Gleicher Lohn für gleiche Arbeit – BAG zur geschlechtsbezogenen Entgeltdiskriminierung

Am 16.3.2023 hat das BAG (8 AZR 450/21) in einer wichtigen Grundsatzentscheidung zur geschlechtsbezogenen Ungleichbehandlung bei der Lohngestaltung durch Arbeitgeber Stellung genommen. Was ist zu beachten?

Sachverhalt

Das beklagte Unternehmen stellte zum 1.1.2017 einen Mitarbeiter (A) und zum 1.3.2017 die Klägerin als Vertriebsmitarbeiter ein. Beiden bot sie im Rahmen der Vertragsverhandlungen ein monatliches Grundgehalt von 3.500 Euro in der Einarbeitungszeit und ab dem 1.11.2017 eine zusätzliche, erfolgsabhängige Vergütung an. Die Klägerin akzeptierte das Angebot und vereinbarte daneben mit der Beklagten 20 Tage unbezahlte Freistellung pro Jahr. Ihr Kollege erhielt nach Vertragsverhandlungen für die Dauer der Einarbeitungszeit bis zum 31.10.2017 eine monatliche Grundvergütung von 4.500 Euro und vereinbarte zum 1.7.2018 außerdem eine Erhöhung monatlichen Grundentgelts bei gleichzeitiger Reduzierung der erfolgsabhängigen Vergütung. Die Klägerin und A haben als Vertriebsmitarbeiter dieselben Verantwortlichkeiten und Befugnisse.

Zum 1.8.2018 trat bei der Beklagten ein Haustarifvertrag in Kraft, der die Überführung der individuellen Entgelte der Beschäftigten in Entgeltgruppen vorsah, ferner eine gedeckelte Anpassung der Gehälter. Die Klägerin und A wurden in dieselbe tarifliche Entgeltgruppe überführt. Aufgrund der Deckelung wurde das Grundentgelt der Klägerin jedoch lediglich auf 3.620 Euro angehoben, das ihres Kollegen A aber auf 4.120 Euro.

Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin von der Beklagten die Zahlung weiterer Vergütung in Höhe des Unterschiedsbetrags und meint, ihr stehe hinsichtlich des Grundentgelts dieselbe Vergütung zu, wie sie A erhalten habe. Sie übe gleichwertige Tätigkeiten aus und werde durch die geringere Entlohnung wegen ihres Geschlechts diskriminiert. Die Deckelungsregel im Tarifvertrag sei unwirksam, soweit damit die rechtswidrige Entgeltdiskriminierung verfestigt werde. Außerdem verlangt die Klägerin eine angemessene Entschädigung für die erlittene Diskriminierung. Die Beklagte ist der Ansicht, die höhere Vergütung des A beruhe auf den mit ihm geführten Vertragsverhandlungen und sei im Rahmen der Vertragsfreiheit zulässig. Der Tarifvertrag sei geschlechtsneutral ausgestaltet und diskriminiere die Klägerin nicht. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen (zuletzt LAG Sachsen 3.9.2021 – 1 Sa 358/19).

Entscheidung des BAG

Das BAG hat jetzt am 16.2.2023 entschieden: Eine Frau hat Anspruch auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit, wenn der Arbeitgeber männlichen Kollegen aufgrund des Geschlechts ein höheres Entgelt zahlt. Daran ändert nichts, wenn der männliche Kollege ein höheres Entgelt fordert und der Arbeitgeber dieser Forderung nachgibt. Die Klägerin hat deshalb nicht nur Anspruch auf Nachzahlung von Arbeitsentgelt, sondern überdies Anspruch auf Entschädigung wegen geschlechtsbezogener Diskriminierung (§ 15 Abs. 2 AGG). Der Arbeitgeber konnte die gesetzliche Vermutung der geschlechtsbezogenen Diskriminierung (§ 22 Abs. 1 AGG) nicht widerlegen.

Bewertung und Einordnung

Das BAG-Urteil vom 16.2.2022 bedeutet eine klare Stärkung von Frauenrechten bei der Entlohnung im Arbeitsverhältnis. Arbeitgeber können die Vermutung einer geschlechtsbezogenen Diskriminierung nicht damit entkräften, ein männlicher Kollege habe besser verhandelt oder sei perspektivisch für eine Leitungsposition vorgesehen.

Vor kurzem hatte das BAG bereits zur Lohngleichheit bei Teilzeitbeschäftigung entschieden: Geringfügig Beschäftigte, die in Bezug auf Umfang und Lage der Arbeitszeit keinen Weisungen des Arbeitgebers unterliegen, jedoch Wünsche anmelden können, denen dieser allerdings nicht nachkommen muss, dürfen bei gleicher Qualifikation für die identische Tätigkeit keine geringere Stundenvergütung erhalten als vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer, die durch den Arbeitgeber verbindlich zur Arbeit eingeteilt werden (BAG v. 18.1.2023 – 5 AZR 108/22).

Auch nach den beiden jüngsten BAG-Entscheidungen gilt dennoch: Eine allgemein gültiges Anspruchsprinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ gibt es in der deutschen Arbeitsrechtsordnung nicht. Grundsätzlich können Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Rahmen der Vertragsfreiheit unter Beachtung zwingender gesetzlicher Vorgaben die Bedingungen des Arbeitsverhältnisses aushandeln.

Einschränkungen für die Entgelthöhe ergeben sich aber aus den Diskriminierungsverboten des AGG (§ 1 AGG) und des Entgelttransparenzgesetzes (§ 3 Abs.1 EntgTranspG). Auch bei Vorliegen eines gemäß § 5 TVG für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrags ist es dem Arbeitgeber verboten, durch einzelvertragliche Abreden von tariflichen Lohn- und Gehaltsregelungen zum Nachteil des Arbeitnehmers abzuweichen.

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