Die geplante Anzeigepflicht für Steuergestaltungen lässt mich nicht ruhen. Unabhängig davon, dass sie die Freiheit unseres Berufsstandes massiv beschneiden wird, ärgert mich, dass wir Steuerberater nun für ein kollektives Staatsversagen in Haftung genommen werden. Zumindest in Deutschland führten nämlich die so genannten Cum-Cum- oder Cum-Ex-Geschäfte zum Dammbruch.
Die Modelle wurden im Wesentlichen in den Jahren 2001 bis 2011, teils noch bis 2015, durchgeführt und haben die deutsche Steuerkasse wohl mehr als 30 Milliarden Euro gekostet. Doch wie konnte es dazu kommen, dass solche Cum-Ex-Geschäfte und Cum-Cum-Geschäfte mehr als 10 Jahre lang nicht unterbunden wurden? Wie konnte es sein, dass das Bundesfinanzministerium, die Landesfinanzministerien, die Politik und die Bundesanstalt für Finanzaufsicht den massiv auftretenden Missbrauch durch Banken nicht bemerkten? Für diesen Skandal sind viele Akteure, nicht zuletzt die jeweiligen Bundesfinanzminister, verantwortlich. Und anstatt die Verantwortung dafür auf sich zu nehmen, werden nun alle Steuerberater in Deutschland verpflichtet, Steuergestaltungen flächendeckend anzuzeigen.
Mein sehr geschätzter Kollege Peter Kauth hat in einem Editorial für den Steuerrat24 vor einigen Monaten zu dem Drama rund um die Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäfte Stellung genommen. Hier einige Auszüge bezüglich der Frage der Verantwortung:
- Der Bundesfinanzhof:
Ein Grundsatzurteil des BFH aus dem Jahre 1999, in dem es um das wirtschaftliche Eigentum an Aktien ging, die man noch gar nicht besitzt, war der Grundstein für die Cum-Ex-Geschäfte. Demnach war eine mehrfache Steuererstattung nur möglich, weil ein und dieselbe Aktie, für die nur einmal Kapitalertragsteuer gezahlt wurde, gleichzeitig mehreren Eigentümern zugerechnet wurde (BFH-Urteil vom 15.12.1999, I R 29/97). Der BFH hätte den Missbrauch durchaus von vornherein unterbinden können. - Die rot-grüne Bundesregierung mit SPD-Finanzminister Hans Eichel (1999 bis 2005):
Im Jahre 2002 wurde eine Unternehmensteuerreform verabschiedet und dabei irgendwo im Gesetz ein kleines Schlupfloch bei der Kapitalertragsteuer übersehen. Im Dezember 2002 wies der Bankenverband in einem Schreiben auf die Lücke hin, doch Minister Eichel unternahm nichts. - Die schwarz-rote Bundesregierung mit SPD-Finanzminister Steinbrück (2005 bis 2009):
Steinbrück verantwortet das Jahressteuergesetz 2007, das endlich die Cum-Ex-Geschäfte beenden sollte. Die schlampig formulierte Gesetzesänderung machte jedoch die seit langem faktisch bestehende Lücke nun als Gesetzeslücke deutlich und damit die Geschäfte scheinbar rechtmäßig. Mit ihrem Vorgehen hat das BMF die Banken geradezu ermutigt, ihre Geschäfte über ausländische Banken abzuwickeln und hat so die milliardenschweren Steuerausfälle provoziert. - Die schwarz-gelbe Bundesregierung mit CDU-Finanzminister Schäuble (2009 bis 2013):
Schäuble brauchte nach Amtsantritt immerhin noch zwei Jahre, um das Steuerschlupfloch für Cum-Ex-Geschäfte mit dem OGAW-IV-Umsetzungsgesetz zum 1.1.2012 zu schließen.
Ein Beitrag von:
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- Steuerberater in Herten/Westf. (www.herold-steuerrat.de)
- Autor zahlreicher Fachbeiträge
- Mitglied im Steuerrechtsausschuss des Steuerberaterverbandes Westfalen-Lippe
Warum blogge ich hier?
Als verantwortlicher Redakteur und Programmleiter zahlreicher Steuerfachzeitschriften, meiner früheren Tätigkeit in der Finanzverwaltung und meiner über 25-jährigen Arbeit als Steuerberater lerne ich das Steuerrecht sowohl aus theoretischer als auch aus praktischer Sicht kennen. Es reizt mich, die Erfahrungen, die sich aus dieser Kombination ergeben, mit den Nutzern des Blogs zu teilen und freue mich auf viele Rückmeldungen.
2 Antworten
Sorry, aber dass der BFH da 1999 irgendeinen Grundstein gelegt hätte, ist eine Mär der cum/ex-Apologeten.
Mit Leerverkäufen, um die es bei cum/ex geht, hat das Urteil überhaupt nichts zu tun. Sondern der Aktieninhaber hat die Aktie selbst veräußert. Ganz klar ergibt sich das in Rdnr. 40, der Verkäufer muss auch den Besitz verschaffen, damit wirtschaftliches Eigentum begründet wird, und das kann der Leerverkäufer nicht.
Steuergestalter haben das so hininterpretiert, dass es mehrfaches wirtschaftliches Eigentum des Eigentümers, des Leerverkäufers und des Erwebers gibt (nach deren These könnte daher ein- und dieselbe Aktie sogar hundertmal weiterverliehen oder leerverkauft werden und es gäbe dann 100 KESt-Bescheinigungen).
Und die problematischen Fälle sind die, bei denen man systematisch und planmäßig zwischen wirtschaftlich verflochtenen „Beuteteilern“ die Aktien hin- und hergeschoben hat.
Das „Goldfinger-Modell“ und das aktuelle Verfahren wegen möglicher Scheinfirmen dürfte bei der Anzeigepflicht ebenfalls eine Rolle spielen.
Ich möchte im Nachgang zu meinem Blog-Beitrag noch auf folgende Fundstellen hinweisen:
> Spengel, Sachverständigengutachten nach § 28 PUAG für den 4. Untersuchungsausschuss der 18. Wahlperiode (https://www.bundestag.de/blob/438666/15d27facf097da2d56213e8a09e27008/sv2_spengel-data.pdf )
> – 4. Untersuchungsausschuss Cum/Ex, NWB Nr. 40 vom 04.10.2016 Seite 3009, JAAAF-82863