Entgeltfortzahlung bei Krankheit: BAG definiert Spielregeln für den „einheitlichen Verhinderungsfall“

Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall kann teuer werden – für beide Seiten! In einem aktuellen Urteil mit hoher Praxisrelevanz hat das BAG jetzt klargestellt, was bei mehreren, aneinander anschließenden Krankheitsfällen für den „einheitlichen Verhinderungsfall“ zu beachten ist. Das ist für Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen wichtig!

Gesetzlicher Hintergrund

Krankheitsfälle im Arbeitsleben sind „normal“. Um etwaige finanzielle Nachteile für den (arbeitsverhinderten) Arbeitnehmer abzufedern, sieht § 3 Abs.1 S. 1 EFZG bei unverschuldeter Arbeitsunfähigkeit eine gesetzliche (also nicht abdingbare) Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers für die Dauer von bis zu sechs Wochen vor; hierbei hat der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit (mit unterschiedlichen Anzeigefristen) dem Arbeitgeber durch Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachzuweisen (§ 5 EFZG). Über die gesetzliche Entgeltfortzahlungspflicht hinaus kann der Fortzahlungsanspruch aufgrund tariflicher, betrieblicher oder individualrechtlicher Basis auch länger sein. Grundsätzlich gilt, dass nach Ablauf des gesetzlichen Entgeltfortzahlungszeitraums der (reduzierte) Krankengeldanspruch an die Stelle der Entgeltfortzahlung des Arbeitgebers tritt.

Aber aufgepasst: Der gesetzliche Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist auch dann auf die Dauer von sechs Wochen beschränkt, wenn während bestehender Arbeitsunfähigkeit eine neue, auf einem “anderen Grundleiden“ beruhende Krankheit auftritt, die ebenfalls Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat (Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls). Ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht nur, wenn die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits zu dem Zeitpunkt beendet war, zu dem die weitere Erkrankung zur Arbeitsunfähigkeit führte. Das wirkt sich dann auch auf den Anspruch auf gesetzliches Krankengeld aus.

Worum ging es im Streitfall?

Die Klägerin war bis Ende Juli 2017 als Fachkraft in der Altenpflege beschäftigt. Seit dem Anfang Februar 2017 war sie infolge eines psychischen Leidens arbeitsunfähig. Die Beklagte leistete Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bis einschließlich Ende März 2017. Im Anschluss bezog die Klägerin auf der Grundlage von Folgebescheinigungen ihrer Hausärzte, die zuletzt am 5.5.2017 eine bis einschließlich 18.5.2017 fortbestehende Arbeitsunfähigkeit attestierten, Krankengeld. Am 19.5.2017 unterzog sich die Klägerin wegen eines gynäkologischen Leidens einer Operation. Ihre Frauenärztin bescheinigte am 18.5.2017 als „Erstbescheinigung“ eine “Arbeitsunfähigkeit vom 19.5.2017 bis zum 16.6.2017“ und durch “Folgebescheinigung“ dann eine fortbestehende Arbeitsverhinderung bis einschließlich Ende Juni 2017. Im Juli 2017 erbrachte die Klägerin im Hinblick auf ihr gewährten Urlaub und Überstundenausgleich keine Arbeitsleistungen mehr und begann eine Psychotherapie bei einem Neurologen.

Die Klägerin erhielt in der Zeit vom 19. Mai bis zum Ende Juni 2017 weder von der Beklagten Entgeltfortzahlung noch von ihrer Krankenkasse Krankengeld. Mit ihrer Klage wollte sie für diesen Zeitraum vom beklagten Arbeitgeber die Zahlung von rund 3.400 € brutto nebst Zinsen gezahlt haben.

Sie machte geltend, sie sei ab dem 19.5.2017 wegen eines neuen Leidens arbeitsunfähig gewesen. Die Arbeitsunfähigkeit wegen ihrer psychischen Erkrankung habe am 18.5.2017 geendet. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt: nach den Umständen sei von einem “einheitlichen Verhinderungsfall“ auszugehen. Die Klägerin habe deshalb “nur einmal“ für die Dauer von sechs Wochen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall beanspruchen können. Diesen Anspruch habe sie erfüllt.

Während das Arbeitsgericht hat der Klage noch stattgegeben hatte, hat das LAG die Klage – nach Beweisaufnahme durch Vernehmung von drei Ärzten – abgewiesen (LAG Niedersachsen vom 26.9.2018 – 7 Sa 336/18). Das BAG hat das jetzt im Revisionsverfahren bestätigt.

BAG zeigt die Grenzen auf

Ist der Arbeitnehmer krankheitsbedingt arbeitsunfähig und schließt sich daran in engem zeitlichen Zusammenhang eine im Wege der „Erstbescheinigung“ attestierte weitere Arbeitsunfähigkeit an, hat der Arbeitnehmer nach BAG-Ansicht im Streitfall darzulegen und zu beweisen, dass die vorangegangene Arbeitsunfähigkeit im Zeitpunkt des Eintritts der weiteren Arbeitsverhinderung geendet hatte.

Dies ist der Klägerin im Streitfall nicht gelungen: Denn das Landesarbeitsgericht hat durch Vernehmung der die Klägerin behandelnden Ärzte umfassend Beweis erhoben. Danach konnte gerade eben nicht festgestellt werden, dass ein “einheitlicher Verhinderungsfall“ nicht vorlag. Das gilt umso mehr als nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme eine (abermalige) Untersuchung der Klägerin durch den erstbehandelnden Arzt (Psychotherapie, Neurologe) bei der Feststellung der bis einschließlich 18.5.2017 attestierten Arbeitsunfähigkeit nicht erfolgte.

Worauf sollten Sie achten?

Welche Lehren können aus dem praxisrelevanten Urteil gezogen werden? Zunächst die Einsicht, dass der Ausfall von Entgeltfortzahlung und Krankengeld für den Arbeitnehmer sehr kostspielig werden kann, wenn er seine Nachweis- und Beweispflichten nicht kennt. Umgekehrt sollten Arbeitgeber genau hinschauen, wenn ihnen der Arbeitnehmer eine Folgebescheinigung vorlegt, die eine (neue) Arbeitsunfähigkeit bescheinigt.

Das BAG sagt klipp und klar: Ist die erste Arbeitsunfähigkeit noch nicht beendet, bewirkt eine neue, auf einem anderen Krankheitsgrund beruhende Arbeitsunfähigkeit keinen erneuten Anlauf der sechswöchigen Entgeltfortzahlungspflicht, weil in diesem Fall von einem „einheitlichen Verhinderungsfall“ auszugehen ist. Anders wäre also der Fall zu beurteilen gewesen, wenn die Klägerin hätte durch „Gesundmeldung“ oder ärztliche Bescheinigung des erstbehandelnden Arztes hätte nachweisen können, dass die bis 18.5.2017 attestierte Arbeitsunfähigkeit bereits beendet war, bevor ein neues Krankheitsbild abermals zur Arbeitsunfähigkeit führte. In diesem Fall wäre die Sechs-Wochen-Frist des § 6 EFZG erneut angelaufen, im Anschluss hätte wiederum ein Krankengeldanspruch bestanden.

Es zeigt sich: Der Teufel steckt im Detail – auch bei der AU-Bescheinigung.

Weitere Informationen:
BAG vom 11.12.2019 – 5 AZR 505/18 (Pressemitteilung BAG Nr. 45/19)

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