Corona: Teil-Lockdown in Deutschland – sind die wirtschaftsbezogenen Beschlüsse von Bund und Ländern angemessen?

Ab 2.11.2020 soll nach den Beschlüssen der Bundeskanzlerin und der Regierungschefs der Länder ein Teil-Lockdown in Deutschland erfolgen, vorerst bis Ende November 2020. Sind die Beschränkungen für die Wirtschaft verhältnismäßig?

Hintergrund

Trotz der Maßnahmen, die Bund und Länder vereinbart haben, ist die Zahl der Infektionen mit dem Coronavirus mit exponentieller Dynamik in nahezu allen Regionen Deutschlands dramatisch angestiegen. Dies hat dazu geführt, dass eine umfassende Kontakt-Nachverfolgung nicht mehr gewährleistet werden kann mit der Folge, dass sich das Virus weiter ausbreitet. Um zügig die Infektionsdynamik zu unterbrechen, haben Bund und Länder in seltener Einmütigkeit am 28.10.2020 deshalb ein umfassendes Paket für Einschränkungen persönlicher Kontakte und wirtschaftlicher Tätigkeiten beschlossen. Die Bundeskanzlerin hat am 29.10.2020 den Bundestag einbezogen und die Bund–Länder–Beschlüsse im Einzelnen erläutert.

Die Beschlüsse haben ein gespaltenes Echo gefunden: Zustimmung erfährt der Breite politische Konsens für bundesweit einheitlich geltende Rahmenbedingungen bei der Bekämpfung der Auswirkungen der Corona Pandemie. Kritik hingegen erfahren die umfangreichen Beschränkungen für etliche Wirtschaftsbranchen, die mit dem abermaligen Lockdown nunmehr in existenzbedrohende wirtschaftliche Schwierigkeiten zu geraten drohen.

Inhalt der wirtschaftsbezogenen Beschränkungsmaßnahmen

Mit dem Bund-Länder-Beschlüssen wird das Wirtschaftsleben vom 2.11.2020 bis zunächst 30.11.2020 weitgehend eingeschränkt; eine erste Evaluierung der Beschränkungsmaßnahmen soll durch Bund und Länder am 11.11. 2020 erfolgen. Das bedeutet nach dem Beschluss-Paket vom 28.10.2020:

  • Gastronomie:
    Gastrobetriebe sowie Bars, Clubs, Diskotheken, Kneipen und ähnliche Einrichtungen werden vollständig geschlossen. Davon ausgenommen ist die Lieferung und Abholung mitnahmefähiger Speisen für den Verzehr zu Hause.
  • Hotellerie:
    Übernachtungsangebote im Inland dürfen nur noch für notwendige und ausdrücklich nicht touristische Zwecke zur Verfügung gestellt werden. Im Übrigen gilt also ein Beherbergungsverbort.
  • Dienstleistungen:
    Veranstaltungen, die der Unterhaltung dienen, werden vollständig untersagt; Bayern verbietet darüber hinaus alle Veranstaltungen, auch solche ohne Unterhaltungswert – mit Ausnahme von Gottesdiensten und Demonstrationen. Dienstleistungen im Bereich der Körperpflege (Kosmetikstudios, Massagepraxen, Tattoo-Studios und ähnliche Betriebe werden geschlossen. Offen bleiben Friseursalons unter Beachtung der bestehenden Auflagen zur Hygiene sowie Einrichtungen für medizinisch notwendige Behandlungen, zum Beispiel Physiotherapie.
  • Einzelhandel:
    Der Einzelhandel bleibt unter Auflagen zur Hygiene, Steuerung des Zutritts und Vermeidung von Warteschlangen insgesamt geöffnet. Dabei ist sicherzustellen, dass sich in den Geschäften nicht mehr als ein Kunde pro 10 m² Verkaufsfläche aufhält.

Sind die Einschränkungen für die Wirtschaft rechtlich zulässig?

In ihrer Regierungserklärung im Deutschen Bundestag vom 29.10.2020 hat die Bundeskanzlerin die von Bund und Ländern beschlossenen Beschränkungen als geeignet, erforderlich und verhältnismäßig bezeichnet – was denn auch sonst sollte sie tun, um die harten Maßnahmen auch verfassungsrechtlich zu verteidigen!? Allerdings: Schon unter den bisherigen Beschränkungsmaßnahmen haben die Gerichte sich nicht gescheut, politische Entscheidungen zu korrigieren und grundrechtlichen Freiheitsrechten die erforderliche Geltung zu verschaffen. Denn bei allem erforderlichen Gesundheitsschutz für die Bevölkerung streiten auf der anderen Seite grundrechtliche Freiheiten der Bürger, vor allem die Gewerbefreiheit der Wirtschaftsunternehmen (Art.12 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG). Beide müssen gegeneinander abgewogen und miteinander in Einklang gebracht werden.

Dass die bei den jetzt angeordneten drastischen Betriebsverboten in der Veranstaltungswirtschaft, der Hotellerie oder der Gastronomie mit verhältnismäßigen Grundrechtsbeschränkungen in der jetzigen Form kaum vereinbar sein dürfte, zeigt ein Blick in die bisherige Corona-Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte:

  • Beherbergungsverbote:
    Der VGH Mannheim (v. 15.10.2020 – 1 S 3156/20) und das OVG Lüneburg (v. 15.10.2020 – 13 MN 371/20) haben Beherbergungsverbote in der Hotellerie für rechtswidrig erklärt, weil diese angesichts vorhandener und wirksamer Hygienekonzepte unverhältnismäßig und zu unbestimmt waren. Sachsen, Saarland und Bayern haben sich deshalb sehr schnell von Beherbergungsverboten politisch wieder verabschiedet.
  • Betriebsschließungs- und Sperrstundenregelungen in der Gastronomie:
    Auch Betriebszeiteinschränkungen hatten in der Corona-Vergangenheit zuletzt keinen Bestand. So hat etwa der VGH Kassel eine Betriebszeitbeschränkung als unverhältnismäßig erklärt (v. 23.10.2020 – 6 B 2551/20). Ähnlich urteilte der VGH München für ein Alkoholverbot im öffentlichen Bereich (v. 1.9.2020 – 20 CS 20.1962).

Diese nur exemplarische Blick auf die bisherige Rechtsprechung belegt: Man muss kein Prophet für die Annahme sein, dass die umfassenden flächendeckenden Lockdown-Bestimmungen vom 28.10.2020 für ganze Wirtschaftszweige vor den Gerichten landen. Und es wird nicht verwundern, wenn die Gerichte abermals die Politik korrigieren – selbst gegen den erklärten Willen der Bundeskanzlerin.

Ob man das gut oder schlecht findet: Das Gewaltenteilungsprinzip und die Unabhängigkeit der Judikative sind tragende Säulen unseres freiheitlichen Rechtssystems und deshalb zu respektieren – auch in schwierigen Corona-Zeiten, die Solidarität der Bevölkerung erfordern.

Quellen:
Ergebnis der Telefonkonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefs der Länder vom 28.10.2020

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