzelhandel auf gerichtlichem Prüfstand

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