Risikovorsorge: Wenn Banken schlechte Zeiten schönrechnen

Wenn die Konjunktur lahmt und der Immobilienmarkt schwächelt, wird es für Banken spannend – zumindest bilanziell. Denn in der Risikovorsorge steckt mehr als nur ein Schutzschirm für mögliche Kreditausfälle. Richtig eingesetzt, lässt sich damit sogar die eine oder andere Zahl glattbügeln. Wie das funktioniert? Ein Blick in die Bilanz zeigt, was möglich ist.

Risikovorsorge – mehr als nur ein Sicherheitsnetz

Die Risikovorsorge soll Banken widerstandsfähiger machen. Sie dient dazu, erwartete Verluste aus Krediten frühzeitig zu erfassen – nach dem Motto: besser vorbereitet als überrascht. Die Instrumente dafür sind vielfältig: Einzelwertberichtigungen, Pauschalwertberichtigungen, Rückstellungen. Und unter IFRS seit einigen Jahren: die erwarteten Kreditverluste (Expected Credit Losses, kurz ECL).

Die ECL-Regelung verpflichtet Banken, nicht erst bei konkreten Ausfällen, sondern bereits bei Anzeichen einer Bonitätsverschlechterung vorsorglich Verluste zu erfassen. Je nach Risikostufe des Kredits müssen sie entweder die erwarteten Verluste innerhalb von zwölf Monaten oder – bei signifikant gestiegenem Risiko – sogar über die gesamte Laufzeit berücksichtigen. Das bringt mehr Transparenz – aber auch neue Ermessensspielräume.

Was dabei oft vergessen wird: Die Risikovorsorge ist nicht nur ein Frühwarnsystem – sie ist auch ein bilanzielles Steuerungselement. Wer in guten Zeiten kräftig vorsorgt, kann in schlechten Jahren wieder auflösen – und so den Gewinn stabilisieren oder gar aufhübschen.

Spielräume bei der Bildung und Auflösung – Bilanzkosmetik inklusive

Die Crux: Die Bewertungsspielräume sind groß. Wie wahrscheinlich ist ein Kreditausfall? Wie hoch wäre der Verlust im Ernstfall? Und wie entwickeln sich Immobilienwerte als Kreditsicherheiten – insbesondere im Gewerbesektor?

Ein aktuelles Beispiel: Einige Banken haben in den letzten Jahren hohe Kredite für Büroimmobilien vergeben. Mit steigenden Zinsen und sinkender Nachfrage geraten diese Engagements nun unter Druck. Trotzdem zeigt sich in vielen Bilanzen erstaunlich wenig Bewegung bei den Risikovorsorgen. Warum? Weil Banken auf eine Werterholung hoffen – oder schlicht noch nicht alle Risiken offenlegen wollen.

Ein Blick in die Geschäftsberichte offenbart: Während einige Institute ihre Risikovorsorge für Immobilienfinanzierungen bereits erhöht haben, halten andere diese konstant – trotz identischer Marktbedingungen. Ein Beispiel: Die Deutsche Pfandbriefbank (pbb) musste 2023 ihre Vorsorge im Gewerbeimmobilienbereich spürbar anheben – unter anderem wegen Engagements in den USA. Andere Banken mit ähnlicher Struktur blieben dagegen zurückhaltend.

Die Folge: Der Gewinn fällt mal höher, mal niedriger aus – je nachdem, wie aktiv oder passiv die Risikovorsorge eingesetzt wird. Das hat wenig mit Manipulation zu tun, aber viel mit Gestaltungsspielraum.

Was das für Anleger bedeutet – ein Blick hinter die Kulissen

Für Anleger heißt das: Bei Bankbilanzen lohnt sich der zweite Blick. Gerade bei Instituten mit starkem Engagement im Immobiliensektor ist die Frage entscheidend: Ist die Risikovorsorge realistisch oder eher optimistisch kalkuliert?

Ein hoher Gewinn klingt zwar gut – kann aber auch ein Warnsignal sein, wenn im Hintergrund Risiken schlummern, die (noch) nicht bilanziell erfasst sind. Und: Eine überraschend hohe Auflösung von Vorsorgen kann genauso kritisch sein wie ein plötzlicher Anstieg – beides sind Zeichen für das, was Banken zwischen den Zeilen mitteilen.

Die Risikovorsorge ist kein starres Konstrukt, sondern ein beweglicher Hebel – und genau deshalb so interessant. Für Anleger, Aufsichtsräte und Analysten gilt: Wer verstehen will, wie stabil eine Bank wirklich ist, sollte hier genau hinschauen. Denn nicht immer ist die schönste Zahl auch die ehrlichste.

Weitere Informationen:
Deutschepfandbriefbank, Geschäftsbericht 2023 (pdf)

 

Ein Beitrag von:

  • Dr. Carola Rinker

    • Diplom-Volkswirtin und Unternehmensberaterin
    • Erstellung von (Gerichts-)Gutachten, Stellungnahmen und Analysen zu Bilanzierungssachverhalten
    • Fachbuchautorin
    • Anhörung als Sachverständige im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Wirecard Skandal des Deutschen Bundestages und im Finanzausschuss zum FISG
    • Mehr unter carolarinker.de

    Warum blogge ich hier?
    Aus Interesse an den Themen. Aus Spaß. Aus Netzwerk-Gründen. Als Ergänzung zu meiner Arbeit als Unternehmensberaterin und meinen Lehrveranstaltungen ist das Bloggen wunderbar geeignet. Ein Blog bietet die Möglichkeit, sich in einzelne Themen zu vertiefen – und sich anschließend mit Lesern darüber auszutauschen. Da jedes Jahr neue Jahresabschlüsse von Unternehmen vorgelegt werden und sich die Regeln der Bilanzierung ständig ändern, wird mir der Stoff nie ausgehen.

Kommentare zu diesem Beitrag:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

− 5 = 5

ARCHIV

Archive