Im Rahmen des NWB-Expertenblogs habe ich schon häufiger den Grundsatz von Treu und Glauben im Steuerrecht thematisiert. Nun gibt es endlich ´mal eine positive Entscheidung hierzu. Diese stammt zwar aus dem Jahr 2024, ist aber offenbar erst jetzt veröffentlicht worden. Zumindest habe ich sie erst kürzlich „entdeckt“ (FG Düsseldorf, Urteil vom 8.3.2024, 15 K 1957/23 Kg).
Der Sachverhalt – Festsetzung Kindergeld aufgehoben und Rückforderung
Nachdem der Sohn eine Ausbildung erfolgreich absolviert hatte, nahm er ab dem Wintersemester 2018/2019 ein Vollzeitstudium auf. Die Mutter gab gegenüber der Familienkasse zunächst an, dass ihr Sohn eine Erwerbstätigkeit mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 19,25 Stunden ausübe. Das Kindergeld stand ihr zweifelsohne zu und wurde auch entsprechend festgesetzt. Etwas später informierte die Mutter die Familienkasse darüber, dass sich die wöchentliche Arbeitszeit des Kindes seit dem 1.10.2018 auf 23,1 Stunden pro Woche erhöht habe. Und noch einmal später informierte sie die Familienkasse erneut über die Erwerbstätigkeit des Sohnes und die entsprechende wöchentliche Stundenzahl von über 20 Stunden. Doch erst mit Bescheid vom August 2023 wurde die Festsetzung des Kindergeldes für den Zeitraum von Oktober 2018 bis Juni 2022 aufgehoben und der für diesen Zeitraum überzahlte Betrag von 9.910 Euro zurückgefordert. Zur Begründung wurde – lapidar – angeführt, dass die Voraussetzungen zur Berücksichtigung volljähriger Kinder nicht erfüllt seien. Doch die Mutter wehrte sich hiergegen erfolgreich vor dem FG.
Die Begründung – Mitwirkungspflicht erfüllt
Zwar stehe der Klägerin für den Streitzeitraum kein materieller Kindergeldanspruch zu. Jedoch sei der angefochtene Aufhebungsbescheid aus verfahrensrechtlichen Gründen rechtswidrig, weil es an einer Korrekturvorschrift, die die Durchbrechung der Bestandskraft des ursprünglichen Festsetzungsbescheides rechtfertigen könnte, fehlt. So sei die Änderung eines Bescheides gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nach den Grundsätzen von Treu und Glauben ausgeschlossen, wenn der Behörde die nachträglich bekannt gewordene Tatsache bei ordnungsgemäßer Erfüllung ihrer Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wäre. Vorliegend habe die Familienkasse ihre Ermittlungspflicht aus § 88 AO verletzt, während auf der anderen Seite die Klägerin ihren Mitwirkungspflichten umfänglich Genüge getan hat. Angesichts der Information der Klägerin hätte die Familienkasse den Mitteilungen nachgehen und sie zum Anlass einer Überprüfung der Kindergeldfestsetzung nehmen müssen.
Denkanstoß:
Eine tolle Entscheidung: Mitwirkungspflicht erfüllt, also kein Raum für eine Änderung. Auch wenn die Tatbestandsmerkmale für eine Änderung nach § 173 AO nach dem reinen Wortlaut vorliegen, war die Familienkasse nach den Grundsätzen von Treu und Glauben an der Aufhebung der bestandskräftigen Kindergeldfestsetzung gehindert – darauf weist das FG explizit hin. So einfach kann Steuerrecht bzw. Kindergeldrecht sein.
Zugegebenermaßen ist der Fall – da es um § 173 AO geht – von den Fällen der reinen Abschnittsbesteuerung zu unterscheiden. Soll heißen: Ist etwa im Vorjahr eine doppelte Haushaltsführung anerkannt worden, kann das Finanzamt im aktuellen Besteuerungszeitraum zu einer anderen Beurteilung gelangen – beispielsweise weil nunmehr die Beteiligung an den Kosten der Erstwohnung angezweifelt wird. Hier hilft der Hinweis auf Treu und Glauben bzw. Vertrauensschutz nur selten weiter.
Beachten Sie zu dem Thema „Treu und Glauben“ auch den Blog-Beitrag Aufreger des Monats April: Kein Vertrauensschutz beim Finanzamt – auch nicht nach 40 Jahren?„