Kompliziert, komplizierter, am kompliziertesten – so lässt sich das Regelwerk beschreiben, das der Gesetzgeber im Laufe der letzten Jahre rund um die steuerlichen Begünstigungen für Kinder geschaffen hat. Doch so kompliziert es auch ist: Immer noch hält es nicht mit allen Lebenswirklichkeiten Schritt, wie ein aktuelles Urteil des BFH beweist.
Es geht um die steuerlichen Begünstigungen rund um das so genannte paritätische Wechselmodell, bei dem ein Kind alleinerziehender Eltern zeitweise bei der Mutter und zeitweise beim Vater wohnt, also über zwei Haushaltszugehörigkeiten verfügt (BFH-Urteil vom 10.7.2024, III R 1/22)
Der Sachverhalt:
Der Kläger unterhielt mit seinem Sohn und dessen Mutter zunächst einen gemeinsamen Hausstand. In 2015 zog die Mutter aber aus der gemeinsamen Wohnung aus. Das Kind blieb beim Vater gemeldet und wurde zusätzlich mit Wohnsitz bei der Mutter gemeldet. Es lebte in der Zeit von September bis Dezember 2015 wechselseitig eine Woche bei seiner Mutter und eine Woche beim Kläger. Die Beteiligten praktizierten das so genannte paritätische Wechselmodell.
Der Kläger machte neben Kinderbetreuungskosten für seinen Sohn auch den hälftigen Kinderfreibetrag sowie den hälftigen Entlastungsbetrag für Alleinerziehende geltend. Die Mutter hatte die Kindergarten- und Hortgebühren von ihrem Konto überwiesen. Das Kindergeld stand auch ausschließlich der Mutter zu.
Finanzamt, Finanzgericht und BFH versagten den Abzug von Kinderbetreuungskosten beim Vater. Ihm wurden aber auch der hälftige Kinderfreibetrag sowie der hälftige Entlastungsbetrag für Alleinerziehende versagt, obwohl das Kind auch bei ihm gemeldet war.
Die Begründungen in aller Kürze:
Kinderbetreuungskosten dürfen nur von demjenigen abgezogen werden, der sie getragen hat. Dabei kommt es maßgebend darauf an, wer die Betreuungsaufwendungen auf das Konto der Leistungserbringers, also zum Beispiel des Kindergartenträgers, überwiesen hat. Dies war im Urteilsfall ausschließlich die Mutter.
Prinzipiell würde dem Vater der hälftige Kinderfreibetrag zustehen. Allerdings erfolgt eine Günstigerprüfung mit dem Kindergeld. Ist die Entlastung mittels Kindergeld höher als die steuerliche Entlastung mittels Kinderfreibetrag, wird Letzterer nicht zusätzlich gewährt. Das Gesagte gilt auch dann, wenn der eine Elternteil keine tatsächliche Verfügungsmacht über das – hälftige – Kindergeld erlangt hat.
Nach § 24b Abs. 1 Satz 1 EStG können alleinstehende Steuerpflichtige einen Entlastungsbetrag erhalten, wenn zu ihrem Haushalt mindestens ein Kind gehört, für das ihnen ein Kinderfreibetrag oder Kindergeld zusteht. Erfüllen bei annähernd gleichwertiger Haushaltsaufnahme des Kindes beide Elternteile die Voraussetzungen für den Abzug des Entlastungsbetrags nach § 24b EStG, können die Berechtigten bestimmen, wer von ihnen den Entlastungsbetrag erhalten soll, unabhängig davon, an welchen Berechtigten das Kindergeld ausgezahlt wird (BFH-Urteil vom 28.4.2010, III R 79/08, mit Hinweis auf bestimmte Ausnahmen bezgl. Der Bestimmung).
Treffen die Berechtigten hinsichtlich des Entlastungsbetrags nach § 24b EStG aber keine Bestimmung untereinander, steht der Entlastungsbetrag demjenigen zu, an den das Kindergeld gezahlt wird. Im Streitfall steht der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende der vorrangig kindergeldberechtigten Kindsmutter zu. Der Kläger und die Kindsmutter haben nämlich nicht analog § 64 Abs. 2 Satz 2 EStG bestimmt, dass der Kläger den Entlastungsbetrag erhalten soll.
Der BFH sieht – trotz jeweils annähernd gleichwertiger Haushaltsaufnahme des Kindes in beide Haushalte – keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
Denkanstoß:
Ob der Gesetzgeber das Ergebnis tatsächlich gewollt hat? Ich weiß es nicht. Kann man die Gewährung des Kinderfreibetrages und vor allem des Entlastungsbetrages nach § 24b EStG vorrangig damit begründen, dass man der Kindergeldzuordnung folgt? Aus Gründen der Einfachheit und Praktikabilität wohl ja, aus dem Gerechtigkeitsempfinden wohl eher nicht.
Wenn der BFH darauf verweist, dass die Eltern ja anderweitige Bestimmungen hätten treffen können, mag das nach den Buchstaben des Gesetzes zutreffend sein. Doch das setzt voraus, dass die Eltern ein gutes Einvernehmen haben und das Zusammenspiel von Steuer- und Unterhaltsrecht in allen Facetten überblickt wird. Dabei ist es schon für uns Steuerberater nicht leicht, das Regelwerk der steuerlichen Begünstigungen für Kinder zu verstehen.
Es ist wirklich erschreckend, dass der BFH auch in neuen Urteilen, ob aus Praktiabilitätsgründen betreffend der Verwaltung oder ggf. einem persönlichen eher traditionellem familiären Rollenverständnis bei einer komplett ausgeglichenen Aufteilung der Betreuung sowie zwei gemeldeten Wohnsitzen, zugunsten eines Modells entscheidet in, welcher nur ein Elternteil Bezüge erhält. Da fragt man sich, warum keine hälftige Aufteilung mit Möglichkeit einer abweichenden persönlichen Bestimmung bei Einigung als Standart möglich ist.