Rentendoppelbesteuerung (Teil 3): Konzeption der Übergangsphase – BFH entscheidet gegen den Wortlaut!

Die Rechtsprechung des BFH zur Ausgestaltung der Vergleichs- und Prognoserechnung zur Feststellung einer etwaigen Doppelbesteuerung beruht darauf, dass bereits in der Übergangsphase des Wechsels von der (verfassungswidrigen) Ertragsanteils- auf die (nachgelagerte) Vollbesteuerung der „Zufluss“ der Rente besteuert wird, abzüglich eines steuerfreien Teils zur Vermeidung der Doppelbesteuerung.

Diese Auffassung widerspricht jedoch Entstehungsgeschichte und Wortlaut des AltEinkG, wonach der Besteuerungsanteil in der Übergangsphase als Kombination von Voll- und Ertragsanteilsbesteuerung konzipiert ist. Nach dieser Maßgabe ist auch die Vergleichs- und Prognoserechnung auszugestalten.

Rechtsprechung des BFH

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH (grundlegend bereits BFH vom 04.02.2010, X R 52/08; ferner X R 53/08 vom 19.01.2010; X R 44/14 vom 21.06.2016; zuletzt BFH-Urteil vom 19.05.2021, X R 33/19) sollen gemäß § 22 Nr. 1 S. 3 Buchstabe a) Doppelbuchstabe aa) EStG die tatsächlichen Rentenzuflüsse das steuerbare Einkommen darstellen.

Lt. BFH hat der Gesetzgeber das System zum 01.01.2005 grundlegend umgestellt. Die Vermeidung der Doppelbesteuerung erfolgt durch einen festen steuerfreien Betrag; nicht aber durch eine Fortführung der – verfassungswidrigen – Ertragsanteilsbesteuerung.

Das bedeutet im Ergebnis nichts anderes, als dass nach Auffassung des BFH der Systemwechsel – unter Berücksichtigung des Verbots der Doppelbesteuerung – bereits mit dem Inkrafttreten des AltEinkG am 01.01.2005 vollzogen wurde.

Demgegenüber hat sich das BVerfG so geäußert, dass die Übergangsphase gerade dazu dient, die Systemumstellung nach und nach zu vollziehen, und die schrittweise Überführung von einem verfassungswidrigen in ein verfassungskonformes System darstellt (BVerG-Beschlüsse vom 14.06.2016, 2 BvR 290/10, 2 BvR 323/10).

Die Auffassung des BFH steht auch im Widerspruch zur Entstehungsgeschichte des AltEinkG, zum Wortlaut des § 22 Nr. S. 3 EStG und zur entsprechenden folgerichtigen Behandlung der Werbungskosten und der altersspezifischen Vergünstigungen (s. nachfolgender Exkurs).

Exkurs: Entstehungsgeschichte des AltEinkG

Die nach dem „Rentenurteil“ des BVerfG vom 06.03.2002 eingesetzte Sachverständigenkommission unter Leitung von Prof. Bert Rürup erläutert in ihrem Abschlussbericht vom 11.03.2003 unter Punkt XIII. 3. (S. 67 ff.), dass der Arbeitnehmerpauschbetrag (§ 9a S. 1 Nr. 1 EStG) für Pensionsempfänger sowie der Versorgungsfreibetrag (§ 19 Abs. 2 EStG) und der Altersentlastungsbetrag (§ 24a EStG) ihre Rechtfertigung verlieren, wenn im Endzustand die Renten zu 100% nachgelagert besteuert werden. In dem Maße, in dem die Besteuerung der Leibrenten und Pensionen angeglichen wird, entfällt die Rechtfertigung für diese Beträge, die zum Ausgleich der Ungleichbehandlung zwischen Renten und Pensionen eingeführt wurden.

