Erbschaftsteuerbefreiung fürs Familienheim: Wird die Sechs-Monats-Frist zunehmend aufgeweicht?

Die Vererbung des selbstgenutzten Familienheims ist unter bestimmten Voraussetzungen steuerfrei (§ 13 Abs. 1 Nr. 4b und 4c ErbStG). Unter anderem muss die erworbene Wohnung unverzüglich zur Selbstnutzung bestimmt sein. Selbstredend stellt sich die Frage, was mit “unverzüglich” gemeint ist.

Der BFH hatte hierzu mit Urteil vom 28.5.2019 (II R 37/16) eine Sechs-Monats-Frist ins Spiel gebracht. Und wie es dann immer so ist, werden solche Fristen von der Finanzverwaltung und den Finanzgerichten gerne mit einer Art Gesetzescharakter versehen, von dem nicht abgewichen werden darf. Dass der BFH schon damals Ausnahmen zugelassen hatte, wird geflissentlich übersehen. Und so ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich der BFH immer wieder aufs Neue mit der Frage der „Unverzüglichkeit“ befassen muss.

Ein interessanter Fall wurde von ihm im Jahre 2021 entschieden, aber an die Vorinstanz, das FG Münster, zurückverwiesen. Dessen abschließendes Urteil stammt vom 30.6.2022, wurde aber erst jetzt veröffentlicht. Um es vorwegzunehmen: Das Urteil ist äußerst positiv (FG Münster, Urteil vom 30.6.2022, 3 K 3184/17 E).

Der Sachverhalt in Kurzform:

Der Kläger bewohnt mit seiner Familie seit langem eine Doppelhaushälfte, die andere Hälfte nutzte sein Vater. Nach dem Tod des Vaters verband der Kläger, der Alleinerbe war, die Doppelhaushälften zu einer Einheit. Nach Abschluss der fast drei Jahre andauernden Umbauarbeiten nutzt er die so verbundenen Doppelhaushälften als eine Wohnung. Der Kläger begehrte für den Erwerb der Doppelhaushälfte des Vaters die Steuerbefreiung für ein Familienheim. Diese ist ihm nun gewährt worden.

Die wesentlichen Aussagen des Urteils lauten:

Eine zeitliche Verzögerung des Einzugs aufgrund von Renovierungsarbeiten ist dem Erwerber nicht anzulasten, wenn er die Arbeiten unverzüglich in Auftrag gibt, die beauftragten Handwerker sie aber aus Gründen, die der Erwerber nicht zu vertreten hat, zum Beispiel wegen einer hohen Auftragslage, nicht rechtzeitig ausführen können.  Im Urteilsfall habe der Kläger seinen Entschluss zur Selbstnutzung der Immobilie trotz der deutlichen Überschreitung des regelmäßig anzuwendenden Sechs-Monats-Zeitraums auch innerhalb angemessener Zeit und damit unverzüglich umgesetzt.

Über einen weiteren Fall muss der BFH erst noch entscheiden

Auch hier geht es um eine deutliche Überschreitung der Sechs-Monats-Frist (FG München, Urteil vom 26.10.2022, 4 K 2183/21; Revision unter II R 48/22).

Der Sachverhalt:  Die Mutter hatte eine Wohnung lange Jahre selbst genutzt, musste aber im Jahre 2016 in ein Pflegeheim umziehen. Um die Kosten für ihre Unterbringung in der Pflegeeinrichtung zu decken, hatte sie ihre bisherige Wohnung vermietet, den Mietvertrag aber auf vier Jahre befristet. Im Jahre 2018 ist die Mutter gestorben; der Mietvertrag lief im Todeszeitpunkt folglich noch zwei Jahre. Die Tochter beabsichtigte, in die Wohnung unmittelbar nach dem Ende des Zeitmietvertrages einzuziehen und beantragte daher die erbschaftsteuerliche Befreiung für das Familienheim. Tatsächlich ist der Einzug im Jahre 2020 erfolgt. Das Finanzamt versagte die Steuerbefreiung, doch die Klage war erfolgreich.

Der Mietvertrag sei ursächlich dafür gewesen, dass die Tochter die Wohnung erst nach Ablauf der Mietzeit beziehen und damit erst ab diesem Zeitpunkt zu eigenen Wohnzwecken nutzen konnte. Den Grund für die spätere Aufnahme der Nutzung zu eigenen Wohnzwecken habe die Tochter daher nicht zu vertreten. Auch hier spielte die Sechs-Monats-Frist also keine Rolle.

Denkanstoß:

Angesichts des Mangels an Handwerkern und Baumaterialien dürfte eine Überschreitung der Sechs-Monats-Frist eher die Regel als die Ausnahme sein. Von daher ist es zu begrüßen, dass der BFH und nun auch das FG Münster die Frist nicht starr anwenden. Auf jeden Fall sollten Erben aber genauestens dokumentieren, warum sich der Einzug ins geerbte Familienheim verzögert hat.

Ob der BFH im dem zweiten Fall ebenfalls ein Einsehen hat und die Entscheidung der Vorinstanz bestätigt, dürfte hingegen fraglich sein. Das Urteil des FG München ist zwar gut begründet, aber eine Prognose zum Ausgang des Revisionsverfahrens möchte ich nicht abgeben.

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