Lehren aus dem Wirecard-Skandal für die Abschlussprüfung?

Der Skandal um Wirecard hat zu Recht vielfältige Diskussionen um etwaige Mängel in Aufsicht und Abschlussprüfung ausgelöst. Es ist aber wohlfeil, bereits vor einer Aufklärung der Ursachen für die späte Aufdeckung des Skandals diesen dennoch für eigene Argumentationsmuster zu verwenden. Dabei kommt schnell der Verdacht auf, den Wirecard-Fall argumentativ für die Stützung der eigenen Ideologie zu nutzen. Nicht anders zu verstehen sind manche Vorschläge, die durchaus auch aus dem akademischen Bereich kommen.

Konkret gefragt: Sollte wegen Wirecard die Mandatierung von Abschlussprüfungsleistungen künftig auf eine staatliche Stelle oder auf eine vom Staat mit der entsprechenden Kompetenz ausgestattete zentrale Stelle verlagert werden?

Derzeit werden im Zusammenhang mit dem Wirecard-Skandal zahlreiche schon länger im Raum stehende Kritikpunkte an der und Vorschläge für die Abschlussprüfung aus der Kiste geholt und erneut ventiliert. Unter anderem wird kritisiert, die zu prüfenden Mandanten könnten sich ihre Prüfer selbst aussuchen. Wenn eine staatliche Stelle oder eine mit der Aufgabe beliehene zentrale Stelle für die Mandatierung verantwortlich sei, wäre die Unabhängigkeit des Prüfers eher gewahrt.

Das Ganze erinnert ein wenig an den aktuellen Mainstream, für alle Probleme die Lösung im staatlich kontrollierten Bereich zu suchen. Nur machen wir uns doch nichts vor: Wo „der Staat“ seine Finger drin hat, läuft es mitnichten immer gut oder auch nur besser. Hierzu ein kleines Ratespiel:

  • Welches Unternehmen der Automobilindustrie stand etwa in den letzten Jahren für sogenannte „Abgasmanipulationen“ besonders am Pranger und welche Vertreter des beteiligten Bundeslandes saßen und sitzen dort im Aufsichtsrat und waren damit für die mangelnden Kontrollstrukturen und die fragwürdige Integrität im Unternehmen mitverantwortlich?
  • An welchem Telekommunikationsunternehmen ist noch einmal „der Staat“ (indirekt) beteiligt? Und welche „staatlichen“ Aufsichtsratsmitglieder sind mitverantwortlich dafür, dass man dort einen Vorstandsvorsitzenden gekürt hat, der sich als früherer Finanzvorstand bei einer Tagung damit gebrüstet hatte, bei der Auswahl des Abschlussprüfers mitgewirkt zu haben, der ihm jederzeit zur Verfügung zu stehen habe?
  • Welcher Teil des deutschen Bankensektors war besonders tief in die Finanzkrise (Subprimekrise) verstrickt? Und woher kommen die Aufsichtsräte, die für die Bestellung der Vorstandsmitglieder verantwortlich zeichnen und für die Kontrollstrukturen und die Unternehmensintegrität mitverantwortlich waren?
  • Welche staatlichen oder zentralen Stellen stehen im Zusammenhang mit dem Wirecard-Skandal gerade in der Kritik und wieso hat es Wirecard geschafft, die Politik als „Promotor“ zu gewinnen?
  • Was wäre nach der Lebenserfahrung zu erwarten, wenn Wirtschaftsprüfer bei einer staatlichen oder zentralen Stelle um Aufträge „buhlen“ müssen? Das wäre im Übrigen in den Bereichen, wo es dies schon gibt, etwa bei Aufträgen der BaFin, ein interessantes wissenschaftliches Untersuchungsobjekt.
  • Was würde es für das Verhältnis zwischen Abschlussprüfer und Mandant bedeuten, wenn der Abschlussprüfer als von außen hereingezwungene Kontrollinstanz empfunden würde? Gäbe es dann noch das durch die Verschwiegenheitspflichten des Abschlussprüfers geschützte Vertrauensverhältnis, das den Mandanten vielfach dazu bringt, bilanzielle Probleme proaktiv mit dem Prüfer zu erörtern?

