Fallen Prozesskosten für Klagen auf Rückabwicklung von freiwillig eingegangenen Online-Glücksspielverträgen – im konkreten Fall unter anderem zur Abwendung einer eventuellen Privatinsolvenz – unter das Abzugsverbot für Prozesskosten als außergewöhnliche Belastung nach § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG? So lautet eine Rechtsfrage, die der BFH in den Verfahren mit dem Az. VI R 10/25 beantworten muss. Vorausgegangen ist ein interessantes Verfahren vor dem Niedersächsischen FG (Urteil vom 10.6.2025, 13 K 157/24).
Der Sachverhalt:
Der Kläger hatte über 130.000 Euro bei Online-Glücksspielen verloren und sogar Kredite aufnehmen müssen, um seine Schulden begleichen zu können. Obendrein verlor er seine Arbeitsstelle und wurde arbeitsunfähig. Im Streitjahr 2023 erhielt er eine private Arbeitsunfähigkeitsrente und Krankengeld. Da sich offenbar in einiger Zeit eine Überschuldung abzeichnete, verklagte er die Wettanbieter. Seine Klagen waren zwar durchaus erfolgreich, weil die angebotenen Online-Glückspiele seinerzeit gesetzlich verboten waren. Doch durchsetzen konnte der Kläger seine Ansprüche nicht, da die Anbieter mit Sitz im Ausland bereits insolvent waren oder Berufung eingelegt haben. Der Kläger ist zumindest vorerst auf Prozesskosten von rund 14.500 Euro sitzen geblieben. Einen Abzug dieser Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen ließen weder das Finanzamt noch das FG zu.
Die Begründung:
Der Gesetzgeber wollte die Abzugsfähigkeit von Prozesskosten auf einen „engen Rahmen“ begrenzen. Daher hat er den Begriff „Gefahr des Verlustes der Existenzgrundlage“ ins Gesetz aufgenommen. Die dem Kläger entstandenen Prozesskosten sind keine Aufwendungen, ohne die er Gefahr liefe, seine Existenzgrundlage zu verlieren. Es ist zwar unbestreitbar, dass der Verlust des Arbeitsplatzes für den Kläger eine große Bedeutung hatte, zumal seine Erkrankung eine Wiedererlangung eines anderen Arbeitsplatzes auf unabsehbare Zeit unmöglich machte.
Allerdings erhielt der Kläger im Streitjahr 2023 eine Arbeitsunfähigkeitsrente und Krankengeld. Mit seinen Lebenshaltungskosten und den Raten für die Darlehen ist der Kläger im Streitjahr noch nicht in die Existenznot gerutscht. Soweit er längerfristig damit argumentiert, dass er in Zukunft nur Bürgergeld beziehen werde und dass die Rentenzahlungen nach 24 Monaten eingestellt werden würden, ist dies für die Beurteilung im Streitjahr irrelevant. Der gesetzliche Tatbestand des § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG enthält zwar auch ein prognostisches Element, weil das Merkmal des „Gefahrlaufens“ auch absehbare Entwicklungen einbezieht, die sich in dem Veranlagungszeitraum bereits konkret abzeichnen. Bloße Befürchtungen, dass sich die finanzielle Situation des Klägers in Zukunft verschlechtern werde, reichen aber nicht aus, um die „Gefahr des Verlusts der Existenzgrundlage“ zu bejahen. Das Prinzip der Abschnittsbesteuerung rechtfertigt die Annahme einer solchen Gefahr nur dann, wenn das „Gefahrlaufen“ in dem maßgeblichen Streitjahr bereits konkret erkennbar ist (Sichtweise ex ante).
Denkanstoß:
Ich bin gespannt, wie der BFH entscheiden wird. Letztlich läuft es – überspitzt – auf eine Frage hinaus: Gibt es überhaupt irgendeinen Anwendungsfall, in dem private Prozesskosten noch als außergewöhnliche Belastung abziehbar sind und eben nicht unter die Beschränkung des § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG fallen? Letztlich steht auch demjenigen, der alles verloren hat, immer noch Bürgergeld zu. Im Grunde genommen kann man seine wirtschaftliche Existenz in Deutschland gar nicht verlieren, wenn man das aktuelle Urteil mit etwas bösem Willen liest. Daher ist das Urteil für mich der Aufreger des Monats.
Übrigens, nur am Rande: Es war gerade das Niedersächsische FG, das in einem anderen Fall ausnahmsweise einmal die Prozesskosten zum Abzug zugelassen hat. Es ging dabei um eine drohende Rückabwicklung der unentgeltlichen Übertragung eines Forstbetriebes (FG Niedersachsen, Urteil vom 15.5.2024, 9 K 28/23, Revision VI R 22/24). Insofern wundert mich die harte Haltung des FG in dem aktuellen Fall.