Organschaft: Misstöne zwischen V. und XI. Senat?

Die Nachfolgeentscheidung des BFH zum viel diskutierten Larentia+Minerva-Verfahren ist da. In Sachen Holding übernimmt der XI. Senat ohne großes Palaver die EuGH-Aussagen. Doch in puncto Organschaft behält man sich gegenüber dem V. BFH-Senat offenbar ein Mitspracherecht bei der Deutungshoheit vor. Gibt es noch eine (zweite) Überraschung beim Thema Tochterpersonengesellschaft?

Man hat ein wenig das Gefühl, dass der XI. Senat die brisanten Aussagen seiner Entscheidung in einem überlangen Text verstecken wollte. Zwischen den Abschnitten des etwa 30 %-igen copy-and-paste-Anteils finden sich bei genauerem Hinsehen dann aber doch interessante Grundsätze.

Nicht so wirklich überraschend sind zunächst die Passagen zum Holding-Komplex. Die grundsätzliche Vorsteuerabzugsberechtigung einer geschäftsführenden Holding ohne künstliche Aufteilung auf einen nichtwirtschaftlichen Bereich hatte der EuGH recht eindeutig vorgegeben. Ein letzter verzweifelter „Strohhalmgriff“ des beklagten Finanzamts konnten die Richter zügig abbügeln. Bezeichnend ist insoweit auch, dass das beigetretene BMF hierzu schon gar nichts mehr vortrug.

Verhältnismäßig langatmig wirken die Ausführungen zum Thema Kapitalüberlassung an die Tochtergesellschaften und Banken. Die Erkenntnis, dass eine Haupttätigkeit keinen Hilfsumsatz darstellen kann, ist üblicherweise keine Feststellung, die ein Bundesgericht trifft. Ursächlich war hier die nicht abschließend tragfähige Rechtsmeinung der Vorinstanz. Nicht verkneifen kann sich der Senat eine kleine Spitze in Richtung Finanzverwaltung, wenn er von der „rechtzeitig“ erklärten Option gemäß § 9 UStG spricht.

Richtig interessant wird das Urteil im hinteren Teil. Denn der XI. Senat schließt sich (vorerst) nicht der jüngsten Entscheidung des V. Senat an, der die Eignung von Personengesellschaften als Organtöchter auf Eigen-Personengesellschaften beschränkt. Der XI. Senat geht hingegen davon aus, dass eine GmbH & Co. KG generell eine Organgesellschaft sein könne. Erforderlich sei, dass die Komplementär-GmbH „dem Willen des Organträgers“ unterworfen ist. Damit dürfte wiederum gemeint sein, dass die Komplementär-GmbH selbst Organmitglied ist. Den weiteren Einschränkungen – keine Gesellschafter außerhalb des Organkreises – folgt der XI. Senat hingegen nicht.

Und nun? Die unterschiedliche Interpretation durch die beiden Umsatzsteuer-Senate wird wohl eine Weile lang Verwirrung stiften. Vor allem die beiden Finanzgerichte in Hamburg und München, welche die vom V. und XI. Senat wieder heruntergegebenen Fälle nachverhandeln, werden sich freuen. In Hamburg stellt sich noch das Sonderproblem, dass weder der Kläger, noch das beklagte Finanzamt ein echtes Interesse an der Organschaft zu haben scheinen. Da wäre es keine große Überraschung, wenn das Verfahren in der Unterinstanz abgeschlossen wird. Im Verfahren des V. Senat hingegen wird die Organschaft wohl auch nach der engeren Auffassung bejaht werden. Dann müsste worst case tatsächlich noch ein neues Verfahren nach oben gebracht werden, um die unterschiedlichen Ansätze der beiden Umsatzsteuersenate zusammen zu bringen. Und über Jahre hinweg wäre unklar, wann eine Tochterpersonengesellschaft Organmitglied sein kann. Immerhin: bleiben beide Senate bei ihrer Meinung, entscheidet (irgendwann) der Große Senat – soweit ersichtlich – erstmalig zu einer Umsatzsteuerfrage. Keine leichte Aufgabe, denn vertretbar erscheinen beide Meinungen.

4 Gedanken zu “Organschaft: Misstöne zwischen V. und XI. Senat?

  1. Die „Meinungen“ der beiden Senate sind m.E. nicht konträr, sondern eher komplementär.

    Für die Praxis lässt sich festhalten:

    Organgesellschaften können laut BFH sein:
    1. Juristische Personen
    2. GmbH & Co. KGs
    3. Andere Personengesellschaften, an denen ausschließlich der Organträger oder vom diesem beherrschte Gesellschaften beteiligt sind.

    So ließe es sich auch in eine Verwaltungsanweisung oder in das Gesetz schreiben.

    • So sieht es ja auch der XI. Senat: kein WIderspruch zwischen beiden Entscheidungen. Im Detail gibt es allerdings einen Unterschied: Was passiert mit einer GmbH & Co. KG, welche die dritte Bedingungen nicht erfüllt (keine Eigen-Personengesellschaft)? Der XI. Senat nimmt sie in die Organschaft auf, der V. Senat nicht. Das ist ein Widerspruch. Ob das in der Praxis spürbare Auswirkungen hat, bleibt derweil eine ganz andere Frage.

  2. Die Bedingungen sind keineswegs als additiv zu verstehen. Die Senate haben Einzelfälle entschieden. Meines Erachtens ließe sich durchaus ein „oder-Katalog“ wie oben geschrieben in das Gesetz aufnehmen, denn die Senate haben nicht ausgeführt, dass die jeweils andere Begründung der Organschaftsrecht ausschließlich unter der jeweils von ihnen aufgestellten Bedingung möglich sei; im Gegenteil: dazu kein Wort. Die Kriterien müssen nicht additiv vorliegen, eine Reicht aus. Der Gesetzgeber kann – wenn er will – beide Begründungen nebeneinander zulassen. Er würde damit Praktikabilität erhöhen und Rechtssicherheit schaffen, darauf kommt es an.

    • Da kommen wir nicht mehr zusammen. Vielleicht lesen wir ja demnächst von BFH-Richter Wäger eine erhellende Stellungnahme. Ich werde dann berichten.

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