Um die Leser des Blogs nicht zu langweilen, will ich das Quiz nicht endlos fortsetzen. Generell ist festzuhalten, dass Wirecard aufgeklärt werden muss. Auch und gerade die Rolle des langjährigen Abschlussprüfers muss dabei im Fokus stehen. Das hatte ich bereits zu Beginn der Diskussion im Blog adressiert. Selbst wenn sich der Verdacht von Mängeln bei der Prüfung der Wirecard-Abschlüsse aufdrängt, sind seriöse Folgerungen erst nach einer Feststellung der Mängel möglich.

Am System zu rütteln, ist dann gerechtfertigt, wenn Systemfehler als Ursache sichtbar werden. Sollte ein individuelles Fehlverhalten des betroffenen Abschlussprüfers vorliegen, das nicht aus einem Systemfehler resultiert, ist das berufsrechtlich zu sanktionieren, ohne gleich wieder das ganze System in Frage zu stellen. Einzelfälle, auch mehrere Einzelfälle, von Fehlern bei der Abschlussprüfung sind letztlich unvermeidlich. Insoweit sollte der „Arbeitskreis Bilanzrecht Hochschullehrer Rechtswissenschaften“ mit seinem Sprecher Hennrichs seine Vorschläge (Wird der Prüfer bald zugeteilt?, FAZ v. 10.8.2020) durchdenken. Dabei wäre wissenschaftlich zu belegen, dass eine staatlich kontrollierte Mandatierung von Abschlussprüfern überlegen wäre. Mir ist bisher keine belastbare wissenschaftliche Studie aus der Prüfungsforschung bekannt, die eine solche Maßnahme rechtfertigen könnte. Mit Lösungsvorschlägen im Zusammenhang mit Wirecard vorzupreschen, ohne das konkrete Problem hinreichend analysiert oder überhaupt identifiziert zu haben, wirft durchaus die Frage nach wissenschaftlicher Seriosität auf.

Selbst bin ich der Letzte, der Probleme im Berufsstand abstreitet. Nur scheinen mir die Probleme losgelöst vom Wirecard-Fall ganz woanders zu liegen, was sich eher aus beruflicher Lebenserfahrung und einem Grundverständnis von Institutionen, denn wissenschaftlicher Forschung im konkreten Fall erklären lässt:

  • Welchen Stellenwert hat die Prüfung denn überhaupt noch in den Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die einen großen Teil ihres Umsatzes und Gewinns mit Beratungsleistungen einschl. Steuerberatung erzielen?
  • Welche Auswirkungen auf das Selbstverständnis des Abschlussprüfers hat es, wenn die Prüfung nur noch ein Anhängsel mit mageren Margen darstellt?
  • Wie ist zu erreichen, dass im Hinblick auf die mit der Abschlussprüfung verbundene Komplexität und die Anforderungen angemessene Margen zu erzielen sind? Müssen Abschlussprüfungen nicht viel teurer sein?
  • Wie bekommt man den Regulierungs-Overload weg, mit dem kaum bessere Abschlussprüfungen zu erreichen sind, der aber für die eigentliche Prüfung erforderliche Kapazitäten bindet?

Ohne wissenschaftlichen Anspruch an dieser Stelle habe ich entgegen dem Berufsstand schon lange große Sympathie für den Vorschlag, die Prüfung i.S. von audit only firms vollständig zu verselbständigen. Das scheint mir die Grundvoraussetzung für eine gesunde Berufsauffassung. Dies weiter zu begründen und zu diskutieren, würde aber den Rahmen dieses Blogs sprengen.

Lesen Sie auch meinem Beitrag im Blog:
Wirecard – Kann der Abschlussprüfer eine Mitschuld tragen?

Weitere Informationen:
Wird der Prüfer bald zugeteilt? (FAZ v. 10.8.2020, S. 16)
Die Beratung darf die Prüfung nicht dominieren (Lenz in FAZ v. 10.8.2020, S. 16)
NWB Online-Nachricht vom 12.08.2020

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