Verfassungswidriger Abwehrschirm gegen die Energiekrise?

Der Bundestag hat am 21.10.2022 den 200-Milliarden-Abwehrschirm gegen hohe Energiepreise beschlossen und zur Finanzierung erneut ein Aussetzen der Schuldenbremse in 2022 genehmigt. Aber: Bestehen verfassungsrechtliche Bedenken hiergegen?

Hintergrund

Im Kampf gegen die insbesondere durch den russischen Krieg in der Ukraine befeuerten massiven Energiepreisanstieg hat der Bundestag für Entlastungsmaßnahmen für Bürger und Unternehmen einen gewaltigen 200 Mrd. Euro-Abwehrschirm beschlossen. Für das Gesetz stimmten die Fraktionen der Ampel-Parteien. Die Opposition kritisiert, dass der genaue Einsatz der Mittel unklar sei und die Bundesregierung eine „Blanko-Zusage“ verlange.

Eckpunkte des Abwehrschirms

Für den Abwehrschirm soll der Corona-Krisenfonds WSF reaktiviert und mit neuen Mitteln ausgestattet werden. Der WSF ist ein Sondervermögen im Sinne des Art. 110 Abs.1 GG außerhalb des regulären Haushalts, war zu Beginn der Corona-Pandemie eingerichtet worden und diente der Stabilisierung von Unternehmen zur Überwindung von Liquiditätsengpässen und Stärkung der Kapitalbasis (§ 16 Abs. 1, 2 StabilisierungsfondsG-StabFG).

Die Gelder können nach dem Inhalt des Abwehrschirms bis Mitte 2024 eingesetzt werden, um insbesondere die geplante Gaspreisbremse, die angedachte Strompreisbremse sowie Hilfen für angeschlagene Firmen zu finanzieren. Zur Senkung der zuletzt stark gestiegenen Gaspreise hat eine von der Regierung eingesetzte Kommission vorgeschlagen, dass der Bund die Dezember-Abschläge für alle deutschen Gaskunden übernimmt. Ab März 2023 könnte dann für Privatkunden eine Preisobergrenze für ein Grundkontingent von 80% des üblichen Verbrauchs greifen. Für Großkunden in der Industrie soll es bereits ab Januar 2023 eine Preisbremse geben. Ob die Bundesregierung die Vorschläge in dieser Form umsetzt, so soll im Kabinett bis Anfang November 2022 entschieden werden. Außerdem soll der Abwehrschirm helfen, den Strompreis zeitlich begrenzt zu senken; an diesem Konzept arbeitet die Bundesregierung noch.

Der Bundestag hat jetzt zur Finanzierung erneut für das Jahr 2022 ein Aussetzen der Schuldenbremse im Grundgesetz genehmigt. Damit ermöglicht er dem Bund zusätzliche Kredite in Höhe von 200 Milliarden Euro aufzunehmen. Ein solcher Beschluss ist nur in „außergewöhnlichen Notsituationen“ möglich.

Bundesrechnungshof (BRH) hat haushalts- und verfassungsrechtliche Bedenken

Der BRH kritisiert, dass der Milliardentopf über mehrere Jahre bis 2024 genutzt werden soll. Das widerspreche dem Grundsatz der Jährlichkeit, der besagt, dass ein Bundeshaushalt immer nur für ein Jahr aufgestellt werden kann. Der BRH rügt, dass die Umsetzung des Abwehrschirms über den WSF „in mehrfacher Hinsicht problematisch“ sei und fordert deshalb, den Schutzschirm unmittelbar aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren:

  • Die Etatisierung der Mittel in einem Sondervermögen verstärke die bereits bestehende Intransparenz des Bundeshaushaltsplans.
  • Die vorgesehene Kreditaufnahme auf Vorrat verstoße gegen den verfassungsmäßigen Grundsatz der Jährlichkeit. Denn die Kreditermächtigung solle bereits in 2022 in voller Höhe in einem Sondervermögen in Anspruch genommen werden, obwohl die Ausgaben weit überwiegend erst in 2023 und 2024 geleistet werden sollen.
  • Der vorgesehene Notlagen- Beschluss des Deutschen Bundestags stehe – zumindestens teilweise – außerhalb des nach Art. 115 Abs. 2 GG zwingend erforderlichen zeitlichen Veranlassungszusammenhangs.

Bewertung

Art. 110 Abs. 1 S. 1 GG verlangt, dass grundsätzlich alle Ausgaben und Einnahmen in den Haushaltsplan einzustellen sind. Das Gebot der Vollständigkeit und Einheit des Haushaltsplans ist eine Grundbedingung für die Wahrnehmung des parlamentarischen Budgetrechts.

Das bedeutet: Der Haushaltsgesetzgeber soll die tatsächliche finanzielle Situation der Bundesfinanzen unmittelbar aus dem Haushaltsplan erkennen und nicht in „Schattenhaushalten“ verstecken können. Das bedeutet weiter, dass die Verlagerung von Einnahmen und Ausgaben in Sondervermögen wegen des damit einhergehenden Transparenzverlustes eine absolute Ausnahme bleiben muss.

Es ist schon bemerkenswert, wie der Bundestag nunmehr bei der Beschlussfassung über den Abwehrschirm die finanzverfassungsrechtlichen und finanzwirtschaftlichen Bedenken des BRH zur Seite kehrt. Dieses Kunststück ist nur erklärbar mit dem am Wahlversprechen beteiligten Koalitionäre, die Schuldenbremse des Art 115 GG in 2023 wieder zu aktivieren – koste es was es wolle.

Quellen


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