Entsprechend schlägt die Kommission vor, diese Beträge von 2005 bis 2040 bis auf Null abzuschmelzen. Etwa zum Versorgungsfreibetrag heißt es im Abschlussbericht:

Der Versorgungs-Freibetrag muss grundsätzlich im gleichen Maße abgeschmolzen werden, denn die gleichheitswidrige Begünstigung der Renten bei deren Besteuerung verringert sich mit jedem Jahr und damit auch der Bedarf, bei den Beamtenpensionen im bisherigen Umfang auszugleichen.“

Und:

Die angestrebte Umstellung innerhalb von 35 Jahren bedeutet allerdings eine Fortführung der unterschiedlichen Besteuerung von Renten und Pensionen über einen sehr langen Zeitraum, obwohl das Verfassungsgericht die Korrektur dieser unterschiedlichen Besteuerung über den Versorgungs-Freibetrag nicht als ausreichend angesehen hat.“.

Die Kommission geht also von einer Fortdauer und einem stufenweisen Abbau der gleichheitswidrigen Ertragsanteilsbesteuerung in der Übergangsphase aus. Denn schließlich sind die Besteuerungsformen vor- oder nachgelagert für sich genommen nicht gleichheitswidrig, sondern nur die Besteuerungsformen Ertragsanteils- und Vollbesteuerung (ohne Kapitalrückzahlungsanteile). Nur letztere unterschieden sich wirtschaftlich, nämlich darin, dass bei der Ertragsanteilsbesteuerung die Wertsteigerungen in der Einzahlungsphase nicht steuerbar waren.

Denn wenn die anteilige Ertragsanteilsbesteuerung während der Übergangsphase nicht gelten sollte, dann bedeutete das, dass die gleichheitswidrige Besteuerung unmittelbar mit dem Inkrafttreten des AltEinkG abgeschafft würde. Dann aber gäbe es keine Rechtfertigung für ein nur stufenweises Abschmelzen des Arbeitnehmerpauschbetrages für Pensionsempfänger sowie des Versorgungsfreibetrages und des Altersentlastungsbetrages. Im Gegenteil ergäbe sich nunmehr eine gleichheitswidrige Besteuerung in der Übergangsphase zu Lasten der Leibrentenempfänger.

Die Gesetzesbegründung (Bt-Drs. 15/2150 v. 09.12.2003) übernimmt diese Wertungen der Sachverständigenkommission. Dort wird ausgeführt, dass es allerdings sachgerecht wäre, Rentenbezüge aufzuteilen in einen Teil, der nachgelagert besteuert wird (nach der Übergangstabelle des § 22 Nr. 1 Satz 3 a) aa) EStG) und einen Teil, der der Ertragsanteilsbesteuerung (nach § 22 Nr.1 Satz 3 a) bb) EStG) unterliegt. Das hätte jedoch eine erhebliche Komplizierung des Besteuerungsverfahrens zur Folge. Aus Vereinfachungsgründen, eben um diese Aufteilung zu vermeiden, erfolgt die Besteuerung pauschal nach Doppelbuchstabe aa). 

Die Gesetzesbegründung geht demnach nicht davon aus, dass ab dem 01.01.2005 eine Vollbesteuerung vorliegt (unter Berücksichtigung des Verbots der Doppelbesteuerung), sondern in der Übergangsphase eine kombinierte Voll- und Ertragsanteilsbesteuerung. Die Besteuerungsanteile stellen danach einen Mischsatz dar aus dem der Vollbesteuerung unterliegenden Anteils des Rentenzuflusses (100 % für die aus steuerbegünstigten Altersvorsorgebeiträgen resultierenden Rentenzuflüsse), und dem Ertragsanteil für die aus nicht steuerbegünstigten Altersvorsorgebeiträgen resultierenden Zuflüsse.

Wortlaut des AltEinkG

Der Gesetzgeber hat seine Absicht des langsamen Abbaus der Ertragsanteilsbesteuerung in der Übergangsphase dann durch den Wortlaut des § 22 Nr. 1 S. 3 EStG folgerichtig umgesetzt.

