Update Finanzamtszinsen – Keine Anpassung in Sicht

Die Regierungspolitik bleibt stur: Auch am 17.10.2020 hat es der Bundestag im Rahmen der Beschlussfassung abgelehnt, den Zinssatz nach § 238 Abs. 1 AO endlich anzupassen.

Hintergrund

Derzeit werden bei der Verzinsung von Steuernachforderungen 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, indem die Steuer entstanden ist, monatlich 0,5 Prozent Zinsen erhoben; im umgekehrten Fall einer Steuererstattung gilt dasselbe. Der unveränderte Zinssatz, die nach § 238 AO derzeit 0,5 Prozent pro Monat (also 6 Prozent im Jahr) betragen, besteht seit in zwischen 50 Jahren, obwohl seit Jahren Zinsen in dieser Höhe nicht erwirtschaftet werden können.

Eskaliert ist der Konflikt, seit der BFH (v. 25.4.2018 – IX B 21/18 und v. 3.9.2018 – VIII B 15/18)  in einem Sofortverfahren ernsthafte verfassungsrechtliche Bedenken gegen den aktuellen Zinssatz geäußert und deshalb die Aussetzung der Vollziehung eines Steuerbescheides angeordnet hat – ich habe wiederholt berichtet. Das BMF hat daraufhin seit Ende 2018 auf Antrag die Vollziehung von Zinsbescheiden für Verzinsungszeiträume ab dem 1.4.2012 ausgesetzt (BMF-Schreiben v. 14.12.2018 – IV A 3 – S 0465/18/10005-01), hält aber im Übrigen im Anwendungserlasses zur Abgabenordnung am Zinssatz von 0,5 Prozent pro Monat fest (AEAO v. 31.1.2019 – IV A 3 –S 0062/18/10005).

Verschiedene Änderungsanträge im Zuge des JStG 2020 gescheitert

Auf der politischen Bühne hat es seit Jahren unterschiedlichste Versuche gegeben, den gesetzlichen Zinssatz realen Marktgegebenheiten anzupassen – ohne Erfolg. Auch im Zuge des JStG 2020 gab es eine Initiative:

Der Wirtschaftsausschuss hatte dabei dem Bundesrat empfohlen (BR-Drs.503/1/20 v. 9.10.2020, S. 171): „Der Bundesrat hält vor dem Hintergrund der hohen Belastung der Wirtschaft durch die Corona-Pandemie weitere Maßnahmen zur Stärkung der Unternehmen und zur Belebung der Konjunktur für erforderlich und bittet im weiteren Gesetzgebungsverfahren insbesondere die Halbierung des Zinssatzes in § 238 Abs. 1 S. 1 AO.“  Die vorgeschlagene Halbierung des Zinssatzes diene der Entlastung der Wirtschaft von Bürokratie und Kosten und setze zusätzliche Mittel für Investitionen frei. Dieser Vorschlag war im Bundesrat nicht mehrheitsfähig und nicht beschlossen (BR-Drs. 503/20 (Beschluss) v. 9.10.2020, Ziff.61, S. 86).

Zuletzt wurde am 17.12.2020 ein Änderungsantrag der FDP (BT-Drs.19/25160, S. 174) abgelehnt. Dort war vorgeschlagen worden, den Zinssatz in § 238 Abs. 1 S.1 AO auf ein Zwölftel des Basiszinssatzes nach § 247 BGB, zumindest aber 0,1 Prozent festzusetzen. Diesen Vorschlag hat die Regierungsmehrheit von CDU/CSU und SPD abermals abgelehnt.

Praktische Bedeutung und weitere Entwicklung

Der aktuelle Leitzins in Deutschland beträgt 0,0 Prozent. Wer in mündelsichere Kapitalanlagen investieren will, zahlt häufig Verwahrgebühren, erzielt also einen negativen Zins auf das eingesetzte Kapital. Vor diesem Hintergrund mutet der gesetzliche Finanzamtszins von 6 Prozent/Jahr weltfremd an, er hat mit dem realen Marktgeschehen nichts zu tun. Das ist merkwürdig, weil der Gesetzgeber mit den Zinsen, die er selbst erhebt (z.B. Nachzahlungszinsen) den wirtschaftlichen Vorteil abschöpfen will, den der Steuerzahler scheinbar hat, wenn er ein dem Fiskus zustehenden Geldbetrag selbst wirtschaftlich nutzt.

Seit Längerem erklären die Finanzämter Steuerbescheide in Bezug auf festgesetzte Zinsen für vorläufig (§ 165 Abs.1 S. 2 AO). Die Folge: Sollte aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts diese Festsetzung aufzuheben oder zu ändern sein, wird die Festsetzung oder Änderung von Amts wegen aufgehoben. Ein Einspruch ist dann nicht erforderlich. Aber: abhängig von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts könnte unter Umständen auch eine Aufhebung oder Änderung zu Ungunsten des Steuerpflichtigen erfolgen.

Das ist für den Steuerzahler gerade in Corona-Zeiten ein Risiko: Verzögert sich die Bearbeitung von Steuererklärungen in der Finanzverwaltung coronabedingt, steigt die Gefahr, dass das FA bei einer Steuerzahlung den Steuerpflichtigen zusätzlich bei der Verzinsung zur Kasse bittet. Das ist jedenfalls in den Fällen bitte, in denen Unternehmer wegen staatlicher Schließungsanordnungen gravierende Umsatzeinbußen erleiden und es deshalb an Liquidität mangelt. Es bliebe dann gff. nur ein Antrag auf (Teil-)Erlass überhöhter Finanzamtszinsen wegen Unbilligkeit (§ 227 AO). Wegen des strengen Maßstabs bei solchen Billigkeitsmaßnahmen dürften derartige Anträge aber wenig Aussicht auf Erfolg haben.

Vor diesem Hintergrund ist die anhaltende Verweigerungshaltung der Politik, den Finanzamtszins an marktgerechte Verhältnisse wenigstens mit Wirkung für die Zukunft zu senken, nach wie vor nur mit Kopfschütteln zu beantworten. Da auch im nächsten Jahr der Bundestagswahl kaum mit einer entsprechenden „Morgengabe der Politik“ zu rechnen ist, ruht jetzt alle Hoffnung auf dem BVerfG: Das BVerfG hatte bereits 2019 verlautbart, dass es  noch in 2019 entscheiden wollte, ob der gesetzliche Zinssatz des § 238 Abs. 1 AO von 0,5 Prozent für jeden Monat (also 6 Prozent/Jahr) für Verzinsungszeiträume nach dem 31.12.2009 beziehungsweise nach dem 31.12.2011 verfassungswidrig ist (BVerfG 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17) – daraus ist bislang nichts geworden, obwohl eine Entscheidung mehrfach in 2020 angekündigt war.

Na dann in 2021…!

Quellen
BT-Drs. 19/22850 
BR-Drs. 503/1/20
BR-Drs. 503/20 (Beschluss)BT-Drs. 19/25160

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