Der Nährboden für aufgehübschte und gefälschte Bilanzen war wohl selten so fruchtbar wie heute. Hoher Kostendruck, steigende Zinsen und angespannte Märkte bringen viele Unternehmen an ihre Grenzen. Die Aussichten? Alles andere als beruhigend.
Wenn Angst der Lehrmeister ist
Große Insolvenzen führen nicht nur zu Kreditausfällen bei Banken – sie hinterlassen auch Verunsicherung. Ich erlebe derzeit: Das Interesse an Schulungen zur Bilanzanalyse wächst spürbar. Das ist erfreulich, aber auch bezeichnend. Oft braucht es erst den Schock über Insolvenzen, bevor sich Unternehmen oder Investoren mit der Analyse von Jahresabschlüssen befassen.
Ich erinnere mich an Veranstaltungen für Start-ups: Mein Vorschlag, das Thema „Bilanzen verstehen“ aufzunehmen, stieß damals regelmäßig auf Desinteresse. Begründung: „Das brauchen Gründer nicht.“ Ein fataler Irrtum!
Wer Zahlen liest, sieht Krisen kommen
Zahlen sprechen – wenn man sie zu lesen versteht. Sie zeigen, wann die Liquidität schwindet, wann sich Kosten verselbstständigen oder Umsätze nur noch auf dem Papier wachsen.
Wer diese Signale ignoriert, riskiert mehr als rote Zahlen: Eine zu spät eingeleitete Restrukturierung kann das Vertrauen von Kunden, Banken und Mitarbeitern kosten. Und wenn der Druck steigt, geraten manche in Versuchung, beim Abschluss etwas „nachzuhelfen“.
Was als Bilanzkosmetik beginnt, endet nicht selten in Bilanzfälschung.
Ein Blick hinter die Kulissen
Wie schnell sich Manipulationen verselbstständigen können, zeigt ein Fall aus der Praxis:
Mehrere Tochterunternehmen verkauften erfundene Rechte an ein anderes Unternehmen – nennen wir es Unternehmen A. Ziel war, die Verluste der Töchter auszugleichen und ein positives Ergebnis zu zeigen. Die „Rechte“ waren frei erfunden – etwa Rechte am Unternehmensauftritt. Die Rechnungen lagen im sechsstelligen Bereich, Geld floss keines.
Die Folgen:
- Die Tochterunternehmen verbuchten wertlose Forderungen.
- Unternehmen A aktivierte wertloses Anlagevermögen und übernahm zusätzliche Verbindlichkeiten.
- Kreditnehmerin war ein drittes Unternehmen, dessen Bilanzen den Banken vorlagen.
So blieb das Konstrukt bis heute von außen unentdeckt. Die Kredite sind endfällig, aber nicht gedeckt. Der Wirtschaftsprüfer? Prüfte Unternehmen A nicht – obwohl die Schwellenwerte längst überschritten waren.
Unternehmen A diente als Auffangbecken, um Scheingeschäfte zu verschleiern. Ein selbstgebautes perpetuum mobile der Bilanzkosmetik – Gewinne nach Wunsch, Werte ohne Substanz.
Die Verantwortlichen räumten die Manipulation intern ein. Ihre Rechtfertigung: „Es ging nicht anders.“
Und mein Senf dazu
Die Geschichte stammt von einem damaligen Buchhaltungsmitarbeiter – nennen wir ihn Daniel Bilanzentdecker. Er sprach die Unstimmigkeiten an. Doch statt Unterstützung zu bekommen, stieß er auf Schweigen. Schließlich kündigte er.
Das Unternehmen? Existiert bis heute.
Bilanzfälschungen gibt es nicht nur bei Großkonzernen. Auch in kleineren Unternehmen werden Ergebnisse geschönt – aus Druck, Bequemlichkeit oder Angst.
Aber eines ist sicher: Einzeltäter sind selten. Gefälschte Bilanzen brauchen Mitwisser – und Menschen, die lieber wegsehen als widersprechen.
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