Danach gehören Leibrenten zu den Einkünften, soweit sie der Besteuerung unterliegen. Der der Besteuerung unterliegende Anteil ergibt sich aus der Tabelle des § 22 Nr. 1 S. 3 a) aa). Folglich gilt als Einnahme eben nicht der Zufluss, sondern der Zufluss abzüglich des steuerfreien Teils der Rente.

Somit liegt während der Übergangszeit keine Vollbesteuerung (unter Berücksichtigung des Verbots der Doppelbesteuerung) vor, sondern ein Ineinandergreifen von zwei Systemen. Die Übergangsphase dient dazu, den Systemwechsel nach und nach zu vollziehen.

Gem. des Wortlauts des § 22 Nr. 1 S. 3 wird nicht der Rentenzufluss besteuert. Der Besteuerungsanteil ist vielmehr ein Mischsatz aus Voll- und Ertragsanteilsbesteuerung.

Der Zuflussbetrag bleibt der Ermittlung der Einkünfte unberücksichtigt. Er dient lediglich als Bemessungsgrundlage für den der Besteuerung unterliegenden Anteil der Rente. Der Zuflussbetrag hat somit nur eine rechnerische, aber keine im System der Einkünfteermittlung eigenständige steuerliche Bedeutung.

Damit hat der Gesetzgeber seine in der Gesetzesbegründung bekundete Auffassung folgerichtig umgesetzt. Hätte der Gesetzgeber eine Vollbesteuerung „von Anfang an“ normieren wollen, so hätte er dies ohne weiteres tun können:

Der jetzige steuerfreie Zuflussanteil hätte lediglich als Steuerfreibetrag, etwa analog zum Steuerfreibetrag des § 16 Abs. 4 EStG, ausgestaltet werden müssen, dann wäre er im Rahmen der Einkünfteermittlung zu berücksichtigen gewesen. Dann würde auch der Werbungskostenabzug keine Zweifelsfragen aufwerfen.

Der Gesetzgeber hat sich aber für ein Nebeneinander von Voll- und Ertragsanteilsbesteuerung in der Übergangsphase entschieden!

Die Besteuerungsanteile des § 22 Nr. 1 S. 3 a) aa) stellen nach dem Willen des Gesetzgebers einen Mischsatz aus Voll- und Ertragsanteilsbesteuerung dar. Der Vollbesteuerung unterliegen die in der Erwerbsphase voll abziehbaren Altersvorsorgebeiträge, die nicht abziehbaren der Ertragsanteilsbesteuerung. Es ist mithin das Korrespondenzprinzip anzuwenden. Der anteilige Zuflussbetrag, der der Ertragsanteilsbesteuerung unterliegt, ist selbst als Kapitalrückzahlung nicht steuerbar.

Auch in der Kontrollrechnung zur Feststellung einer etwaigen Doppelbesteuerung sind deshalb die anteiligen Rückflüsse, die der Ertragsanteilsbesteuerung unterliegen, nicht anzusetzen, sondern von vorne herein auszusondern.

Die sachgerechte Auslegung des Begriffs der Doppelbesteuerung erfordert eine Eliminierung der nicht steuerbaren Rentenzuflüsse.

Rechnerisch ist dies leicht und einfach möglich. Es muss nicht mit absoluten Zahlen gerechnet werden, sondern lediglich der prozentuale Anteil der steuerwirksamen Altersvorsorgebeiträge festgestellt werden. Dieser Anteil stellt den Schwellenwert dar, der mit dem Besteuerungsanteil des  § 22 Nr. 1 S. 3 aa) EStG zu vergleichen ist. Liegt der Besteuerungsanteil über dem Schwellenwert, liegt Doppelbesteuerung vor.

Fazit

Der BFH hat sich bislang nicht mit Wortlaut und Entstehungsgeschichte des AltEinkG auseinandergesetzt. Das ist aber erforderlich, um die Vergleichs- und Prognoserechnung sachgerecht ausgestalten zu können. Insofern wird sich der BFH korrigieren müssen.

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